“Wie Staatsschulden reduzieren?”

Im Februar habe ich an dieser Stelle den sehr interessanten Aufsatz von James Montier verlinkt, der recht überzeugend darlegt, dass Staatsschulden eigentlich kein Problem darstellen.

→ Staatsschulden – wirklich so schlecht?

Kernthese damals: “Ohnehin könnten Notenbanken den Zins IMMER unter der Wachstumsrate der Wirtschaft halten und so die Schulden tragbar machen. Was nur ein Problem ist, wenn die Notenbank nicht unter Kontrolle ist.” Aber auch die anderen Argumente von Montier sind lesenswert.

Nun nehmen die Kollegen von der FINANZ und WIRTSCHAFT sich des Themas an:

  • “Je höher die Staatsschulden steigen, desto interessanter wird die Frage, wie man es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft hat, den öffentlichen Haushalt zu sanieren. Ein gutes Beispiel ist Grossbritannien. Nach dem Krieg waren die britischen Schulden auf 250 Prozent des BIP angewachsen, Ende der 70er-Jahre betrug diese Kennzahl weniger als 50 Prozent (…).”
  • Mehrere Faktoren trugen dazu bei: hohes Wirtschaftswachstum, Inflation, tiefe Zinsen, Kapitalverkehrskontrollen und hohe Steuern.” bto: Wichtig waren wohl auch die Kapitalverkehrskontrollen, weil man so der schleichenden Enteignung nicht entgehen konnte.
  • “Viele wünschen oder befürchten, dass die Wohlhabenden dereinst viel mehr an den Staat abliefern müssen. Wie realistisch ist die Forderung nach höheren Steuern für die oberen Einkommen und Vermögen? Sind wir in einer ähnlichen Situation wie nach dem Zweiten Weltkrieg?”
  • Wie in allen Ländern, war es in Grossbritannien während des Zweiten Weltkriegs selbstverständlich, dass mindestens ein Teil der Militärausgaben durch Steuern finanziert wurde. Alle mussten ein finanzielles Opfer bringen zur Verteidigung des Vaterlandes, insbesondere die Wohlhabenden. Der britische Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer lag während des Krieges bei über 90 Prozent. (…) Heute gibt es keinen mit dem Krieg vergleichbaren Ausnahmezustand, der massiv höhere Steuern rechtfertigen würde. Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass eine Regierung eine solch drastische Besteuerung in Friedenszeiten durchbringen könnte.” bto: wobei es bis 90 Prozent noch ein weiter Weg ist; ich denke, es ist realistisch, von einer deutlich höheren Belastung auszugehen.
  • Zudem waren die französischen Erfahrungen mit der Reichensteuer (75 Prozent für Einkommen über 1 Million Euro) äusserst ernüchternd. Es resultierte kaum ein Einnahmenüberschuss.”  bto: weil es eine Ausweichmöglichkeit gab. 
  • Grossbritannien hatte nach 1945 nicht nur bei den Einnahmen, sondern auch bei den Ausgaben eine gute Ausgangslage. Der britische Staat hatte die Möglichkeit, sofort die Militärausgaben stark zu reduzieren, weil der Krieg vorüber war. Dadurch entstand innerhalb von kurzer Zeit ein Budgetüberschuss. “
  • “Auch dies ist heute nicht mehr möglich. Der grösste Ausgabenposten ist die soziale Wohlfahrt. Sie lässt sich im Unterschied zu den kriegsbedingten Militärausgaben nicht von einem Tag auf den anderen drastisch runterfahren.”  bto: Wenn es damit getan wäre! In Wirklichkeit werden die Kosten für Soziales weiter explodieren, alleine schon angesichts der demografischen Entwicklung.

Fazit FINANZ und WIRTSCHAFT: “Die hochverschuldeten europäischen Länder werden kaum in der Lage sein, ihren Haushalt gemäss dem Rezept der Nachkriegszeit zu sanieren. Wahrscheinlicher ist, dass sie früher oder später zum Mittel des Schuldenschnitts greifen müssen.”

bto: Ich denke, in der Tat können wir aus den Schulden nicht herauswachsen. Inflation ist wie wir sehen auch schwer zu erzeugen. Demografie und fehlende Produktivitätszuwächse tun ein Weiteres. Dann bleiben Pleiten (chaotisch), Schuldenschnitte (halb-chaotisch) oder Besteuerung. Ich denke, wir bekommen einen Schnitt, verbunden mit einer Besteuerung zum sozialen Ausgleich. Was die FINANZ und WIRTSCHAFT nicht anspricht: Wir haben es nicht nur mit staatlicher, sondern auch mit privater Überschuldung zu tun. Diese muss auch aus der Welt geschafft werden. Egal, solange die Allianz und der SPIEGEL jubeln, dass wir so schön reich sind, ist doch alles gut. Genießen wir es, solange es geht.

FINANZ und WIRTSCHAFT: “Wie Staatsschulden reduzieren?”, 19. September 2016

Kommentare (13) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Hans
    Hans sagte:

    Guten Tag,
    wie begründet sich die Aussage, dass der private Sektor überschuldet ist? Wird hier zw. Brutto- und Nettoverschuldung unterschieden?

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  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >„Die hochverschuldeten europäischen Länder werden kaum in der Lage sein, ihren Haushalt gemäss dem Rezept der Nachkriegszeit zu sanieren.>

    Klar, an den dargelegten Gründen für diese Position ist nicht zu rütteln.

    >bto: Wenn es damit getan wäre! In Wirklichkeit werden die Kosten für Soziales weiter explodieren, alleine schon angesichts der demografischen Entwicklung.

    Und das bei minimalem Wachstum, wenn es gut geht.

    >Dann bleiben Pleiten (chaotisch), Schuldenschnitte (halb-chaotisch) oder Besteuerung.

    >bto: …. ich denke, es ist realistisch, von einer deutlich höheren Belastung auszugehen.>

    Nicht für den Abbau von Staatsschulden, weil das die eh schon wacklige Mitte treffen würde, aber in der Krise für den Lastenausgleich wird es des sozialen Frieden willens zu hoher Besteuerung der dann noch Vermögenden kommen.

    Ich würde Inflation nicht abschreiben, obwohl das nach Lage der Dinge hergeholt scheint.

    Begründung:

    Wenn es hart auf hart kommt, wird es monetäre Staatsfinanzierung geben (Helikoptergeld). Der Regelbruch wird wegdiskutiert bzw. als Notmaßnahme gerechtfertigt werden. Die Wirkung ist nicht absehbar, aber sicher scheint mir, dass die Dosis erhöht werden wird, wenn die gewünschte Wirkung ausbleibt. Nichts leichter als dies, wenn der Finanzierungsmechanismus erst einmal eingeführt und akzeptiert ist. Dann hängt es am Vertrauen in die Währung: Es muss nicht, kann aber verloren gehen. Wenn so, ist man sehr schnell bei einer Inflationsspirale.

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  3. Martin Weber
    Martin Weber sagte:

    Ich bin etwas überrascht, dass der Autor, der Bücher über Schulden geschrieben hat, nicht auf den fundamentalen Unterschied mit der Lage nach dem 2. WK hinweist: die Privatverschuldung war damals äusserst tief (als Ergebnis der Weltwirtschaftskrise und des Kriegs). Staatsschulden lassen sich leicht reduzieren, wenn gleichzeitig die Privatverschuldung steigt, genau was in der Nachkriegsperiode geschehen ist. Denn es kommt immer auf die Gesamtverschuldung an. Da heute der Privatsektor jedoch nicht mehr aufschulden kann, da selbst überschuldet, kann sich der Staat unmöglich entschulden, ohne eine deflationäre Depression auszulösen. Schuldenschnitte sind auch keine Lösung, da sie gleichzeitig Guthaben vernichten, die dann wiederum zu Pleiten führen und es so zum berichtigten Dominoeffekt kommt, den wir bereits während der Eurokrise 2010-11 erleben konnten. Nur eine Abwertung der Währung ermöglicht es, sämtliche Schulden / Guthaben auf einmal zu reduzieren.

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Wenn Sie mich mit dem Autor meinen, so haben Sie recht. Allerdings wiederhole ich dies hier so oft, dass ich es nicht immer tue. Leider kommen nicht alle Leser jeden Tag bzw. lesen nicht alle 9 Beiträge pro Woche….ich schreibe sie aber, weshalb ich mir mache Wiederholung spare…Es sind aber nicht nur die Privatschulden, sondern auch die Demografie und die schlechte Produktivitätsentwicklung, die eine Wiederholung der Nachkriegsjahre ausschliessen. Insofern: Danke für das Feedback – und kommen Sie öfter auf bto.

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  4. Michael Stöcker
    Michael Stöcker sagte:

    „Wir haben es nicht nur mit staatlicher, sondern auch mit privater Überschuldung zu tun.“

    So ist es. Insbesondere im Hinblick auf die private Überschuldung sind in einer Demokratie symmetrische Strategien am besten geeignet: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/03/23/die-citoyage-keynesianischer-monetarismus-als-ordnungspolitisches-korrektiv/. Das ganze garniert mit ein wenig Erbschaftssteuer in Verbindung mit einem Erbschaftsfonds und die fiktiven Staatsschulden werden gegen die fiktiven Geldvermögen ausgebucht.

    Und warum geht das nicht? Weil wir in einer medialen Demokratie leben, in der die Gewählten auch noch von dem Unsinn ihres Tuns/Nichttuns überzeugt sind.

    LG Michael Stöcker

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  5. Katalin
    Katalin sagte:

    Hallo,

    Wie Staatsschulden reduzieren.

    Ganz einfach: mit Inflation.

    Schwer zu erzeugen. Da gibt es andere Meinungen. Wie wäre, es mit kräftigen Lohnsteigerungen wie Flassbeck sie fordert. Denn laut Ihm und anderen wird die Inflation maßgeblich durch die Löhne bestimmt.
    Desweiteren fordert er (nicht nur er: Stieglitz, Bernanke, Krugman) aktive Fiskalpolitik.

    Diese beiden Sachen bedeuten aber auch erhebliche Umverteilungen, die wiedrum die Gläubiger vehement ablehnen und damit den Schuldern es praktisch unmöglich machen die Schulden zurückzuzahlen.

    Gruß

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    • Martin Weber
      Martin Weber sagte:

      Flassbeck und die anderen liegen falsch. Inflation gibt es, wenn die Schulden/Forderungen, also die Geldwerte, schneller steigen als das Güterangebot und zwar über lange Zeit. Der einzige, der über lange Zeit aufschulden kann, ist der Staat. Inflation kann also nur der Staat über Verschuldung erzeugen. Somit kann Inflation also unmöglich das Staatsschuldenproblem lösen.

      Antworten
      • Uwe Stein
        Uwe Stein sagte:

        Flassbeck (und kein anderer ernstzunehmender Ökonom) fordert nicht Lohnerhöhungen zur Steigerung der Inflation. Sein Argument ist ein anderes: ein 2%iges Inflationsziel passt nicht zu Lohnzurückhaltung (wie in Deutschland seit der Agenda 2010 zu beobachten, was uns an die Spitze der Exporteure brachte). Der Grund: die Inflationsrate ist maßgeblich durch Lohnstückkosten beeinflusst (bzw. deren Anstieg). Inflation entsteht aus zwei Ursachen (bzw. einer Kombination aus beiden): hohe Nachfrage und starkt steigenden Kosten (bei gleichbleibendem Angebot). Wenn also, wie in der irreführenden Aussage, die Kosten durch Lohnsteigerungen stiegen, die Nachfrage aber nicht, gäbe es keinerlei Auswirkung auf die Inflationsrate.

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