Wer Schulden nicht versteht, versteht auch die Geldpolitik nicht

Thomas Straubhaar ist Lesern von bto vor allem durch seinen Kommentar zur Schuldenstudie von McKinsey bekannt. Grundtenor: „Das große Märchen von der globalen Verschuldung“. Darin werden so steile Thesen aufgestellt, wie „Weder ist die Weltwirtschaft überschuldet, noch kann sie Pleite gehen.“ und es sei eine „weltweite Verschuldungshysterie“.

Wenn man so über Schulden und ihre Wirkung denkt, kann man das Handeln der Notenbanken naturgemäß nicht verstehen. Nur wer die Geldpolitik immer aus dem Blickwinkel betrachtet, dass sie einzig und alleine zum Ziel hat, den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren, kann auch verstehen, weshalb wir NIRP und noch weitere Innovationen sehen werden. Doch lassen wir Herrn Straubhaar sinnieren:

  • „Offenbar hält das Fed den Zustand der Weltwirtschaft für weiterhin so fragil, dass es die Zinswende ein weiteres Mal aufgeschoben hat. Vor allem wollte es die sowieso bereits ökonomisch angeschlagenen Schwellenländer nicht weiter schwächen.“ – bto: Angesichts der um 50 Billionen US-Dollar gestiegenen Schulden seit 2007 ist das nicht so überraschend.
  • „Ähnlich kritisch bleibt die Lage in Europa. Zwar verdrängt die Flüchtlingskrise alle anderen Themen in den medialen Hintergrund. Das ändert aber gar nichts daran, dass das Fehlen von Konvergenz innerhalb des Euroraums, die Gefahr einer Staatsinsolvenz Griechenlands und die zu hohe öffentliche Verschuldung der strukturschwächeren Euromitglieder nach wie vor ständige Brandherde darstellen, die jederzeit von neuem auflodern können.“ – bto: auch das nicht überraschend.
  • „Beidseits des Atlantiks bleiben somit die Notenbanken Fed und EZB zumindest vorerst und dadurch weit länger als erwartet ihrer expansiven Geldpolitik treu, obwohl die Makrodaten zumindest für die USA eigentlich längstens nach einer Normalisierung verlangen.“ – bto: Dann kommt er mit Wachstum (eigentlich schwach) und Arbeitslosigkeit (nur nominell tief, in Wahrheit liegt die Beschäftigungsquote deutlich tiefer als vor acht Jahren).
  • „Die Zeit der Nullzinswelt wird also vorerst weitergehen. Damit fehlt den Finanzmärkten auch in Zukunft der Kompass. Wenn Kapital nichts mehr kostet, verliert der Kapitalismus seinen Anker.“ – bto: Das stimmt. Den Anker haben wir aber durch das Schuldenmachen bisher schon verloren.
  • „Ein Nullzins erdet Finanztransaktionen nicht mit der realen Wirtschaft. Er spiegelt nicht mehr relative Knappheit, und er ist kein Massstab mehr, um damit Investitionsprojekte entsprechend ihrer realen Rentabilität zu vergleichen.“ – bto: Ja. Es geht aber nicht mehr um die Realwirtschaft. Es geht um Schuldner, deren Konkurs und dass die damit verbundene realwirtschaftliche Folge unbedingt verhindert werden soll. Damit werden auch die Fehlinvestitionen der letzten Jahrzehnte nicht bereinigt.
  • „Immer stärker wächst die Sorge, dass nicht nur die Märkte, sondern auch die Notenbanken selbst die Orientierung verloren haben, denn das geldpolitische Gaspedal hat weder eine Beschleunigung der Verbraucherpreise noch steigende Kurse von Anleihen und Aktien bewirkt.“ – bto: Das haben sie doch schon lange, als sie mit dem Ziel der kurzfristigen Krisenvermeidung die großen Ungleichgewichte erst geschaffen haben.
  • „Derart niedrige Zinsen sind das offensichtlichste Symptom einer grösseren Malaise in der Weltwirtschaft: Das Wirtschaftswachstum ist unausgewogen, die Schuldenstände und die finanziellen Risiken sind noch immer zu hoch, das Produktivitätswachstum ist zu niedrig und der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum zu klein.“ zitiert er die BIZ. – bto: zu Recht. Aber die tiefen Zinsen alleine erklären die Krise nicht.
  • „In Kauf genommen wird, dass durch eine Politik des billigen Geldes realwirtschaftliche Entscheidungen, besonders Angebot von und Nachfrage nach Arbeit und damit Lohnverhältnisse, verzerrt und dadurch verfälscht werden.“
  • „Die vom Fed und von der EZB betriebene geldpolitische Lockerung (QE) ist für Investoren eine Einladung, Vermögen in Aktien anzulegen. Die Nullzinspolitik der Notenbanken macht erstens die (Kredit-)Finanzierung von Aktienkäufen billig. Sie führt zweitens dazu, dass die reale Verzinsung von Spareinlagen und ‚sicheren‘ Staatsanleihen negativ wird. Das macht Aktien und Sachwerte vergleichsweise attraktiver.“ – bto: und die Reichen reicher, was dann wieder Piketty und Co auf die Bühne ruft.
  • „Dadurch rechnen sich nahezu sämtliche Investitionen, die Unternehmen helfen, ihre Produktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Schliesslich sind Anlagen in Sachwerte – und nichts anderes sind auch Aktien – eine wirkungsvolle Versicherung gegen Inflation, die von vielen deshalb erwartet wird, weil die Notenbanken so viel neues Geld in den Kreislauf gepumpt haben.“ – bto: Komisch, die Investitionsquoten liegen doch so tief wie lange nicht mehr. Ich denke eher, das Geld geht in Aktienrückkäufe und M&A.
  • „Wenn Börsenkurse oder Immobilienpreise deutlich rascher steigen als die reale Wachstumsrate von Produktivität, Effizienz oder Leistungsfähigkeit von Unternehmen, müssen zwangsläufig die Warnlichter angehen. Für zu viele Insider an den Finanzmärkten steigen dann die Anreize, die Ungleichgewichte zwischen realer und monetärer Entwicklung auszunutzen, Volatilität zu erzeugen und auf Kosten von Kleinanlegern oder uninformierten Outsidern zu eigenen Gunsten Kasse zu machen.“ – bto: O. k., sicherlich profitieren die Insider doppelt. Sie bekommen billig Geld und können die anderen noch besser abzocken.

Dennoch: Da werden die Symptome bejammert und beklagt ohne die Ursache beim Namen zu nennen. Wenn Straubhaar eine andere Geldpolitik will, dann muss er auch sagen, wie wir die Schulden loswerden. Aber mit dem Beschreiben von Symptomen befindet er sich in guter Gesellschaft. Larry Summers beklagt bei seiner These der säkularen Stagnation zu viele Ersparnisse (dabei sind es Schulden!) und Thomas Piketty zu viel Vermögen, was es ohne den Leverage-Effekt auch nicht geben würde.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: „Wann platzt die nächste Blase?“, 20. Oktober 2015