Von wegen zweites Wirtschaftswunder!

Ich schätze Henrik Müller sehr. Er hat einen sehr realistischen Blick auf die deutsche Wirtschaft. Doch in seinem neuesten Beitrag für SPIEGEL ONLINE und manager magazin online macht er es sich zu leicht.
→ SPIEGEL ONLINE: „Zuwanderung: Das zweite deutsche Wirtschaftswunder“, 27.Dezember 2015

Er nimmt für die deutsche Wirtschaft ähnlich positive Effekte der Flüchtlingszuwanderung an wie für die Zuwanderung aus den Eurokrisenländern in den letzten Jahren. Dabei wissen wir, dass die Qualifikation der Flüchtlinge mitnichten auch nur annähernd dieses Niveau erreicht. Damit schadet Henrik Müller der Sache mehr, als er ihr dient. Dazu genügt ein Blick auf die Kommentare zu seinem Beitrag.

Von Anfang an habe ich vor Schönrechnerei mit Blick auf die Flüchtlingskrise gewarnt. Wer anderen Menschen hilft, teilt seinen Wohlstand mit ihnen. Das ist völlig normal und wir sollten auch nichts anderes erwarten. Dabei müssen wir uns über zwei Dinge im Klaren sein:

  • Wie hoch ist die Gesamtbelastung durch die Flüchtlinge?
  • Sind wir dauerhaft in der Lage und bereit, diese Kosten zu tragen?

Die Beantwortung dieser Fragen wird uns allerdings konsequent schwer gemacht, weil uns die Kosten nur zum Teil präsentiert werden und zudem die Hoffnung eines künftigen Nutzens dagegengestellt wird. Damit soll bezweckt werden, dass wir uns bezüglich der Kosten keine Sorge machen. Nach dem Motto, keine Sorge, wir schaffen das locker und in Wirklichkeit sind wir sogar die Nutznießer. Weitere Folge davon: Wir stellen die zweite Frage gar nicht mehr, weil doch schon die Antwort auf die erste Entwarnung gibt.

Ich bleibe dabei: Das ist fatal, weil es die Grundlage für massive Enttäuschung, Verteilungskonflikte und Radikalisierung legt.

Die Welt berichtet von einer Studie zur Kostenabschätzung der Flüchtlinge. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie da große Studien der Institute erarbeitet werden, die bei ehrlicher Betrachtung über meine kleine Rechnung nicht hinausgehen:

Flüchtlingsmatrix

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel schätzt die Flüchtlingsmenge und darauf basierend die jährlichen Kosten:

 

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Man sieht, bei insgesamt rund fünf Millionen Flüchtlingen liegen die Kosten demnach bei 55 Milliarden Euro pro Jahr. Dabei rechnet das IfW mit rund 13.000 Euro pro Kopf, also deutlich weniger als ich, wobei ich mit Vollkosten arbeite und nicht mit Grenzkosten. Schließlich nutzen die Flüchtlinge auch Infrastruktur, Verwaltung etc. In meinem Szenario müssten von den fünf Millionen Flüchtlingen rund eine Million arbeiten und dabei 20.000 Euro pro Jahr verdienen, damit die Nettokosten bei rund 55 Milliarden pro Jahr liegen.

DIE WELT dazu:

  • Eine neue Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) stellt alle bisherigen Berechnungen zu den Kosten der Flüchtlingskrise in den Schatten: Sollte der Flüchtlingsstrom anhalten, werden sich die Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge langfristig auf bis zu 55 Milliarden Euro pro Jahr belaufen, rechnet das IfW vor.“ – bto: Das stimmt nicht. Zum einen war ich höher und zum anderen hat auch Raffelhüschen vorsichtig 900 Milliarden geschätzt.
  • Demgegenüber steht eine umstrittene Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Darin rechnet DIW-Präsident Marcel Fratzscher vor, dass sich ein Flüchtling nach etwa sieben Jahren für den deutschen Steuerzahler ‚rechnet‘.“ – bto: Naja, DIE WELT kennt meine detaillierte Kritik der DIW-„Studie“. Da ist „umstritten“ eine zu nette Umschreibung. Aber was sollen sie machen? DIE WELT hat es ja mit der SZ am aggressivsten vermarktet …
  • Allerdings halten die IfW-Forscher selbst den Riesenbetrag von 55 Milliarden Euro im Verhältnis zur Wirtschaftskraft Deutschlands für ‚beherrschbar‘. Selbst in diesem teuersten Szenario blieben die Kosten unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Deutschlands.bto: Da bleibt mir dann echt die Spucke weg! Das sind über eine Generation Kosten von 1.815 Milliarden Euro. Wir haben aber noch ein paar andere Probleme: Eurokrise = eine Billion plus x, ungedeckte Rentenversprechen etc. = sechs Billionen plus x, verlotterte Infrastruktur = eine Billion … Da kann man doch nur warnen und nicht so tun, als könnten wir uns alles leisten!
  • Zur Senkung der Flüchtlingskosten empfiehlt das IfW höhere Ausgaben für eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt. Konkret fordern die Forscher 1000 Euro mehr pro Flüchtling jährlich.“ – bto: 1.000 Euro!!! Normale Schulbildung kostet 7.000 Euro pro Jahr. Was will man mit den 1.000 Euro machen? Sprachkurse für Putzfrauen? Das ist doch ein Witz. Wir müssen richtig investieren, doch dann handelt es sich eben nicht mehr um 55, sondern eher um 75 Milliarden pro Jahr. Und man muss sich fragen, ob diese Investition sich letztlich wirklich lohnt.

Führt mich zu meiner Eingangsaussage zurück: Wir täuschen uns aus falsch verstandener politischer Korrektheit bei Frage 1 und stellen deshalb Frage 2 gar nicht. Die Folgen werden uns auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen und das politische Klima unseres Landes fundamental verändern. Ein Blick nach Frankreich genügt. 

Es ist nicht nur inhaltlich völlig unhaltbar ein neues Wirtschaftswunder anzukündigen, es bewirkt genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich erreichen wollen: dass Deutschland ein weltoffenes Land für die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte bleibt. Je größer die Enttäuschung über die Folgen der Flüchtlingspolitik, desto größer die Gefahr einer Abschottung nach außen. Dann hat unser humanitäres Engagement den wirtschaftlichen Interessen geschadet, weil dann jene nicht mehr kommen können und wollen, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu erhalten.

Flüchtlinge unterscheiden sich eben dadurch von „normalem“ Zuwanderern, dass man sich keinen wirtschaftlichen Nutzen verspricht. Man teilt seinen Wohlstand mit Flüchtlingen. Deshalb ist es falsch, sich mit Aussagen zu den positiven Effekten zu überbieten – vor allem, wenn sie keine Grundlage haben.

→ DIE WELT: „Flüchtlingskrise kostet bis zu 55 Milliarden Euro im Jahr“, 11. Dezember 2015