Vollgeld, Liquidität und Stabilität

Das Thema Vollgeld habe ich schon mehrmals behandelt. In der Schweiz wurde eine Volksabstimmung initiiert, mit dem Ziel ein Vollgeldsystem einzuführen. Aus diesem Grunde findet dort eine intensive Diskussion des Themas auf hohem Niveau statt. Zur Erinnerung: Es geht darum, den Banken nicht mehr die Schaffung eigenen Geldes zu gestatten, sondern nur noch der Zentralbank dieses Recht zu geben. Eine Idee, die mittlerweile auch von der Financial Times unterstützt wird, wie berichtet. Dennoch gibt es in der Schweiz Vorbehalte, wobei es meistens um zwei Aspekte geht. Die Herausforderungen der Umstellung und die Gefahr, den Schweizer Franken noch attraktiver zu machen. Nachvollziehbare Argumente, aber kein Votum gegen die Idee als solche.
Einen weiteren Beitrag zum Thema brachte die NZZ schon in der vergangenen Woche. Tenor: “Wenn Banken nicht mehr aktiv Giralgeld schöpfen dürften, verringerte dies das Risiko von Störungen des Geldangebots oder von Kreditblasen. Gleichzeitig fielen aber auch hilfreiche Einflüsse weg. Denn im herrschenden System können sowohl die Zentralbank (mittels Beeinflussung der Notenbankgeldmenge) als auch das Bankensystem (durch Giralgeldschöpfung) auf Schwankungen der Geldnachfrage reagieren. Mit einem gesetzlich fixierten Geldmultiplikator wäre Letzteres nicht mehr möglich, und Anpassungen des Geldangebots müssten ausschließlich durch die Zentralbank vollzogen werden. Dies bedingte raschere und drastischere geldpolitische Eingriffe als im herrschenden System. Insbesondere während der Phase des Übergangs zu einem Vollgeldsystem, in der sich neben dem Geldmultiplikator auch die Umlaufgeschwindigkeit ändern dürfte, wäre die Zentralbank somit erheblich gefordert.” Klartext: Es geht natürlich, nur wäre dann die Notenbank mehr in der Verantwortung. Kein überzeugendes Gegenargument, finde ich.

“Für das Bankensystem als Ganzes und die Volkswirtschaft hingegen trüge ein Vollgeldregime zur Stabilisierung des Depositengeschäfts und des über die Banken abgewickelten Zahlungsverkehrs bei. Dies wäre ein bedeutender Fortschritt. Auf Seiten der Bankkunden ergäben sich hingegen Nachteile. Denn ein Systemwechsel zwänge faktisch zum Halten von Notenbankgeld anstelle von weniger sicheren und liquiden Sichteinlagen, obwohl die meisten Kunden heutzutage Letzteren den Vorzug geben. Solch eine erzwungene Umschichtung könnte allerdings durchaus erwünscht sein, insbesondere wenn das Halten von Sichteinlagen negative Externalitäten zulasten der Allgemeinheit verursachte.” Also kein Argument dagegen. Die erhöhte Stabilität des Finanzsystems wäre demzufolge nicht umsonst zu bekommen.

Mit der Geldschöpfung lässt sich viel Geld verdienen. Das nennt man “Seigniorage”. “Da Seigniorage-Einnahmen sich proportional zur Notenbankgeldmenge entwickeln und Letztere bei Einführung eines Vollgeldregimes stark wachsen würde, um den Rückgang des Geldmultiplikators zumindest teilweise zu kompensieren, fielen insbesondere in der Übergangsphase markant höhere Seigniorage-Einnahmen bei der Zentralbank an.” Allerdings könnte “anstelle eines Systemwechsels (…) die Umverteilung der Seigniorage-Einnahmen auch mit einfacheren und weniger einschneidenden Mitteln wie beispielsweise einer Steuer auf Depositenguthaben erreicht werden”- auch kein echtes Gegenargument.

Das schlagende Argument ist jedoch ein anderes: “Unklar bleibt aber, wie ein Verbot der Giralgeldschöpfung überhaupt durchsetzbar wäre. Denn in einem Vollgeldsystem könnten sich Banken und ihre Kunden auf andere Formen von Quasigeld verständigen (wie zum Beispiel Anteile an Geldmarktfonds), die zu einer neuerlichen Destabilisierung des Zahlungsverkehrssystems führten. Solange nicht klar definiert werden kann, wann es sich bei einer Forderung um ein Zahlungsmittel ohne Deckung durch Notenbankgeld handelt, lädt ein Verbot der Giralgeldschöpfung zu Umgehungsversuchen ein.” Genau. Wie schon bei Hajek und Kollegen diskutiert, ist Geldschöpfung letztlich ein privater Akt – siehe hierzu auch nochmals die Eigentumsökonomik.

Wenn man aber in diese Richtung kommt, muss man entweder höhere Liquiditäts- und Eigenkapitalanforderungen haben oder aber den Konkurs zulassen. “Problematisch wird die Situation hingegen, wenn die Notenbank zu Liquiditätshilfen gezwungen wird. Dies ist der Fall, wenn breite Bevölkerungsschichten und wichtige Marktakteure trotz fehlenden Garantiezusagen der Zentralbank auf Stützungsmaßnahmen in Krisenzeiten vertrauen, entsprechend riskante Anlageentscheidungen treffen und die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger im Krisenfall dieses Vertrauen rechtfertigen müssen, wenn sie angesichts von Systemrelevanz unerwünschte wirtschaftliche und soziale Folgen vermeiden wollen. Neben Einlagen in nahezu unbegrenzter Höhe profitieren dann im Endeffekt auch andere Anlageinstrumente wie beispielsweise Anteile an Geldmarktfonds von impliziten Garantien. Aus Sicht der Marktakteure sind die Risiken der Anlageformen damit teilweise verschwunden – allerdings nur, weil sie gleichzeitig auf die Allgemeinheit überwälzt wurden.” Richtig.

NZZ: Vollgeld, Liquidität und Stabilität, 12. Mai 2014