“Sterbehilfe für den Sparer”

Nachdem ich mich in den letzten Tagen intensiv mit dem Thema “Zinsniveau” und den Gründen für die tiefen Zinsen beschäftigt habe, gehe ich jetzt auf einen Beitrag des von mir höchst geschätzten Thomas Mayer und seine Sicht auf diese Dinge ein:

  • “Die These von der Ersparnisschwemme geistert seit biblischen Zeiten durch die Welt. In den 1920er-Jahren brachten Waddill Catchings und William Foster sie dem breiten Publikum bei. Sie stellten die Theorie auf, dass es zwar für den Einzelnen Sinn mache, zu sparen, es aber zu Nachfragemangel und Rezession führe, wenn alle dies täten.” bto: Das erklärt übrigens, weshalb diese Theorie vor allem in den USA populär ist.
  • Keynes baute es in seine Theorie ein. Dass Friedrich von Hayek das Paradox schon 1929 detailliert kritisiert hatte, störte Keynes wenig. Hayek hatte Catchings und Foster vorgeworfen, verkannt zu haben, dass Ersparnisse dazu verwendet werden, den Produktionsprozess von Konsumgütern tiefer zu gliedern. Mehr Kapital werde gebildet, um mehr Konsumgüter herzustellen. Der Zins spiegle die Zeitpräferenz der Akteure wider und steuere die Tiefe des Produktionsprozesses. Da auch die in den Vorstufen der Konsumgüterproduktion Beschäftigten mit den in der Endstufe hergestellten Konsumgütern versorgt werden müssten, führe Ersparnis keineswegs zu einem Konsumgüterüberschuss.” bto: Natürlich ist die Voraussetzung, dass das Ersparte auch wirklich produktiv angelegt wird, was bekanntlich nicht immer der Fall ist.
  • “Trifft das Sparparadox aber nicht zu, dann ist die wichtigste Folge der Zinsmanipulation der Zentralbanken, dass überschuldete Unternehmen, private Haushalte und Staaten vor dem Bankrott bewahrt werden.” bto: Nur darum geht es!
  • “Diese Wirtschaftseinheiten sind zu schwach und kraftlos, um zu expandieren. Wirtschaft und Produktivität stagnieren und die Preise liegen wie Blei am Boden. Da die Zentralbank diese Symptome nicht als eine Folge ihrer eigenen Politik erkennt, sondern daraus die Notwendigkeit ableitet, ihre Politik zu verschärfen, verschlimmert sich die Lage.” bto: auch hier Konsens!

Fazit Mayer: “Das Fatale dabei ist, dass die Zentralbanken die Wirtschaft auf der Grundlage einer Theorie, für deren Gültigkeit es keine empirischen Belege gibt, womöglich zu Tode kurieren. Das erinnert an die Medizin im Mittelalter. Damals wurde der Kranke vom Arzt geschröpft, um ihn zu heilen. Blieb die Genesung aus, wurde er nur umso heftiger zur Ader gelassen, bis er entweder trotz Therapie auf natürliche Art wieder gesund wurde oder wegen ihr starb.”

bto: In der Folgerung bin ich bei Mayer. Was das Thema der Ersparnisse betrifft, bin ich angesichts der Geldschöpfungsmöglichkeit der Banken nicht mehr ganz so überzeugt. Klar ist, dass es mindestens im Umfang der Zinsen auf den ausstehenden Schulden eine Mehrnachfrage geben muss, um das System zu stabilisieren.

→ F.A.Z.: “Sterbehilfe für den Sparer”, 29. Oktober 2016