Staatsschulden – wirklich so schlecht?

Ein Leser hat mich auf ein interessantes Paper von James Montier von GMO hingewiesen. Darin hinterfragt er die allgemeinen Annahmen zu den Folgen von Staatsschulden und verwirft diese als Mythen. Mythen sind demzufolge, dass

  • Regierungen wie private Haushalte wirtschaften müssen,
  • die direkte Finanzierung von Staaten durch die Notenbanken inflationär wirkt,
  • hohe Staatsschulden zu höheren Zinsen führen,
  • man nicht ewig Schulden machen kann,
  • Schulden zu einer Belastung der künftigen Generationen führen.

Ich denke, er hat Recht, wenn er dies als Mythen bezeichnet, weil es immer auf die Rahmenbedingungen ankommt. Ganz eindeutig gehöre ich allerdings in das Lager derer, die denken, dass man nicht ewig Schulden machen kann. Montier sieht dies anders, wobei er dies nur für jene Staaten anders sieht, die über eine eigene Notenbank verfügen.

Schauen wir uns seine Argumentation der Reihe nach an.

  1. Staaten müssen so wirtschaften wie private Haushalte

Hier kommt Montier zunächst mit der – immer wiederholenswerten – Grundgleichung, wonach die Summe der Ersparnisse einer Volkswirtschaft per Definition null sein muss: Nettoersparnis des Privatsektors (S-I) plus Nettoersparnis des Staates (G-T) entspricht dem Exportüberschuss (X-M), der nichts anderes ist als der Nettokapitalexport. Wenn also Länder sowohl im Privatsektor netto sparen, wie auch beim Staat, müssen sie per Definition einen Außenhandelsüberschuss haben und Kapital exportieren. Genau, so wie wir in Deutschland! Je schwärzer die Null beim Staat, desto mehr müssen wir als Außenhandelsüberschuss generieren und damit es klappt, immer mehr Kredite vergeben!

Für die USA zeigt Montier diese Darstellung:

US Sectoral Balances

Probleme gab es übrigens immer, nachdem der Privatsektor zu viele Schulden gemacht hat, nicht als es der Staat machte. Private in den USA und aus dem Ausland (unter anderem wir!) gaben nur zu bereitwillig Kredit, mit dem die Amerikaner dann unsere Waren gekauft haben. Zeigt wieder mal, wie falsch unsere Wirtschaftspolitik ist. Denn Forderungen an das Ausland müssen auch werthaltig sein!

Montier schließt daraus, dass es für Staaten völlig in Ordnung ist, Schulden zu machen, wenn andere sparen und es so gesehen keine Rolle spielt. Ich denke, es hat durchaus Konsequenzen, weil es Verteilungswirkungen hat. Sobald der Staat zu hohe Schulden hat – bzw. die Privaten zu hohe Forderungen – scheint das Realwachstum zu sinken, wie Studien zeigen. Deshalb wären wohl mehr direkter Konsum des Privatsektors und vor allem Investitionen besser für Wachstum und Wohlstand.

Dazu passt auch der Hinweis, dass die Staatsschulden nie getilgt werden. Das stimmt auch, denn zur Tilgung müsste der Staat entweder die Privaten in gleicher Höhe besteuern oder aber durch die Notenbank in gleicher Höhe neues Geld schaffen lassen. Das bedeutet übersetzt: Staatsgläubiger werden ihre Forderung so oder so in Zukunft verlieren.

Wenn man das so durchdenkt, muss man sich fragen, ob es intelligent ist, dem Staat Geld zu leihen. Wäre es nicht effizienter, es gleich durch Steuern einzutreiben?

  1. Finanzierung des Staates durch die Notenbank wirkt inflationär

 Hier würde ich spontan sagen: Es kommt auf den Umfang an. Wenn der Staat, wie in Weimar durch die Notenbank, einen Großteil der laufenden Ausgaben finanziert, muss es zwangsläufig zu einer massiven Inflation kommen. Finanziert die Notenbank ein paar Prozent des Staatshaushaltes jährlich, so dürfte das praktisch keine spürbaren Auswirkungen haben. Das liegt dann natürlich an anderen Faktoren wie der Kapazitätsauslastung etc. Auf jeden Fall lässt es sich empirisch schlecht messen, weil der Vergleichspunkt nur theoretisch vorliegt, nicht praktisch.

Montier argumentiert so: Die Tatsache alleine, dass neues Geld den Staat finanziert, treibt die Preise nicht. Er zeigt dies dann auch am Beispiel der USA und natürlich Japans:

Defizite und Inflation

In den USA gab es Inflation, als der Staat im Rahmen des Krieges finanziert wurde (Zweiter Weltkrieg und Vietnam), was meines Erachtens den Nachfrageeffekt zeigt. Wenn die zusätzliche Nachfrage des Staates die Kapazitäten auslastet, steigen die Preise.

Man könnte natürlich argumentieren, dass die Preise bei geringen Defiziten ohne die notenbankfinanzierte Staatsnachfrage noch weniger gestiegen oder gefallen wären. Kann man aber nicht beweisen.

  1. Staatsschulden bewirken höhere Zinsen

Leicht widerlegen lässt sich die These, dass höhere Schulden zu höheren Zinsen führen, weil die Nachfrage nach Kredit steigt und damit bei unverändertem Angebot der Preis dafür. Dem ist nicht so, weil – wie auch bei bto mehr als einmal dargelegt – Geld vom Bankensystem durch die Vergabe von Krediten geschaffen wird. Desto mehr sich also ein Staat leiht, desto mehr Geld gibt es und wird damit umso mehr von den Banken angeboten. Das Zinsniveau sinkt also. Dies zeigt auch die Empirie:

Defizite und Zinsen

Hier kommt natürlich Skepsis auf. Sobald nämlich befürchtet wird, dass ein Staat nicht bezahlen kann oder will, steigen die Zinsen selbstverständlich. Die Beispiele, die mir einfallen, sind allerdings immer Länder ohne Zugriff auf eine eigene Notenpresse wie Griechenland und Puerto Rico. Dennoch sollte die Erkenntnis, dass steigende Schulden tendenziell die Wahrscheinlichkeit eines Forderungsverlustes für den Gläubiger erhöhen, irgendeine konkrete Folge haben. Oder ist es einfach mit einem immer höheren Anteil der direkten Finanzierung durch die Notenbank getan? Bald gehören alle Staatsschulden Japans der eigenen Notenbank und sind – wie Adair Turner immer wieder erläutert – damit einfach annullierbar. Geht es so einfach? Wenn ja, dann haben wir kein Problem. Nur welche Wirkung haben die Staatsschulden dann gehabt? Ich würde es so sehen: Mit den Staatsschulden hat sich der Staat einen Konsum geleistet, ohne diesen zeitgleich als Steuern einzutreiben. Wenn er den Konsum mit neu geschaffenem Geld finanziert, muss das indirekt auf das Preisniveau wirken und sei es nur, dass die Preise weniger fallen, als sie sonst gefallen wären. Fallende Preise sind nämlich die normale Folge des Produktivitätsfortschritts.

Kernfazit bleibt aber: Länder mit eigener Notenbank stehen nicht vor höheren Zinsen, weil der Staat mehr Schulden macht. Eher das Gegenteil ist der Fall.

  1. Man kann nicht ewig Schulden machen

Die Logik für nachhaltig tragfähige Schulden ist, dass die Schulden nicht ewig schneller wachsen als die Wirtschaft. Dazu muss das reale Zinsniveau unter dem realen Wirtschaftswachstum liegen. (bto: Dahinter steht die Annahme, dass der Staat sich immer das Geld für die Zinszahlungen leiht und das sogenannte Primärdefizit, also vor den Zinszahlungen, nicht zu groß ist.)

Montier modelliert auch dieses und zeigt, dass es für die USA und selbst für Japan gar kein Problem ist, so weiterzumachen wie bisher. Griechenland dagegen ist offensichtlich nicht nachhaltig.

Sustainability

Montier betont sodann, dass es unrealistisch ist anzunehmen, es ginge immer so weiter. Staaten würden ihr Verhalten ändern, lange bevor es ein Problem gäbe. Ohnehin könnten Notenbanken den Zins IMMER unter der Wachstumsrate der Wirtschaft halten und so die Schulden tragbar machen. Was nur ein Problem ist, wenn die Notenbank nicht unter Kontrolle ist. Siehe EZB. (bto: wobei sich Letzteres geändert hat und die EZB faktisch die Pleite eines Mitgliedslandes ausschließt.)

  1. Kein Problem mit der Generationengerechtigkeit

Diesen Punkt hakt Montier zu Recht, wie ich finde, kurz ab: Es ist kein Problem zwischen Generationen, sondern innerhalb von Generationen. Es gibt zwar Staatsschulden, doch die Gläubiger sind wiederum die Erben der heutigen Gläubiger, womit es ein Verteilungskonflikt innerhalb der Generation ist, nicht zwischen den Generationen.

Ich würde dies mit Blick auf die Renten anders sehen. Weil wir heute für Rentner bezahlen, sollen wir künftig von anderen Arbeitnehmern und Steuerzahlern alimentiert werden. Das ist schon ein Generationenproblem, vor allem wenn die Anzahl Schultern deutlich sinkt. Offizielle Staatsschulden sind Probleme innerhalb einer Generation, verdeckte Staatsschulden zwischen den Generationen.

Dann kommt Montier aber zu seinem eigentlichen Ansinnen, mit dem er sich sehr gut in den Kreis Jener einreiht, die derzeit laut nach neuen Maßnahmen rufen, um die Dauerkrise zu überwinden: mehr Staatsausgaben. Die Staaten sollten richtig Geld in die Hand nehmen und investieren, um auf diese Art und Weise die Wirtschaft zu beleben. Dann könnte die Geldpolitik auch wieder normalisiert werden und die Zinsen steigen.

Ich denke, es wird beides geben: billiges Geld, direkte Staatsfinanzierung und große staatsfinanzierte Programme, um die Nachfrage zu stärken. Und am Schluss schreibt man das ganze Geld einfach ab. Hier nachzulesen:→ Monetarisierung: Rettung oder Desaster?

 

→ James Montier: “Market Macro Myths: Debts, Deficits, and Delusions”, Januar 2016

Kommentare (6) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Montier beginnt mit der Auffassung, Regierungen sollten hinsichtlich ihres Budgets nicht „sound finance“ sondern„functional finance“ betreiben. Dies würde gewährleisten (ensure), dass die Wirtschaftspolitik helfen könne, makroökonomische Politikziele, wie Vollbeschäftigung und Preisstabilität zu erreichen.

    Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen.

    Denn wenn die Finanzen „funktionieren“, dann sind nicht sie es, wenn die realwirtschaftlichen Ziele nicht erreicht werden.

    Er zeigt nun, dass dauerhafte Staatsdefizite möglich sind, wenn die Rate des realen Zinses niedriger als die reale Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts ist.

    Sie sind möglich, weil die Notenbanken den Zins unter der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts halten können.

    Dauerhafte Staatsdefizite funktionieren also – das Gegenteil zu behaupten, ist demnach ein Mythos.

    Soweit so gut.

    Was ist aber mit der Schlussfolgerung?

    GEWÄHRLEISTEN dauerhafte Staatsdefizite, dass die Wirtschaftspolitik helfen könne, makroökonomische Politikziele zu erreichen?

    Nein.

    Denn die Wirtschaftspolitik, die erforderlich wäre, um makroökonomische Politikziele wie z. B. Vollbeschäftigung zu erreichen, wird nicht betrieben, WENN dauerhafte Staatsdefizite möglich sind. Beispiele gibt es, in der Nachbarschaft ist dasItalien (da muss noch nicht einmal die obige Zins-Wachstumsbedingung erfüllt sein).

    Warum sollte Italien eine Wirtschaftspolitik hin zu Vollbeschäftigung betreiben (mit kurzfristig hässlichen Folgen), wenn es sich dauerhaft billig verschulden und so die ökonomische Situation stabil halten kann? Es hat keinen Anreiz dafür.

    Montier ist ein smarter Finanzfuzzy, aber kein Ökonom.

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  2. Dieter Krause
    Dieter Krause sagte:

    Wenn die Inflation stabil ist, JA! Aber eine Inflation von 20% pro Jahr kann man eigentlich nicht wirklich stabil halten – die floatet dann wohl eher von 10% bis 50%! Als Unternehemr kann man damit eigentlich ganz gut leben – man investiert wie verrückt und kann auf ausländischen Märkten (wenn man seine Produkte exportieren kann) gut Marktanteile über den Preis gewinnen! Am Ende sind vielleicht alle sogar zufriedener als ohne Inflation – auch die Arbeiter, die jedes Jahr mehr in der Tasche haben! Importe (und Vorprodukte aus dem Ausland) werden dann natürlich immer teurer – also Produktion vor allem in Italien! Italien hat sich aber wohl erst richtig in der Zeit der hohen Inflation industrialisiert oder (ab 1960)? Weil eben auch ausländische Unternehmen dann das Land als Produktionsstandort reizvoll fanden. Im übrigen ist eine hohe Inflation immer auch eine Steuer auf alles Schwarzgeld! Und man kann damit schön seinen Haushalt – zumindest z.T. – mit finanzieren (in Italien und Griechenland in der Vor-Euro-Zeit wohl so um die 5 – 15%)! Schlecht ist hohe Inflation aber wohl immer für Gehalts- und Rentenempfänger! Den die sind selten auch inflationsindexiert. Zu Staatsanleihen bei hoher Inflation: Kommt auf die Konzeption der Staatsanleihe (und die Entwicklung der Inflation – nach oben oder unten – an! Und auf den Gesamtmarkt! Kann man pauschal so gar nicht sagen. – Ihre Einschätzug zu Italien ist aber zu simpel: Sie müssen auch die damalige positive Demografie und die ungesätttigten Konsummärkte – wie fast überall in Westeuropa – mit sehen! Heute ist Italien ein teilweise deindustrialisiertes Land – auch durch das rigide Euro-Korsett!

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  3. Ondoron
    Ondoron sagte:

    Finanzierung des Staats durch die Notenpresse wirkt nicht inflationär? Aha… Wie wird denn Inflation gemessen? Heute und beispielsweise 1980? Und asset-price-inflation? Jaja, Mythen über Mythen.
    Das ist wohl eher kollektivistische Ideologie.

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  4. Ralph Klages
    Ralph Klages sagte:

    Ganz schön verzwickt: “Desto mehr sich also ein Staat leiht, desto mehr Geld gibt es und wird damit umso mehr von den Banken angeboten. Das Zinsniveau sinkt also. Dies zeigt auch die Empirie:” So weit o.k., Zinsen sinken kurzfristig. Geldmenge steigt aber an. “Dennoch sollte die Erkenntnis, dass steigende Schulden tendenziell die Wahrscheinlichkeit eines Forderungsverlustes für den Gläubiger erhöhen, irgendeine konkrete Folge haben.” Nur welche ?
    “Wenn er den Konsum mit neu geschaffenem Geld finanziert, muss das indirekt auf das Preisniveau wirken….” (und sei es nur, dass die Preise weniger fallen, als sie sonst gefallen wären). Welchen Konsum ? Steckt er das geliehene Geld in den Konsum, oder Investitionen, oder in die Begleichung alter Schulden, denen Fehlinvestitionen voraus gingen?
    “Die Logik für nachhaltig tragfähige Schulden ist, dass die Schulden nicht ewig schneller wachsen als die Wirtschaft.” Das ist so. Nur augenblicklich wachsen die Schulden immens – die Wirtschaft nur wenig. Und bitte schön: Die Geldmenge steigt unaufhörlich.
    “Offizielle Staatsschulden sind Probleme innerhalb einer Generation, verdeckte Staatsschulden zwischen den Generationen.” Na ja. Mag sein. Aber ganz naiv gesagt: Im Zeitalter der Verhütung gibt es keine Generationen mehr, weil die Wellen immer weiter auseinander driften. Natürlich macht sich jeder Verantwortungsvolle Sorgen über die Lasten seiner Nachfahren; na ja, Frau Merkel vielleicht nicht. Betrifft also letztlich doch alle.
    So richtig will mir das “Wegbeamen” von Schulden nicht in den Kopf. Ich sehe das als potentieller Anleger ganz einfach: Stellen Sie sich mal Italien mit Lire von 20 Jahren vor: Würden Sie da Staatsanleihen kaufen? Vielleicht. Hängt am zu erwartendem Risiko. Und das lassen Sie sich bezahlen – über den Zins. Garantiert würden Sie für 6 Jahre unter 10% p.a. nicht kaufen (oder gekauft haben). Warum wohl? Genau: Sie misstrauen dem Staat (und seinen Aktivitäten). Trivial. Wenn nun also die Zinsen künstlich unten gehalten werden durch ein “vorläufiges” Überangebot an Geld (s.o.), dann steigt die Geldmenge gewaltig an. Gleichermaßen wird der eigentliche Marktzins außer Kraft gesetzt. Ob das lange gut geht? Ja, bei grandiosem Wachstum kurzzeitig schon. Aber das haben wir derzeit nicht – und nicht in Aussicht. Und Italien hatte das auch nicht, mit der Folge ständig weiteren Vertrauensverlustes, Inflation und Abwertung.
    Die eigentlich Frage stellt sich aber, was passiert, wenn die Zinsen wieder marktgerecht werden, weil das Vertrauen in Geld und seine Möglichkeiten schwindet und/oder die Sparer schlicht revoltieren. Also quasi Staat auf Entzug.

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  5. Dieter Krause
    Dieter Krause sagte:

    “Wenn der Staat, wie in Weimar durch die Notenbank, einen Großteil der laufenden Ausgaben finanziert, muss es zwangsläufig zu einer massiven Inflation kommen.” –

    Im November 1918 überstiegen die Schulden des Reiches mit etwa 150 Milliarden Mark das Volkseinkommen des Jahres 1919 von geschätzten 142 Milliarden Mark. Weil es den Krieg verloren hatte, konnte das Deutsche Reich die Kriegslasten nicht auf andere Staaten abwälzen. Im Gegenteil, das Reich musste selbst Reparationen zahlen, was die Inflation noch verstärkte. Denn auch die Reparationen wurden über das Drucken zusätzlichen Papiergeldes bezahlt. Zwar waren die Reparationen in Fremdwährungen oder in Goldmark zu zahlen, die dafür nötigen Mittel besorgte sich der Staat aber über die (unkontrollierte) Vermehrung des eigenen Papiergeldes. Mit dem so provozierten Ruin der eigenen Währung wollte das Deutsche Reich auch demonstrieren, dass die Reparationszahlungspflichten nach dem Versailler Vertrag überzogen bzw. nicht leistbar seien.

    Nachdem das Kabinett Fehrenbach im Mai 1921 durch die Regierung Wirth abgelöst wurde, nahm die Staatsverschuldung weiter und besonders stark zu. Die Summe der durch den Reichstag bis zum Oktober 1922 genehmigten Anleihekredite summierte sich auf circa 383 Milliarden Mark. Gleichzeitig steigerten sich die von der Reichsbank diskontierten Schatzanweisungen auf rund 427 Milliarden Mark. Der Bargeldumlauf erhöhte sich von 71,8 Milliarden auf ungefähr 469,4 Milliarden Mark. Hierbei ist auffällig, dass erstens die Menge der von der Reichsbank angenommenen Schatzanweisungen die Menge der Bewilligten überstieg und zweitens dass die Bargeldmenge die Summe an Anleihekrediten übertraf. Die Reichsbank war nicht mehr in ausreichendem Maße in der Lage die Reichsschatzanweisungen auf dem Kapitalmarkt zu platzieren und somit verblieb ein Teil im Bestand der Bank.Neben den Sozialkosten erhöhte sich das Staatsdefizit durch die Reparationszahlungen. Besonders die Ergebnisse des Londoner Ultimatums vom 05. Mai 1921 wiesen der Inflation den entscheidenden Weg in die Hyperinflation. Ausschlaggebend war die Beibehaltung der Zahlung in wertbeständigen Devisen über die Goldmarkrechnung, die weiter im Raum stehende Unsicherheit über die reale Belastung des Reichshaushaltes und die damit verbundenen negativen Folgen für den deutschen Geldmarkt. Da sich der Außenwert der Mark konstant verschlechterte war eine exakte Berechnung der einzelnen Reparationszahlungen aufgrund der Umrechnung in Goldmark kaum möglich. Hierbei war ebenfalls die Aufteilung in Sach– und Geldleistungen problematisch, da diese je nach Vorgabe die Reparationszahlungen in Mark umgerechnet stark verändern konnte.

    Die Inflation von 1920 bis 1923 war damals politisch ausdrücklich GEWOLLT! Die Inflationierung der Mark – verbunden mit der Neuschaffung erorbitanter Geldsummen – war einerseits zur Ruhigstellung der immer noch stark revolutionären Arbeiter gedacht: Mit bewußter Preis-, Lohn- und Gehaltsinflationierung zur Ankurbelung der Konjunktur und Vollbeschäftigung (auch um die durch den Versailler Vertrag geforderten Reparationszahlungen in Devisen – durch erhebliche Exportüberschüsse des Reiches – erwirtschaften zu können, was freilich die Währungen und die Wirtschaft der Defizitländer – vor allem Englands nach der Wiedereinführung des Goldstandards zu Vorkriegsparität(!) – auch enorm belastete, durch erheblichen Aufwertungsdruck). Bis Ende 1923 wurden aber auch die Milliarden Staatschulden bei der eigenen Bevölkerung aus dem Krieg (sieben Kriegsanleihen!) weginflationiert (mit Urteil des damaligen Reichsgerichtes, dass diese Form der staatlichen Enteignung statthaft wäre – freilich interessanter Weise nicht bei den privaten Schulden):

    Abkehr vom Prinzip Mark gleich Mark

    In Folge der Hyperinflation hatten viele Schuldner ihre Kredite mit wertlosem Papiergeld zurückgezahlt. Besonders auf Immobilienbesitzer kündigten ab 1922 reihenweise ihre Hypothekenschulden und beglichen ihre Immobilienkredite auf einen Schlag. Als Präsedenzfall für spätere Urteile kann das Urteil des Reichsgerichtes in Leipzig vom 28. November 1923 angesehen werden. Das Gericht bewertete die Tilgung mit entwertetem Geld nicht als Tilgung der Schuld. Vor diesem Urteil hielt die Justiz an dem Nominalprinzip Mark = Mark fest. Trotz der Anerkennung der Forderungen ging das Reichsgericht nicht auf die Höhe möglicher Rückzahlungen ein, sondern billigte den untergeordneten Gerichten für den Einzelfall Ermessungsspielräume zu. Dieses Urteil bedeutete eine rechtliche Unvorhersehbarkeit und resultierte in einer Prozesslawine, die erst 1928 vollständig endete.

    In der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 hat Deutschland dann aber – bedingt durch die ausgesprochen negativen Erfahrungen mit der Hyperinflation von 1923 – durch das Festhalten an der Golddeckung der Mark nicht genug neues Geld (für staatliche Beschäftigungsprogramme etc.) geschaffen (z.T. bedingt auch durch die restriktiven Auflagen der Franzosen, Engländer und Amerikaner, die bei der Zins- und Geldpolitik der Reichsbank nach 1923 alle mitzureden hatten)! Das hat erst Schacht ab 1932 mit den Mafo-Wechseln gemacht (womit Hitler dann auch seine Aufrüstung zu großen Teilen finanzierte). In den USA ging in der Weltwirtschaftskrise von 1929 die umlaufende Geldmenge übrigens um ca. ein Drittel(!) zurück – mit enormen Deflationsauswirkungen! Der Ex-Fed-Chef Bernanke hat sich ein halbes Berufsleben als Ökonom mit dieser Wirtschaftskrise von 1929 in den USA beschäftigt – deshalb auch seine Geldschleusenöffnung nach der Finanzkrise von 2008: Um einer erneuten Deflation unbedingt vorzubeugen!

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