Euro: Desaster mit Ankündigung – Zieht die EZB den Stecker? – Oder ist Deutschland erpressbar?

Es ist zwar müßig, weil die Politiker es nie eingestehen werden: Doch weder das Chaos des Euro noch sein definitives Ende sind fraglich. Es ist nur eine Frage der Zeit. Heute schauen wir aus zwei Blickwinkeln. Wie klar die Probleme vorhergesehen wurden, habe ich bei bto mehrfach gezeigt. Die NZZ erinnert an die Mahnungen vor 25 Jahren:

  • Im Sommer 1992 geschah in Deutschland sehr Ungewöhnliches. (…)  62 Professoren (warnten) vor den Folgen einer überhasteten Einführung der Währungsunion. Die Beschlüsse von Maastricht würden ein konfliktarmes Zusammenwachsen in Europa gefährden, lautete die Kernaussage.” – bto: Genauso ist es gekommen.
  • Schon das Europäische Währungssystem (EWS) habe nicht mehr gut funktioniert, nachdem ab 1987 die Wechselkursanpassungen aufgegeben worden seien und einige Länder dann durch ihre höhere Inflation massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren und Leistungsbilanzdefizite aufgebaut hätten. Eine Einheitswährung habe vor diesem Hintergrund nur Probleme bringen können.”
  • “Zur Kritik an der geplanten Währungsunion gehörte, dass die festgelegten Konvergenzkriterien zu weich seien. Zudem wurde befürchtet, die Eintrittskriterien würden nur am fixierten Termin eingehalten und später verwässert (bto: Bingo!), um grosse Unwägbarkeiten für einzelne Länder zu vermeiden. Auch der Konsens, Preisstabilität als Priorität zu betrachten, fehle in Europa (bto: Bingo!) und berge daher die Gefahr einer unkontrollierten Inflation (bto: noch nicht), hiess es. Ferner befürchteten die Ökonomen, der starke Konkurrenzdruck würde für die schwächeren Länder aufgrund ihrer geringeren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu wachsender Arbeitslosigkeit (bto: Bingo!) führen. Dies berge die Gefahr von Transferzahlungen (bto: Bingo!) im Sinn eines Finanzausgleichs. Die wirtschafts- und interessenpolitische Uneinigkeit in Europa würde letztlich dazu führen, dass eine Währungsunion grossen ökonomischen Spannungen (bto: Bingo!) ausgesetzt wäre, die zu einer politischen Zerreissprobe (bto: Bingo!) führen und damit das Integrationsziel in Europa gefährden würden. – bto: Es war also keine Überraschung!
  • Erkenntnis der Autoren heute: “Es habe sich erwiesen, dass die realen Unterschiede der Volkswirtschaften innerhalb der Währungsunion zu gross seien und sich das inhomogene Gebilde zwangsläufig in Richtung einer Transferunion entwickle. Dieser Prozess sei voll im Gang. Die Hoffnung, dass eine flexiblere Lohn- und Tarifpolitik sowie Wanderungsbewegungen der Menschen für einen Ausgleich innerhalb der Währungsunion sorgen würden, habe sich nicht erfüllt.” – bto: wie denn auch. Vor allem haben die Autoren den Schuldenboom aufgrund zu tiefer Zinsen nicht erwartet.
  • Völlig übersehen habe man damals nämlich, dass die unheilige Verbindung zwischen Staatsfinanzierung und Banken letztlich zu einer Staatsschulden-, Banken- und Zahlungsbilanzkrise führen würde.” – bto: Dabei ist die eigentliche Ursache die hohe Privatverschuldung.
  • Nicht bewahrheitet hat sich die Befürchtung einer aus dem Ruder laufenden Inflation. Ob dies aber (allein) ein Verdienst der Europäischen Zentralbank (EZB) ist, darf infrage gestellt werden. In den vergangenen 25 Jahren herrschte nämlich weltweit eine geringe Inflation, vermutlich dank der Globalisierung und dem scharfen Wettbewerb aus den Schwellenländern, der die Lohnkosten in Europa unter Druck setzte. Dazu kamen die Effizienzgewinne durch die Erfindung des Internets und die Digitalisierung, was ebenfalls zu sinkenden Preisen für zahlreiche Produkte beigetragen haben dürfte.” – bto: Das stimmt und gilt weltweit.
  • Aus geopolitischen Gründen glaubt (Rürup) nicht an einen Zerfall. Wenn der Euro zerbreche, drohe eine bipolare Währungswelt mit dem US-Dollar und dem erstarkenden chinesischen Renminbi. (…) Zudem wären die wirtschaftlichen und politischen Kosten eines Zerbrechens der Euro-Zone extrem hoch – gerade für Deutschland als sicheren Hafen mit hohen Forderungen an die Peripherieländer.” – bto: Da wird es deutlich ausgesprochen, wir sind erpressbar!
  • Gerade für Deutschland sei der Euro inzwischen Staatsräson. Man könne sich aber damit trösten, dass das Land aufgrund seiner grossen wirtschaftlichen und politischen Kraft immer eine gewisse Dominanz ausstrahlen werde – und so die Entwicklung dementsprechend stark beeinflussen könne.” – bto: Diese Erwartung halte ich für naiv. Ohne England sind wir alleine in der EU.

Zusammengehalten wird das Gebilde nun seit Jahren von der EZB. Ich persönlich denke, sie wird es auch weiterhin tun, weil, bei jedem Versuch, es nicht mehr zu tun, die Krise sofort da ist und die Politik – gerade die deutsche! – dann alles akzeptieren wird, um einen Offenbarungseid für das Projekt zu verhindern. So muss man auch das Theater um die Äußerungen Draghis zu den Folgen eines “taperings”, also eine Reduktion der Wertpapierkäufe sehen. Sie sollen zu Angst in den Märkten führen und damit das Argument liefern für die Antwort auf die Kritiker aus Deutschland. So durchsichtig!

In das gewünschte Horn bläst Ambroise Evans-Pritchard im Telegraph. Wobei alles, was er inhaltlich sagt, meines Erachtens zutrifft, nur nicht die Annahme, dass es dazu kommt:

  • Mario Draghi, the ECB’s president, said investors have come to rely on easy money from Frankfurt and nobody knows what will happen when the spigot is turned off. (…) The warning comes as investors fret about the fate of southern Europe’s debt markets once the ECB stops buying eurozone bonds, which it may have to do sooner than it may like as headline inflation picks up and pressure builds in Germany for an end to quantitative easing (QE).” – bto: Und genau darum die Show!
  • The risk spread on Italian 10-year bonds surged to 202 basis points on Monday, the highest since the start of the QE era. It is flirting with levels not seen since the tail-end of the eurozone debt crisis. French, Spanish, Portuguese, and Irish spreads all jumped sharply.” – bto: ja und? Das ist doch fern davon entfernt, wo die Zinsen angesichts der Fundamentaldaten liegen müssten.
  • ‚The ECB made a horrible mistake when it agreed to cut bond purchases. They are effectively telling Italy to go and blow up. This is how they are going to destroy the eurozone‘, said one former ECB governor.” – bto: Wenn es so wäre, wäre bald Schluss. Undenkbar.
  • The key tailwinds that have driven the eurozone’s cyclical recovery over the last two years – cheap oil, a weak euro, QE, and the end of fiscal austerity –  are either fading or turning into headwinds.” – bto: Ja, das stimmt und erhöht die Krisenwahrscheinlichkeit enorm. Aber wird die EZB die eigene Existenz beenden?
  • Hedge funds are quietly taking out short positions on Italian debt, betting that yields will punch much higher if the Italian treasury is left naked as it tries to sell €200bn of annual debt issuance. ‚Tapering will leave the Italy without the key buyer of its debt‘, said a recent report by Mediobanca.” – bto: Den Bericht hatte ich gestern Nachmittag. Das mit den Hedge Fonds sorgt mich nicht, da sie bekanntlich gerade mit Blick auf den Euro immer schieflagen.
  • Mr Draghi, himself a former governor of the Banca d’Italia, is acutely aware of the difficulties but faces a near impossible balancing act trying to help the South while keeping Germany and the north Europeans on board.” – bto: Darum macht er diese Show. Die Märkte sollen ihm die Argumente liefern, weiterzumachen.

Spannend bleibt es allemal. Ich würde es so zusammenfassen:

  1. Es ist unstrittig, dass es ein Fehler war.
  2. Es ist ebenso unstrittig, dass es so nicht funktionieren kann.
  3. Die Politiker wollen es nicht zugeben und bei uns vor allem die enormen Verluste verschleiern.
  4. Deshalb sind alle froh, dass die EZB ihnen Zeit kauft, bis sie nicht mehr im Amt sind.
  5. Die EZB wird dennoch kritisiert von den Gläubigern und jenen, die das Spiel durchschauen (wollen).
  6. Deshalb muss die EZB entsprechende Argumente erzeugen, zum Beispiel, indem sie in den Märkten für Stress sorgt, der aber noch beherrschbar ist.
  7. Dann “muss” sie handeln und die erpressbaren Gläubiger (bald 800 Milliarden Target2-Forderungen, die sehr wohl relevant werden, wenn das Ding explodiert!) werden zustimmen.
  8. Und auf zur nächsten Runde.

Endspiel? Offen. Guter Ausgang? Immer weniger wahrscheinlich.

→ NZZ: “Plädoyer für eine verkleinerte Euro-Zone”, 25. Januar 2017

→ The Telegraph: “ECB’s Mario Draghi warns on liquidity shock as tapering nears”, 6. Februar 2017