„In the long shadow of the Great Recession“

Nach längerer Zeit mal wieder ein interessanter Beitrag von Martin Wolf bei der FT. Er fasst darin nochmals sehr gut zusammen, weshalb sich die Erholung nach der Krise (o. k., man könnte auch sagen „in der Krise“, denn bekanntlich ist die aus meiner Sicht noch lange nicht vorbei) so schleppend verläuft und unterstreicht das mit einer – eigentlich bekannten – Abbildung:

Quelle: Financial Times

Nun zu seinen Schlussfolgerungen:

  • Es ist eine schwache Erholung von der Krise. Zwar wachsen nun alle Länder wieder, doch sie werden noch einige Jahre brauchen, um das Niveau von 2007 wieder zu erreichen. (bto: Jenes war durch Überkonsum auf der Basis von Schulden aufgebläht.) Eine Rückkehr zum Trend der Vorkrisenjahre ist nicht in Sicht. Wolf: Verlorene Jahrzehnte für diese Volkswirtschaften sind die Folge.
  • Dahinter liegt vor allem ein geringeres Produktivitätswachstum.  Eine Untersuchung von 23 Industrieländern zeigt, dass der Output im Schnitt 8,4 Prozent unter dem Vorkrisentrend liegt. Am besten steht die Schweiz da. – bto: ohne Verlust, wobei hier die zunehmende Frankenstärke meines Erachtens ebenfalls noch Spuren hinterlassen wird. Am stärksten ist der Einbruch in Griechenland mit 30 Prozent, was nicht verwundert. Der gesamte Verlust entspricht ungefähr dem BIP von Deutschland. Nicht schlecht.
  • Dabei wirkt der potenzielle Output auf den tatsächlichen. Ist also der potenzielle Output geringer, folgt dem auch ein geringerer tatsächlicher Output. Gründe dafür sind längere Arbeitslosigkeit, weniger Investitionen und Innovationen, ein Verlust des „animal spirits“. Weil es also schlecht ist, bleibt es schlecht, ist die Erkenntnis. Man spricht von „Hysteresis“. Laut Wikipedia: „(griech. hysteros ‚hinterher, später‘), charakterisiert ein – bezogen auf die Eingangsgröße – variant verzögertes Verhalten einer Ausgangsgröße. Allgemein formuliert handelt es sich um ein Systemverhalten, bei dem die Ausgangsgröße nicht allein von der unabhängig veränderlichen Eingangsgröße, sondern auch von dem vorherigen Zustand der Ausgangsgröße abhängt.“
  • Zugleich wird weniger in die Steigerung der Arbeitsproduktivität investiert. (Das Problem der geringen Investitionen hatte ich ebenfalls regelmäßig bei bto.) Der Rückgang ist deutlich, siehe Grafik:

  • Überall wurde weniger in Produktivitätssteigerung investiert, in den USA nicht mal genug, um die bestehende Produktivität zu erhalten.  – bto: Wo soll da bitte in Zukunft das Wachstum herkommen? Das zeigt, wie falsch die Geldpolitik wirkt. Sie setzt Anreize, auf Kredit zu spekulieren und Financial Engineering (FE) zu betreiben und nichtreale Investitionen zu tätigen. Diese werden eher unattraktiver durch die Signalwirkung des Zinses und die unbereinigten Überkapazitäten und Fehlinvestitionen.
  • Natürlich gibt es auch andere Argumente. Ich erwähnte oben, dass der Vorkrisentrend durch übermäßige Schulden überhöht ausgewiesen wird. Dem hält Wolf entgegen, dass die Schulden vor allem dem Kauf von Assets dienten und nicht so sehr realwirtschaftlichen Effekt hatten. Ich sehe das in einigen Ländern wie Spanien und Irland dediziert anders. Ohne Schulden kein Bauboom und ohne Bauboom kein hohes Wachstum.
  • Andere vermuten neue Technologien, die in den Statistiken nicht richtig erfasst werden. Wolf entgegnet dem – zu Recht wie ich finde, dass dies nicht den Rückgang seit der Krise und die unterschiedliche Entwicklung zwischen den Ländern erklärt.
  • Zudem ging die Produktivität schon vor der Krise zurück. Allerdings betont Wolf, dass dies vor allem für die USA zutrifft, weniger für die anderen Länder.
  • Wolf hält deshalb die Hysteresis-Hypothese für die wahrscheinlichste und leitet daraus ab, dass wir nach Möglichkeit Krisen verhindern sollten und wenn welche eintreten, diese umso entschlossener (durch mehr Geldausgaben des Staates, unterstützt von der Notenbank) bekämpfen müssen. Staatliche Investitionen würden kurzfristig helfen und das langfristige Potenzialwachstum erhöhen.
  • Dabei blickt Wolf auf die Entwicklung nach 1929, wobei er sich keine Wiederholung eines Krieges erhofft. (Wer würde das schon.) Was er nicht erwähnt, ist übrigens die Bereinigung der Überschuldungssituation in den Jahren bis 1950. Wie er ebenfalls mit keinem Wort erwähnt, dass es doch die Schuldenlast sein könnte, die hinter der Malaise steckt.

So springt er am Ende zu kurz. Mehr Regulierung des Finanzsektors ist ja nett. Mehr Staatsausgaben sind o. k. Doch was ist mit dem Thema Überschuldung? Der aktuelle Politikwechsel hin zu mehr Staatsausgaben mit perspektivischer Finanzierung durch die EZB treibt uns nur mehr in das japanische Szenario.

→ FT (Anmeldung erforderlich): „In the long shadow of the Great Recession“, 10. November 2015