„Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zinsen und Bewertung“

Ich bin ein großer Fan des Value Investing ‒ siehe Im Einkauf liegt der Gewinn ‒ und Bewunderer der Analysen von James Montier, der mittlerweile beim Bostoner Vermögensverwalter GMO tätig ist. Schon mehrmals habe ich seine Thesen hier verlinkt. Hier ein Streitgespräch mit Bruce Greenwald, Professor an der Columbia Business School in New York und ebenfalls ein Value Investor. Sehr lesenswert. Ein paar Highlights:

  • „Greenwald:  Ich hätte nie gedacht, dass die Gemeinschaftswährung überleben kann – wegen der Handelsungleichgewichte und der kulturellen Unterschiede. Doch sie wird überleben, koste es, was es wolle – und die Kosten werden für die schwächeren Staaten, die ihre Währung nicht abwerten können, enorm hoch sein.“ ‒ bto: richtig. Und genau deshalb wird es nicht ewig funktionieren. Das hält politisch nicht. Schon bei der nächsten Krise wird es eng.
  • „Montier: Wenn die Eurozone zusammenbleibt, wird es rollende Krisen geben. Dadurch gewinnen antieuropäische Strömungen an Beliebtheit. Wenn die Kosten des Zusammenbleibens zu hoch werden, bricht die Eurozone auseinander.“ ‒ bto: genau.
  • „Montier: Es macht einen grossen Unterschied, wo die Verschuldung anfällt. Bei Privaten sind hohe Schulden problematischer als beim Staat, wo in den letzten Jahren der grösste Zuwachs stattgefunden hat. Der Staat unterliegt nicht denselben Zwängen wie der Privatsektor, denn er kontrolliert die Notenpresse. Deshalb sind Staatsschulden kein Problem. Systemisches Risiko existiert nur bei privaten Schulden.“ ‒ bto: naja. Zunächst gilt das, wenn der Staat die Währung alleine kontrolliert. Im Euroraum nicht gegeben. Und für die Investoren bedeutet es real dennoch Verluste.
  • „Greenwald: Für die Unternehmen sind die Zinsausgaben, also Schuldenstand mal Zinssatz, in den letzten Jahren stetig gesunken. Für die Staaten war dieser Rückgang noch massiver, sogar in Japan, wo die Nettoverschuldung – Bruttoverschuldung abzüglich Finanzaktiva – 150% der jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt. Mit 0,5% Nominalzins respektive 1% Realzins resultiert eine Belastung von 1,5% des Bruttoinlandprodukts – das ist tragbar.“ ‒ bto: Das stimmt. Dennoch wachsen die Schulden ungebremst weiter. Irgendwann müssen die Zinsen bei null sein.
  • „Greenwald: Das grösste Problem ist, dass mancherorts alles darangesetzt wird, den Industriesektor zu schützen. Und dies, obwohl der Industrie das gleiche Schicksal droht wie der Landwirtschaft in den Zwanzigerjahren, als die Preise für Agrargüter und die Einkommen der Landwirte während Jahren sanken und für stetigen deflationären Druck sorgten. Wenn man wie Japan oder Europa bei der Strukturerhaltung zu aggressiv vorgeht, resultiert schwaches Wachstum. Im Bestreben, die eigenen Probleme zu exportieren, wachsen zudem die finanziellen Ungleichgewichte. Der Untergang der Industrie ist eine tief verwurzelte, strukturelle Krise, die nicht richtig verstanden wird. Deshalb wird viel Zeit verschwendet, über Nebenschauplätze wie die hohe Verschuldung oder Vermögenspreisblasen zu debattieren.“ ‒ bto: Ich finde, die Diskussion zu Schulden durchaus relevant, passt aber zu dem Gesamtbild. Ich sehe das bekanntlich als „Kondratieff-Winter“. Niemand investiert, weil der Umbruch bevorsteht, was die Schuldenproblematik verschärft.
  • „Montier: Die Zentralbank kann jedes Zinsniveau ansteuern, das sie wünscht. Sollten Anleger plötzlich ihre Treasuries abstossen, nimmt die US-Notenbank einfach die Gegenseite ein und kauft die Anleihen auf. Die Zinsen ändern sich dadurch nicht, übrig bleibt höchstens ein Wechselkurseffekt, wenn die erhaltenen Dollar in die Heimwährung getauscht werden.“ ‒ bto: Da gibt es auch andere Meinungen mit Blick auf die demografische Entwicklung.
  • „Montier: Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zinsen und Aktienbewertung, auch wenn das immer wieder behauptet wird. In der Vergangenheit sind alle möglichen Kombinationen aufgetreten: Niedrige Zinsen gingen sowohl mit hohem wie mit niedrigem Aktienertrag einher – genauso wie hohe Zinsen. Deshalb glaube ich nicht an eine dauerhaft höhere Bewertung, nur weil die Zinsen niedrig sind.“ ‒ bto: Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Es gibt keine Garantie für hohe Aktienbewertungen.
  • „Montier: Obwohl sich die Welt seit 1871 dramatisch verändert hat, sehe ich beim Shiller-KGV keinen Strukturbruch – es ist über all die Jahre immer wieder zum Mittelwert zurückgekehrt. Die höheren Gewinne sind nicht nachhaltig. Dabei geht es weniger um die Margen, die tatsächlich hoch bleiben können, sondern um die Kapitalrenditen, die trotz hoher Margen niedrig sein und zum Mittelwert zurückkehren können.“ ‒ bto: Das halte ich für ein sehr richtiges und wichtiges Argument! Irgendwann kippen die Überrenditen. Entweder durch Strukturbrüche/neue Wettbewerber oder Besteuerung.
  • „Greenwald: Grossinvestoren wie Warren Buffett können von der hohen Differenz zwischen den Kapitalrenditen von Qualitätsunternehmen und den niedrigen Zinsen profitieren. Die Investoren können ein solches Unternehmen übernehmen und dazu veranlassen, zu extrem günstigen Konditionen Fremdkapital aufzunehmen und eigene Aktien aufzukaufen.“ ‒ bto: was US-Unternehmen ja im großen Stil machen. Ich bin nicht von der Nachhaltigkeit überzeugt, gerade auch nicht mit Blick auf die Gefahr einer Inflation, die empirisch für niedriger verschuldete Unternehmen besser ist.
  • „Montier: Gold ist eine Versicherung gegen ein mögliches Desaster, doch Sie wissen nicht, was Sie für diese Versicherung bezahlen, weil man Gold nicht bewerten kann.“
  • „Greenwald: Beim Investieren geht es darum, Vergleiche anzustellen. Was ist das bessere Investment: Gold mit einer Nullrendite, das in rezessiven Zeiten möglicherweise nicht gut abschneidet, oder die Aktien von Nestlé mit 3,1% Dividendenrendite, die sich sowohl in inflationären wie deflationären Zeiten behaupten? Für mich ist der Fall klar.“

→ FINANZ und WIRTSCHAFT:„Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zinsen und Bewertung“ , 24. Juni 2015

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