Die Ursachen der Finanzkrise belasten uns wohl noch lange

Raghuram Rajan gehört zu den wenigen Experten, die wie William White die Finanzkrise vorhergesehen haben. Im Sommer 2005 warnte er bei der Tagung der Notenbanker in Jackson Hole bereits vor der sich abzeichnenden Katastrophe damals noch als Chefökonom des IWF. Sage noch einer, der IWF habe immer versagt.

Im Interview mit FINANZ und WIRTSCHAFT erläutert er, weshalb wir die Krise noch nicht überwunden haben:

  • Betrachtet man nur den Finanzsektor, sieht es inzwischen besser aus. Dank strengeren Kapitalauflagen haben die Banken ihre Verschuldung auf ein vernünftigeres Niveau reduziert. Sie haben zudem weniger Anreize, übermäßige Risiken einzugehen. Auch sind bessere Lösungen zur Abwicklung von Finanzinstituten erarbeitet worden, speziell, was Derivatpositionen betrifft. Dennoch ist die Arbeit nur zur Hälfte erledigt.” – bto: Ich bin mir nicht sicher, ob Rajan mit diesen Aussagen auch die Banken in Europa meint. Ich denke nein. Denn bekanntlich sind diese noch immer mit viel zu wenig Eigenkapital und zu großen Bilanzsummen und überbordenden Non-Performing-Loans unterwegs.
  • Einerseits fragt sich, ob wir übers Ziel hinausgeschossen sind, etwa was den riesigen Aufwand der Banken im Bereich Compliance betrifft. Außerdem haben wir sie im Umgang mit Risiken möglicherweise sogar zu stark eingeschränkt. Banken sollen zwar keine gefährlichen Wetten mit komplexen Finanzinstrumenten eingehen. Was aber ist mit natürlichen Risiken? Unternehmen brauchen Zugang zu Fremdmitteln, sonst bleiben gute Investitionen aus.” – bto: Das mit der Regulierung sehe ich genauso, allerdings ist es keine überzeugende Logik, nur auf immer mehr Schulden zu setzen.
  • Viele Aktivitäten haben sich seit der Krise vom regulierten in den unregulierten Bereich verlagert. Daher muss zum Beispiel bei den Schattenbanken dringend etwas unternommen werden. Was genau, ist aber umstritten. Ein weiteres Problem stellt sich bei der Rekrutierung von Personal. Wenn Banken für talentierte Angestellte nicht mehr attraktiv sind, wandern diese in weniger regulierte Segmente Das ist problematisch, hat sich doch gezeigt, dass kluge Köpfe und schwache Kontrollen in der Finanzbranche eine gefährliche Kombination sind.” – bto: und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum schaden! Es wäre besser, die klugen Köpfe wären in der Realwirtschaft tätig.
  • Die entscheidende Frage ist, weshalb wir das Kreditwachstum zuvor so stark forciert hatten. Die Antwort darauf hat mit langfristigen Entwicklungen zu tun, die sich nach der Finanzkrise weiter akzentuiert haben: Die ökonomische Ungleichheit nimmt wegen des technologischen Fortschritts und eines Mangels an Bildung immer mehr zu.” – bto: Das ist der entscheidende Punkt, der auch mit der Globalisierung und dem Eintritt von Hunderten Millionen neuer Arbeitskräfte in den Weltmarkt zu tun hat.
  • In den Vereinigten Staaten hat sich das Bildungssystem zusehends verschlechtert. Das erschwert es vielen Leuten, einen guten Job zu finden. Hinzu kommt, dass das soziale Sicherheitsnetz schwach ist. Amerika braucht deshalb ein starkes Wirtschaftswachstum, damit es keine sozialen Spannungen gibt.” – bto: und wir viel Sozialstaat!
  • So haben die USA ihr Bildungssystem nicht verbessert, um den sozialen Folgen des technologischen Fortschritts und der Globalisierung entgegenzutreten. Stattdessen wurde die Hausse am Häusermarkt orchestriert, weil das als einfachere und schnellere Lösung erschien. Die steigenden Immobilienpreise gaben ein Gefühl von wachsendem Wohlstand, und der Bauboom federte den Stellenabbau in den Fabriken ab. Das ging so lange gut, bis die Blase platzte.” – bto: und analog bei uns.
  • Die Ursachen der Finanzkrise belasten uns noch immer. Die ökonomischen Kräfte, denen wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgesetzt waren, werden wohl sogar noch an Stärke gewinnen. Wenn wir unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen nicht anpassen, riskieren wir, dass es zu noch heftigeren Erschütterungen kommt.” – bto: Das sehe ich genauso.

 

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Ursachen der Finanzkrise belasten uns noch immer”, 7. April 2017

Kommentare (8) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Raghuram Rajan ist ein Ökonom, den ich für seinen „Röntgenblick“ bewundere. Er sieht die Strukturen, wo andere nur punktuelle Ursachen erkennen. Im Sommer 2005, als alle noch Greenspan anbeteten, hat er L. Summers eine seiner sicher bittersten Stunden beschert, als der ihn wie einen Schulbuben abwatschte. Der junge Inder lag richtig, nicht der Harvard-Star.

    Zu den Banken:

    Es ist nicht klar, welche Banken Rajan meint, aber ich denke man kann verallgemeinernd schon sagen, dass sich die Fähigkeit, Risiken absorbieren zu können, etwas verbessert hat.

    Wenn aber die Risiken weiter wachsen, weil die NPL zunehmen, dann ist damit nicht viel gewonnen.

    Ideal wäre es natürlich, das „too-big-to-fail“ würde gelöst.

    Ich glaube nicht, dass dies gelingen wird. Zu viele Interessen hängen daran.

    Zum großen Bild:

    Meiner Meinung nach liegt Rajan falsch, wenn er sagt:

    Amerika braucht deshalb ein starkes Wirtschaftswachstum, damit es keine sozialen Spannungen gibt.“ – bto: und wir viel Sozialstaat!

    Ich meine, dass Amerika viel mehr Sozialstaat braucht, weil es auch mit mehr Bildung und einer besseren Infrastruktur, die schon gebraucht werden, nicht gelingen wird, HINREICHEND Jobs zu schaffen, die mit einer deutlich höheren Wertschöpfung verbunden sind und daher in der Summe stark wachsende Einkommen ermöglichen.

    Das eindrucksvolle Umsatz- und Gewinnwachstum, das gestern Amazon, Google, Microsoft und Intel verkündet haben, ist nicht Amerika. Es wird sehr wesentlich von einer internationalen Elite sehr kluger Köpfe produziert. Die Katastrophenzahlen von US Steel wurden demgegenüber nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Sie sind mindestens so repräsentativ wie die der Highflyer.

    >„Die entscheidende Frage ist, weshalb wir das Kreditwachstum zuvor so stark forciert hatten. Die Antwort darauf hat mit langfristigen Entwicklungen zu tun, die sich nach der Finanzkrise weiter akzentuiert haben: Die ökonomische Ungleichheit nimmt wegen des technologischen Fortschritts und eines Mangels an Bildung immer mehr zu.“ – bto: Das ist der entscheidende Punkt, der auch mit der Globalisierung und dem Eintritt von Hunderten Millionen neuer Arbeitskräfte in den Weltmarkt zu tun hat.>

    Die richtige Antwort ist Rajan + bto:

    Die langfristige Entwicklung, die in der versäumt wurde, in Bildung und Infrastruktur zu investieren und die langfristige Entwicklung mit der demografischer Entwicklung sowie Globalisierung mit konkurrenzlos billigen Arbeitskräften sind die Ursache dafür, dass das Kreditwachstum so stark forciert wurde.

    Was tun, wen wir diese WEITER WIRKENDEN Ursachen nicht beseitigen können?

    Noch mehr Schulden machen, ganz klar.

    ODER: Helikopter-Geld, um ohne Schulden die Nachfrage hoch zu halten.

    ODER: das Angebot anpassen an die geringere Nachfrage, was allerdings wegen zunehmender Arbeitslosigkeit zu schmerzhaft ist, um es ernsthaft gewollt zu sein.

    Aber vielleicht doch nicht ganz aussichtslos, wenn man liest, dass jeder Roboter 6,2 Arbeitsplätze überflüssig machen soll und immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiten.

    Es tut sich jedenfalls etwas.

    Antworten
  2. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Ich denke, das mit der überbordenden Regulierung wäre nicht nötig, wenn die Banken höhere Eigenkapitalquoten hätten und auch mal insolvent werden dürften. Aber wenn man auf dem Trip des “too-big-to-fail” ist, bleibt nur Bürokratie als Lösung.

    Antworten
    • Mr. Dave
      Mr. Dave sagte:

      Das “too-big-to-fail” hat schon seine Berechtigung, da insolvente Grossbanken ein Domino starten, wobei am Ende die gesamte Wirtschaft implodiert. Was aber keine Berechtigung hat, ist das grob fahrlässige Vermeiden oder Abschaffen eines Glass-Steagall-Acts. Dann müssen nämlich nur noch Geschäftsbanken vom Steuerzahler gerettet werden, und die Investmentbanken kann man getrost flöten gehen lassen. Ums Banken retten wird man nicht herum kommen, aber es wird deutlich günstiger für den Steuerzahler.

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    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      „Aber wenn man auf dem Trip des „too-big-to-fail“ ist, bleibt nur Bürokratie als Lösung.“

      Die Bürokratie ist ganz offensichtlich gescheitert: http://macromarketmusings.blogspot.de/2017/02/macro-musings-podcast-hester-peirce.html.

      Einfache Regeln, die auf eine Seite passen, sind die besten: Progressiv ansteigende EK-Quoten mit wachsender Bilanzsumme und dafür 800 Seiten Dodd-Frank ersatzlos streichen. Untergrenze beim harten Kernkapital 8 %, Obergrenze 25 %, die von den Großbanken in einer Transformationsphase in den kommenden 10 Jahren sukzessive erreicht werden muss. Wer dies nicht leisten kann/möchte, kann seine Bank ja auch gerne in zwei oder mehr unabhängige Banken auf splitten.

      Zusätzlich sollte mit einem antizyklischen Kapitalpuffer von +/- 2 Prozent auf Schwankungen im Kreditzyklus (Entwicklung von M1) reagiert werden können, so dass bei einer massiven Kreditkontraktion die Untergrenze bei kleinen Banken bei 6 % liegt und in einer Überhitzungsphase bei großen Banken bei max. 27 %. Dann können die „Master of the Universe“ auch nicht mehr die Welt aus den Angeln heben/leveragen sondern in Demut Gottes Werk auf Erden verrichten (Lloyd Blankfein), statt wie in seiner Jugend anderen in der Bronx eins auf die Fresse zu hauen.

      LG Michael Stöcker

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