“Die ‚Lüge des Jahrhunderts‘ ist eine deutsche”
Letzte Woche hat ein Beitrag bei SPIEGEL Online (zumindest bei Lesern von bto, die mich darauf hingewiesen haben) für Aufregung gesorgt. Darin spricht ein US-Investor mit Blick auf die griechische Verschuldung von der “Lüge des Jahrhunderts”.
Einmal abgesehen davon, dass es nun wirklich kalter Kaffee ist und diese Erkenntnis schon vor zwei Jahren diskutiert wurde, unter anderem hier,
→ Three myths about Greece’s enormous debt mountain
ist der Artikel inhaltlich richtig, dennoch irreführend. Er ist so gehalten, dass der deutsche Leser und Steuerzahler ihn falsch liest. Es ist nämlich nicht eine griechische, sondern eine deutsche Lüge. Schauen wir doch mal kurz auf die Argumentation:
- “(…) die sprichwörtlich gewordene Schuldenlast (ist) ‚die größte Lüge des Jahrhunderts‘, wie Paul Kazarian sagt (…). Der 61-jährige US-Amerikaner ist der größte private Gläubiger Griechenlands. (…) Laut Kazarian liegt Griechenlands Schuldenstand – wenn man ihn denn korrekt berechne – nicht bei 177 Prozent der Wirtschaftsleistung, sondern nur bei höchstens 71 Prozent.” – bto: Das stimmt. Kaufmännisch gerechnet ist der echte Wert der Schulden deutlich tiefer.
- “Kazarian zufolge sollte nicht mehr der Nennwert der griechischen Schulden der Ausgangspunkt sein – also deren absolute Höhe von rund 312 Milliarden Euro (Stand Ende 2015). Stattdessen müsse der Schuldenstand nach dem Zeitwert der Verbindlichkeiten berechnet werden – und damit auch der versteckte Erlass, den die Euro-Partner Griechenland gewährt haben. Sie haben nicht nur die Zinsen erheblich gesenkt. Griechenland darf seine Schulden zudem über einen wesentlich längeren Zeitraum zurückzahlen und muss auch erst zehn Jahre später damit anfangen als ursprünglich vereinbart – durch die Inflation bedeutet das eine deutlich geringere Belastung.” – bto: Das ist völlig richtig. Dann müsste aber Herr Schäuble sagen, dass wir auch weniger Geld zurückbekommen. Das macht er natürlich nicht. Genauso wie es richtig ist, dass die Schulden Griechenlands geringer sind, als sie nominell aussehen, sind natürlich auch unsere Forderungen weniger wert. Das kann die Bundesregierung aber nicht zugeben, also realisieren wir den Verlust über Zeit und vergrößern ihn sogar noch, indem wir immer weitere Rettungspakete schnüren. Ziemlich teuer, nur um Wahlen zu gewinnen – oder? Hier übrigens nochmals der Hinweis aus einem früheren bto-Beitrag, wer das Geld bekommen hat: “Laut ifo Institut wurden die Rettungsmilliarden für Griechenland so verwendet: ein Drittel für den laufenden Konsum, ein Drittel zur Finanzierung der Kapitalflucht aus dem Land und ein Drittel, um die privaten Geldgeber – also die Banken der anderen Länder – zu retten. Dabei wird es interessant, wie das Council of Foreign Relations vorrechnet. (Die FT macht allerdings bessere Bilder, deshalb von dort). Zunächst die Veränderung der Ausleihungen an Griechenland:”
Interessant ist:
- Franzosen, Italiener und Holländer sind ganz raus aus Griechenland.
- Deutsche, Engländer und Amerikaner hielten immer noch rund zehn Milliarden an Forderungen.
- Die deutschen Banken haben ihre Ausleihungen zwar deutlich reduziert (bzw. haben im ersten Schuldenschnitt verloren), aber sind im Unterschied zu den Franzosen vor allem dabeigeblieben. Ich erinnere mich noch gut, wie der deutsche Finanzminister am Morgen nach der ersten Rettungsaktion für Griechenland den deutschen Banken signalisierte, sie sollten ihre Positionen nicht abbauen und die französischen Banken zur gleichen Zeit massiv Anleihen an die EZB abgaben.
Betrachtet man nun öffentliche und private Kredite kombiniert, wird das Bild noch interessanter:Gegenüber dem Jahr 2010 haben Irland, Portugal und Frankreich ihre Forderungen an Griechenland netto verringert. Eingesprungen sind Deutschland, Italien und Spanien. Diese drei Länder haben faktisch die Reduktion der Forderungen von Frankreich ermöglicht. (bto: Wie dumm kann man sein?)Kein Wunder, dass besonders die Franzosen jetzt auf einen Schuldenerlass drängen. Denn keiner hat so viel von der “Rettung” profitiert wie sie. Hier der Beitrag aus dem Juli 2015: → Deutschland, Spanien und Italien haben die Franzosen rausgehauen – und jetzt sollen wir nachlegen
- “Wenn der Schuldenstand eines Landes als nicht tragfähig angesehen wird, kann das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung Die Bonitätsbewertung des Landes verschlechtert sich, wodurch Kredite und damit dringend benötigtes Kapital auch für die Privatwirtschaft teurer werden – was ausländische Investoren vertreibt. Außerdem wird Griechenland gezwungen, noch mehr Finanzhilfen von den Eurostaaten zu fordern. Die geben neue Kredite jedoch nur unter der Bedingung hoher Haushaltsüberschüsse und zwingen die Regierung damit zu harschen Sparprogrammen sowie unpopulären und häufig umstrittenen Strukturreformen. Nicht zuletzt führt ein hoher Schuldenstand zu erheblich höheren Zinsaufschlägen für neue Kredite, sobald Griechenland wieder an die Kapitalmärkte zurückkehrt.” – bto: Das ist absolut richtig und haben wir auch schon mal diskutiert. Und zwar hier das Original von Michael Pettis: → When do we decide that Europe must restructure much of its debt?
- Aber wenn die Schuldenlast in Wirklichkeit viel niedriger ist – wieso weist die griechische Regierung nicht selbst lautstark darauf hin? “Aus dem gleichen Grund, weshalb Griechenland seinen Schuldenstand vor der Krise zu niedrig ausgewiesen hat”, sagt Kazarian. “Damals, um in die Eurozone zu kommen und dadurch günstig Kredite aufnehmen zu können. Heute dienen die übertriebenen Zahlen den Forderungen an die Euro-Partner nach mehr Geld und Solidarität.” – bto: stimmt. Und die Gläubiger – vor allem die deutsche Bundesregierung, die, wie oben gezeigt, unser Geld verwendet hat, um französische Banken zu retten – machen nur zu gerne mit!
→ SPIEGEL Online: “US-Investor nennt Schuldenberg ‚die Lüge des Jahrhunderts‘”, 2. Dezember 2016