“Deutschland steht vor einer Staatskrise” – Italien vor dem Austritt? – Wir brauchen jetzt Billionen

Einige Leser werden den ersten Artikel schon gesehen haben. Ich finde ihn dennoch unterhaltsam, wenngleich der Inhalt natürlich keineswegs lustig ist. Doch die darin verwendeten Bilder sind toll. So dieses: “Man stelle sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) liebt Frankreichs Präsident François Hollande. Die beiden wollen heiraten. Hollande liebt aber in Wahrheit nur Merkels Geld. Nun stehe Merkel vor der Frage, ob sie in einer Gütergemeinschaft ihr Geld schon vor der Heirat Hollande gebe. Wenn das der Fall ist, findet die Heirat nicht mehr statt. Genauso werde es auch in Europa sein. Der Kontinent werde politisch nicht zusammenwachsen, wenn er vorher zu einer Schuldenunion umgebaut wird.” Jetzt ahnen Sie schon, es geht um die Vorstellung des neuen Buches von Hans-Werner Sinn. Die Aussage ist eindeutig: “Auch Sinn hält die Mittel der EZB ‘nicht für geeignet’, Probleme wie eine angeblich drohende Deflation zu lösen, und forderte die Bundesregierung auf, gegen die Politik der Notenbank vorzugehen. Denn nachdem schon nach Gründung des Euro viel Kapital in unsinnigen Anlagen verloren worden sei, drohe nun wegen der Geldschwemme der EZB ‘die nächste Kapitalvernichtung’, so Sinn. ‘Schon jetzt läuft Deutschland in 15 Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen, auf eine Staatskrise zu. Wenn da noch die Rettungspolitik oben draufkommt, bei der die Risiken von Investoren auf die Bürger umgelenkt wurden, wird das Problem noch größer’, so Sinn.”

Sinns Lösungsvorschläge sind nicht so unähnlich zu meinen aus der Vergangenheit (besonders ausführlich in der Billionen-Schuldenbombe): “Erstens müsse eine große Schuldenkonferenz einberufen werden, auf der Schuldenschnitte für die hoch verschuldeten Euro-Staaten beschlossen werden müssten (bto: Absolut richtig, allerdings müssen wir auch die Privatschulden restrukturieren, was Sinn wie die meisten Volkswirte vergisst). Zweitens müsse das ‘System der goldenen Kreditkarte’ für nationale Notenbanken beendet werden. Damit meint Sinn das komplizierte Problem der sogenannten ‘Target-Salden’, über die sich nationale Notenbanken nach Sinns Meinung selber Geld drucken können.(bto: Ja, aber ein Nebenkriegsschauplatz, wenn wir die anderen Themen angehen). Drittens müsse die Euro-Zone zu einem ‘atmenden Währungsraum’ werden, in dem der Euro die dominierende Währung ist, aber auch andere Währungen möglich seien und sich Krisenländer mit einer eigenen Währung an den Euro koppeln können.” (bto: Klar, dies würde die Anpassung erleichtern. Schuldenschnitte sind aber das Muss – und zwar nicht nur für Staatsschulden).

Sinn erwartet allerdings nicht, dass diese Reformen kommen werden. “Ich erwarte eine Fortsetzung der Kapitalvernichtung mit langjährigem Siechtum.” (bto: Dies halte ich für eine optimistische Annahme. Im Unterschied zu Japan sind wir kein homogener Kulturraum, sondern verschiedene Länder mit anderen gewachsenen Sozialstrukturen und weitaus geringerer Belastungstoleranz als Japan. Kapitalvernichtung, aber ungesteuert und erheblich, ist wahrscheinlicher.)

WELT.de: “Deutschland steht vor einer Staatskrise”, 8. Oktober 2014

Immer wichtig ist, auch die andere Seite der Medaille zu betrachten. Die Krisenländer Europas, allen voran Italien. In “Die Billionen-Schuldenbombe” habe ich bereits dargelegt, weshalb Italien unter spieltheoretischen Annahmen das Land ist, welches den größten Anreiz hat, den Euro zu verlassen. In der Tat spricht viel dafür, dies so schnell wie möglich zu tun, wenn das Land die industrielle Basis nicht völlig verlieren will. Gerade im internationalen Wettbewerb kann Italien im Euro nicht bestehen und China ist eine enorme Bedrohung. Nun berichtet der Telegraph von einer neuen Initiative, über eine Volksabstimmung einen Euroaustritt herbeizuführen. Es ist aus meiner Sicht naiv anzunehmen, dass derartige Initiativen keine Chance haben. Dass es bisher nicht dazu gekommen ist, ist keine Garantie dafür, dass es so bleibt. Italien durchlebt einen Wirtschaftseinbruch, der größer ist als vor 80 Jahren.

The Telegraph: Italy’s ‘UKIP’ launches drive for euro referendum as five-year depression drags on, 13. Oktober 2014

Es gibt noch Hoffnung, zumindest für jene, die glauben, dass es wirklich möglich wäre, eine Überschuldungskrise durch mehr Kredite zu lösen. Nichts anderes tut Wolfgang Münchau in seinem Kommentar bei SPIEGEL ONLINE in dieser Woche. Damit folgt er genau den Empfehlungen des IWF, über die ich berichtet habe. Ich bleibe allerdings bei meiner schon getroffenen Aussage: Es gibt keinen Free-Lunch.

Zunächst charakterisiert Münchau die Stimmung zu Deutschland auf dem internationalen Parkett: “Die Präsenz deutscher Wirtschaftspolitiker auf internationalem Parkett fühlt sich ungefähr so an, als würde Kim Jong Un auf einem Wohlfahrtsball auftauchen. Es ist nicht Kritik, die man hört. Es ist emotionale Empörung.” (Wow, glaube ich aber.) Münchaus Analyse der Situation teile ich bekanntlich voll: “Der Euroraum leidet an der toxischen Dynamik einer Schuldendeflation, bei der fallende Preise und geringes Wirtschaftswachstum den Realwert der Schulden nach oben treiben. Aus so einer Teufelsspirale kommt ein großer, lethargischer Wirtschaftsraum wie unserer nicht ohne einen externen Schub heraus. Und da jetzt China und andere Schwellenländer weniger Investitionsgüter aus Europa kaufen, sondern verstärkt die interne Nachfrage ankurbeln, funktioniert unser alter Party-Trick mit den wachsenden Exportüberschüssen auch nicht mehr. Und demnächst kommt der Knick in unserer Demografie.”

Dann kommt er zu seiner (erneuten) Forderung: “Es geht nicht um ein paar Milliarden im Bundeshaushalt für die frühkindliche Erziehung, sondern um ein oder zwei Billionen für den zehn Billionen Euro schweren Euroraum als Ganzes. So ein Programm würde finanziert durch Anleihen der Europäischen Investitionsbank und unterlegt mit Eigenkapital der Mitgliedstaaten. (…) Da die Europäische Zentralbank bald ohnehin anfängt, Schuldtitel zu kaufen, hätte das den weiteren Vorteil, dass wir schon im Vorfeld einen willigen Käufer für diese Anleihen hätten.” Und hier trennen sich die Wege von Hans-Werner Sinn und Wolfgang Münchau spätestens. Münchau denkt, ein gigantisches Konjunkturprogramm könnte die Infrastruktur sanieren (was wirklich nötig ist!) und zugleich so viel Wachstum auslösen, dass wir aus den Schulden herauswachsen. Sinn denkt, es geht nur über Schuldenschnitte, Reformen und (temporäre) Austritte aus dem Euro. Ich denke, beides ist unrealistisch. Am Ende des schuldenfinanzierten Kettenbriefes muss es eine Bereinigung geben, bevor wieder Wachstum möglich ist. Der Weg von Münchau würde uns zwar Zeit kaufen, die Wirtschaft aber nicht beleben und den Berg an unbedienbaren Schulden weiter erhöhen. Der Weg von Sinn wird auf eine anhaltende Krise, zunehmende politische Spannungen und Chaos hinauslaufen, weil sich die Politik nicht trauen wird, den eigentlich erforderlichen Schuldenschnitt für private und öffentliche Schulden vorzunehmen.

Doch was wäre zu tun? Schuldenschnitt, Reformen und damit verbunden Konjunkturprogramm wären die beste Kombination. Noch besser wäre die Kombination mit der Idee des Vollgeldes, nicht nur um das Geldsystem zu stabilisieren, sondern auch um mit dem Umstellungsgewinn – so denn die diesbezüglichen Annahmen zutreffen – die Schuldenproblematik zu bereinigen. Spannende Zeiten.

SPIEGEL ONLINE: Wir brauchen jetzt Billionen, 13. Oktober 2014