„China hat ein riesiges Schuldenproblem“

Interview in der FINANZ und WIRTSCHAFT mit Willem Buiter, Chefökonom der US-Großbank Citigroup, der bekanntlich,

Nun also zu China. Wobei ich sagen muss, dass ich seine Analyse weitgehend teile (auch mit Blick auf den Euro, den er für zum Scheitern verurteilt sieht). Was mir nicht so ganz schmeckt, sind die Lösungsvorschläge von ihm. Nun aber die Highlights aus dem Interview:

  • „Wir kennen das Wirtschaftswachstum in China nicht. Offiziell betrug es zuletzt 6,9%. Meiner Ansicht nach ist es um die 4%. Das Wirtschaftsinstitut Conference Board denkt gar, es liege bei 3,75%.“ – bto: in der Tat unmöglich, die ‚wahre Zahl‘ zu kennen.
  • Meiner Ansicht nach ist die Überkapazität in so gut wie jeder traditionellen Industrie massiv. (…) Ich glaube, die Schulden der lokalen Regierungen und der Staatsbetriebe werden nie zurückgezahlt.“ – bto: natürlich nicht. Noch nie wurde Überschuldung durch ordentliche Tilgung beseitigt, zumindest nicht, wenn es um ganze Sektoren und Länder ging.
  • Es braucht eine Zuführung von Staatsmitteln in die Banken oder an die Schuldner der Banken – und das lieber früher als später. Bis das Problem anerkannt wird, ist das chinesische Finanzsystem ein halber Zombie. Die Banken vergeben keine neuen Kredite an neue, möglicherweise profitable Projekte, da sie durch schlechte alte Projekte belastet werden.“
  • „Japan brauchte vierzehn Jahre, um das Schuldenproblem endlich anzugehen. Ich glaube nicht, dass China so lange braucht. Sie werden das Problem wahrscheinlich dieses oder nächstes Jahr angehen.“ – bto: Das wäre aber schmerzhaft.
  • „Das Wachstum in China schwächt sich ja bereits seit Jahren ab. Aber die Märkte könnten noch zu optimistisch sein, wie schnell und wie stark die Chinesen auf die Probleme antworten. Am Ende wird die chinesische Regierung mit einem erheblichen Bankenrettungsprogramm und Stimulus aus Staatsmitteln reagieren, das geschieht aber wahrscheinlich noch nicht dieses Jahr.“ – bto: also private durch öffentliche Schulden ersetzen, wie bei uns. Wobei es ja vor allem Staatsfirmen sind, also von Staatsfirmen zum Staat …
  • „Besonders treffen wird es die Exporteure von Rohstoffen, Baustoffen, Zwischenprodukten und im Luxusbereich. Aber die Ausfuhr von Basiskonsumgütern nach China sollte nicht leiden. Dieser Markt ist ziemlich robust.“
  • Ohne Frage gibt es eine Erholung in Europa. Und die EZB hat daran mitgewirkt. Aber es gibt zusätzliche Gründe für die Erholung. Die Staatsausgaben sind weniger prozyklisch geworden – sie steigen also auch, wenn das Wirtschaftswachstum schwach ist. (…) Dieses Jahr könnte die Fiskalpolitik die Wirtschaft stimulieren. Grund dafür sind die Ausgaben für Verteidigung, innere Sicherheit und Flüchtlinge.“ – bto: Das ist alles Konsum auf Kredit. Nur zur Erinnerung.
  • Die Zentralbank hat unbestritten die Möglichkeit, einen Kollaps des Finanzsystems zu vermeiden. Daraus wurde aber fälschlicherweise geschlossen, dass sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimulieren kann, wenn sich die Wirtschaft in einem normaleren Zustand befindet. Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen der Verhinderung einer Katastrophe und der Stimulierung von Nachfrage. Eine Zentralbank hat die Möglichkeit, eine Finanzkrise abzuwenden, aber nicht unbedingt, die Nachfrage anzuregen.“ – bto: Das haben die Politiker leider noch nicht verstanden!
  • „Ich glaube nicht, dass die EZB ihr Inflationsziel von «unter, aber nahe 2%» in den nächsten drei Jahren erreichen wird. Aber Draghi macht, was er kann. Und genauso wichtig wie Offenmarktgeschäfte ist ein offener Mund. Ein Problem entsteht aber, wenn die Leute sehen, dass der Effekt ausbleibt. Die Zentralbank verliert dann an Glaubwürdigkeit, und die Worte haben keine Macht mehr.“ – bto: Das wäre allerdings für die Kapitalmärkte fatal.
  • Das Papiergeld abzuschaffen und vollständig zu elektronischem Geld überzugehen, wäre eine gute Idee. Denn Haltekosten von Papiergeld setzen momentan die Grenze, wie tief die Zinsen sinken können. Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Wechselkurs zwischen Papiergeld und Bankeinlagen einzuführen.“ – bto: Nochmals, das ist ein Schuldenschnitt, den jene bezahlen, die nicht aus dem System flüchten können. Das sind nicht die Großvermögen, sondern die kleinen.
  • Wenn die Leute für einen gewissen Lebensstandard im Ruhestand sparen, könnten sie gezwungen sein, bei niedrigeren Zinsen mehr zu sparen. Ich weiss nicht, ob das zutrifft. Wir haben keine Erfahrung mit tiefen Negativzinsen, ausser in Japan. Aber es würde der Standard-Wirtschaftstheorie nicht widersprechen, wenn der Einkommens- den Substitutionseffekt dominiert.“ – bto: Nur wo sollen sie dann sparen? Sicherlich nicht auf dem Bankkonto.
  • „Wichtig ist, dass es zur selben Zeit einen Fiskalstimulus finanziert durch Staatsanleihen gibt und eine von der EZB ausgelöste entsprechende Zunahme des Notenbankgeldes. Selbst wenn diese beiden Dinge aus ‚unabhängigen Gründen‘ geschehen und lediglich durch Intermediäre wie Banken miteinander verbunden sind, wäre das wirtschaftlich gleichwertig mit dem Abwerfen von Helikoptergeld. Das geschieht jetzt. Und es wird sich ausweiten, da die Regierungen im Euroraum mehr Schulden aufnehmen werden, um es für Flüchtlinge bzw. Immigranten, innere Sicherheit und den konventionellen Krieg gegen den IS auszugeben. Das wird schon dieses Jahr dem Euroraum wirtschaftlich helfen.“
  • „Es gibt ein Nachfrageproblem. Das heisst, dass man die Wirtschaft durch einen Anschub der Nachfrage stimulieren sollte – auch mit Staatsausgaben. Dazu muss der staatliche Stimulus durch die EZB finanziert werden. Aber Staatsausgaben und ein Abwurf von Helikoptergeld allein helfen noch nicht gegen das geringe Potenzialwachstum. Dagegen braucht es beispielsweise eine andere Bevölkerungsentwicklung, Kapitalakkumulation und Produktivitätswachstum.“
  • Wenn man ernsthaft Geld für die Integration vieler Flüchtlinge ausgeben würde, hätte man das Nachfrageproblem gelöst und gleichzeitig etwas gegen die Probleme auf der Angebotsseite getan. Die Flüchtlinge müssen in die Erwerbswelt integriert werden mit Bildung. Besonders durch Sprachunterricht und die Vermittlung produktiver Fertigkeiten. “ – bto: Theoretisch stimme ich dem zu. Praktisch bin ich bekanntlich sehr skeptisch. Analphabeten werden keine Programmierer. Das ist naiv.

→  FINANZ und WIRTSCHAFT: „China hat ein riesiges Schuldenproblem“, 19. Januar 2016