Carmen Reinhart: “Schuldenrestrukturierungen nötig”

Harvard-Professorin Carmen Reinhart ist berühmt. Gemeinsam mit Kenneth Rogoff schrieb sie das Standardwerk zu Finanzkrisen (eigentlich Überschuldungskrisen): “Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen”.

Seither ist sie eine fleißige Mahnerin und deshalb auch Gast bei bto:

→ 2016: Erste Staatspleiten zu erwarten

→ Financial Repression Redux

→ Ist dies Japans letzte Chance? – Besser wäre der rasche Bankrott

→ „Wo bleibt die Inflation?“

Dabei spricht sie die Fakten aus. Allerdings lässt sie die Konsequenzen etwas im Dunkeln: nämlich, dass zu einer Anpassung der Schulden immer auch eine Anpassung der Vermögen gehört. Die NZZ berichtet:

  • “Laut dem Internationalen Währungsfonds (IMF) lag die weltweite Verschuldung des Nicht-Finanz-Sektors – also von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen außerhalb der Finanzbranche – Ende 2015 bei rekordhohen 225 % des Welt-Bruttoinlandprodukts. Seit der Jahrhundertwende hat sie sich laut dem IMF nominal auf 152 Bio. $ mehr als verdoppelt.” – bto: soweit, so bekannt.
  • In Europa habe die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik und ihren Anleihekäufen viel versucht, um die negativen Folgen der Überschuldung in südeuropäischen Ländern zu lindern, sagt Carmen Reinhart, Professorin an der US-Universität Harvard (…) Aus ihrer Sicht kann die EZB die Probleme aber nicht lösen. Die Übertragung ihrer Geldpolitik sei auch durch mangelnde Abschreibungen in den Bankbilanzen behindert worden.” – bto: Das mag sein, ist aber nicht die Ursache für die Krise. Denn selbst sanierte Banken hätten nur dann geholfen, wenn sie auch ihre Kunden “saniert” hätten, mit entsprechenden Schuldenerlassen.
  • Zur Lösung einer Schuldenkrise ist aus Sicht von Reinhart ein Mix an Maßnahmen nötig. Dazu zählt erstens finanzielle Repression. Damit sind unter anderem die von Zentralbanken künstlich herabgedrückten Zinsen gemeint, die sich in einer schleichenden Enteignung von Sparern niederschlagen. Zweitens tragen höhere Inflationsraten zum Schuldenabbau bei. Der Weg hierfür werde schon bereitet, sagt Reinhart.”  bto: Sollte die Inflation wirklich kommen, dürfte sie erheblich sein und auf einem Vertrauensverlust basieren.
  • Drittens sind aus Sicht der Harvard-Professorin Schuldenrestrukturierungen nötig. In der Euro-Zone sei dies wohl für Spanien und vor allem Italien nötig.” bto: Das klingt ja immer nett, doch wer bezahlt? Inhaltlich bin ich voll einverstanden. 
  • “In Griechenland, Portugal und Irland sind solche Restrukturierungen bereits erfolgt. Griechenland ist dabei aus Sicht von Reinhart vor allem deshalb ins Rampenlicht gerückt, weil es dort zur Restrukturierung von privaten Schulden kam. In Irland und Portugal sei der Prozess viel leiser erfolgt.” bto: Da hört man doch auf. In Irland war es in der Tat so, dass die Notenbank in großem Umfang Staatsschulden, die für die Bankenrettung angefallen sind, monetisiert hat. Hier zur Erinnerung der diesbezügliche Artikel: → Geld aus dem Nichts – nach Irland auch Italien. In Portugal meint sie wohl die Gläubigerbeteiligung im Zusammenhang mit der Bankenpleite 2015. Doch ist das ausreichend, um die Schuldenlast zu drücken? In Griechenland wohl schon, wie hier diskutiert: → „Die ‚Lüge des Jahrhunderts‘ ist eine deutsche“.
  • “Reinhart sieht Irland als positives Beispiel. Das Land hat eine tiefgreifende Bankenkrise hinter sich und wurde 2010 von der EU und dem IMF gerettet. In den vergangenen Jahren hat es beim Wirtschaftswachstum in Europa wieder eine Spitzenstellung erreicht. Laut dem nationalen irischen Statistikamt betrug das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal des vergangenen Jahres 6,6 % gegenüber demselben Vorjahreszeitraum, die Arbeitslosigkeit lag bei 7,2 %.” bto: Das stimmt alles. Von den zwei Problemen der Krisenländer in Europa hat Irland nur eines. Es ist wettbewerbsfähig. Aber die Schulden sind dennoch rekordhoch! Deshalb denke ich, dass es auch hier eine Umschuldung braucht.
  • Als weitere Maßnahme zur Bewältigung der Schuldenkrise wird auch über das sogenannte Helikoptergeld diskutiert, bei dem eine Zentralbank direkt Gelder an den Staat oder die Bürger auszahlt. Es sei stoßend, dass Notenbanken dabei – ohne ein Mandat dazu zu haben – Fiskalpolitik betreiben würden, sagt Reinhart.” bto: richtig, dennoch sehr wahrscheinlich.

Fazit Reinhart: “In der Schuldenkrise seien schon viele Dinge passiert, die sie nicht für möglich gehalten habe.” bto: Und das wird so bleiben!

→ NZZ: “Die Lehren aus Finanzkrisen werden ignoriert”, 23. Januar 2017