“IMF admits disastrous love affair with the euro …”

Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal am 1. August 2016 bei bto. Passt aber gut zum heutigen Griechenlandschwerpunkt:

Ambrose Evans-Pritchard bringt es im Telegraph auf den Punkt: Der IWF hat wissentlich die falsche Politik der “Eurorettung” mitgetragen. Wie bei bto schon erläutert, hat diese Eurofixierung schon früher zu deutlicher Verstimmung im IWF-Bord gesorgt, weil der Umfang der Mittel für die europäische Rettung weitaus größer ist, als für alle früheren Programme und die Schwellenländer ebenfalls für die Risiken geradestehen. Nun also die Feststellung, dass es ein Fehler war:

IWF hat Hausaufgaben nicht gemacht

  • The International Monetary Fund’s top staff misled their own board, made a series of calamitous misjudgments in Greece, became euphoric cheerleaders for the euro projectignored warning signs of impending crisis, and collectively failed to grasp an elemental concept of currency theory.”  bto: Die Leitung des IWF liegt ja auch immer bei einem Europäer, zuletzt fest in französischer Hand.
  • “The report by the IMF’s Independent Evaluation Office (IEO) (…) describes a culture of complacency, prone to superficial and mechanistic analysis,  and traces a shocking break-down in the governance of the IMF, leaving it unclear who is ultimately in charge of this extremely powerful organisation.”  bto: wow!
  • Dann kommt der Punkt, in dem es um ungeahnte Größenordnungen geht, die übrigens auch zeigen, wie groß das Desaster und letztlich die Pleite in diesen Ländern ist! “The three main bail-outs for Greece, Portugal, and Ireland were unprecedented in scale and character. The trio were each allowed to borrow over 2,000 percent of their allocated quota – more than three times the normal limit – and accounted for 80pc of all lending by the Fund between 2011 and 2014.”
    IMF
    Greece, Ireland, and Portugal accounted for 80pc of IMF lending for three years CREDIT: IMF

Fehlende Kontrollmechanismen

  • The report said the whole approach to the eurozone was characterised by groupthink and intellectual capture. They had no fall-back plans on how to tackle a systemic crisis in the eurozone – or how to deal with the politics of a multinational currency union – because they had ruled out any possibility that it could happen.”  bto: wie auch die Politiker. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein!
  • The IMF remained upbeat about the soundness of the European banking system and the quality of banking supervision in euro area countries until after the start of the global financial crisis in mid-2007. This lapse was largely due to the IMF’s readiness to take the reassurances of national and euro area authorities at face value, it said.”  bto: weil sie alle im selben Boot sitzen.
  • “The IMF persistently played down the risks posed by ballooning current account deficits and the flood of capital pouring into the eurozone periphery, and neglected the danger of a sudden stop in capital flows.”
    IMF
    The IMF was asleep when the huge imbalances built up. It did not even see a funding risk in Greece  CREDIT: IMF

Überoptimistisch was die Währungsunion betrifft

  • The possibility of a balance of payments crisis in a monetary union was thought to be all but non-existent, it said. As late as mid-2007, the IMF still thought that in view of Greece’s EMU membership, the availability of external financing is not a concern.”
  • In a monetary union, the basics of debt dynamics change as countries forgo monetary policy and exchange rate adjustment tools, said the report. This would be amplified by a vicious feedback between banks and sovereigns, each taking the other down. That the IMF failed to anticipate any of this was a serious scientific and professional failure.
  • “In Greece, the IMF violated its own cardinal rule by signing off on a bail-out in 2010 even though it could offer no assurance that the package would bring the country’s debts under control or clear the way for recovery (…).”
  • Zu Griechenland: “The attempt to force through an internal devaluation of 20pc to 30pc by means of deflationary wage cuts was self-defeating since it necessarily shrank the economic base and sent the debt trajectory spiralling upwards. A fundamental problem was the inconsistency between attempting to regain price competitiveness and simultaneously trying to reduce the debt to nominal GDP ratio, it said.” Kein Wunder, dass die Erwartungen nie erfüllt wurden:
    IMF

The forecasts for Greek growth compared to what actually happened CREDIT: IMF

  • “The injustice is that the cost of the bail-outs was switched to ordinary Greek citizens  – the least able to support the burden  – and it was never acknowledged that the true motive of EU-IMF Troika policy was to protect monetary union. (…) If preventing international contagion was an essential concern, the cost of its prevention should at have been borne – at least in part – by the international community as the prime beneficiary, it said.” – bto: Das waren vor allem französische Banken! Die haben sich auch gleich aus dem Staub gemacht, während die deutschen Banken, auch auf Drängen der Bundesregierung, weitgehend dabeiblieben. Honi soit qui mal y pense („Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt.“)

→ The Telegraph: “IMF admits disastrous love affair with the euro, apologises for the immolation of Greece”, 28. Juli 2016

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Ambrose Evans-Pritchard bringt es im Telegraph auf den Punkt: Der IWF hat wissentlich die falsche Politik der „Eurorettung“ mitgetragen.>

    Sagt A.E.-Pritchard wirklich, dass die ENTSCHEIDER beim IWF die „Eurorettung“ mit dem WISSEN, sie sei FALSCH, d. h. nicht zielführend, mitgetragen haben?

    Ich habe den Artikel im Telegraph gelesen und finde nichts, was „WISSENTLICH“ als Bewertung rechtfertigen würde.

    Dass interne Arbeitsregeln beim IWF nicht befolgt, unprofessionell gearbeitet und Fehleinschätzungen getroffen wurden etc., rechtfertigt obige Aussage jedenfalls nicht.

    Ich frage mich, ob Sie, Herr Dr. Stelter wissen, was Ihre Feststellung bedeutet.

    Zur Beurteilung des IWF gehört auch, was hier unterschlagen, A. E. P. im Telegraph aber fairerweise sagt:

    >The IMF was in an invidious position when it was first drawn into the Greek crisis. The Lehman crisis was still fresh. “There were concerns that such a credit event could spread to other members of the euro area, and more widely to a fragile global economy,” said the report.
    The eurozone had no firewall against contagion, and its banks were tottering. The European Central Bank had not yet stepped up to the plate as lender of last resort. It was deemed too dangerous to push for a debt restructuring in Greece<.

    Vor allem:

    NIEMAND in Europa bzw. der Eurozone hatte auch nur die geringste Ahnung, wie mit dem Problem Griechenland 2010 ff. umzugehen sei. Der IWF war da eine Art Rückversicherung und eine willkommene Hilfe.

    Was der IWF hier offen legt, ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert – und beispielhaft für das, was in offenen Gesellschaften möglich sein sollte.

    So sehr man auch staunen kann über das, was der IWF sich und der weltweiten Öffentlichkeit mit seiner Selbstkritik zumutet, so sehr muss man dankbar sein, dass die Fähigkeit dazu noch nicht gänzlich verloren gegangen ist.

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    • egp
      egp sagte:

      Danke für die Ergänzung, Herr Tischer. Ich haben den Telegraph daraufhin nicht gelesen, vertraue aber Ihrer Korrektheit. So – jetzt gilt es aber weiter zu differenzieren: Wissen um die ökonomische und soziale ‘Wirkungslosigkeitkeit’ der Rettungsaktionen oder Wissen um die Unvereinbarkeit mit der Satzung des IWF? Ich denke schon, das der IWF bzw Frau Lagarde um die Problematik des Einsatzes der IWF-Mittel wußten. Falls tatsächlich nicht, …. nein, das kann ich mir nicht ausdenken.

      Über die ökonomische Sinnhaftigkeit der “Eurorettung” wird man sicher diskutieren können und Sie haben einige Argumente benannt.

      Völlig unverständlich ist mir die rein monetäre und fiskalische Denkweise bei diesen Rettungsaktionen, die jahundertealte Kulturen politischer, sozialer und auch wirtschaftlicher Natur außer acht läßt. Anscheinend träumt im IWF immer noch von ‘einer Art homo oeconomicus simplex’ – ich meine die karikierte, häufig in der Presse angegriffene Primitivversion.

      Ich gehe davon aus, dass wieder ‘alternativloser’ politischer Druck die ausschlaggebende Rolle gespielt hat – wie auch bei der Wiedewahl von Frau Lagarde.

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      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        Meine Sicht, die natürlich auf Vermutungen beruht, weil auch nicht in die Gehirne der Entscheider und ihrer Zuarbeiter schauen kann:

        ALLE Beteiligten, von den Politikern der Eurozonen-Länder über die EZB bis hin zum IWF, haben letztlich keine Ahnung gehabt, wie groß das Problem Griechenland wirklich war.

        Wir erinnern uns, dass das erste „Rettungsdarlehen“ gerade einmal EUR 10 Mrd. betrug. Schon das besagt alles über die Dimension, in der man dachte und handelte.

        Niemand hatte eine Ahnung wie das Steuerwesen in Griechenland funktionierte, ob die Zahlen der griechischen Finanzverwaltung getürkt waren, was die verpfändbaren Assets bzw. zu privatisierenden Staatsbetriebe wirklich wert waren.

        Das Problem einer Staatsinsolvenz hatte es in einem solchen Kontext (Währungsunion) zumindest in jüngster Zeit noch nie gegeben.

        Insofern bin ich leicht milde gestimmt, zumal man bei dieser Lage verständlicherweise eine zweite Finanzkrise wie nach dem Zusammenbruch von Lehman um jeden Preis vermeiden wollte.

        Aus dem Rückblick heraus gibt es allerdings kein Vertun, was die Ursachen des Desasters betrifft:

        Es ist die POLITISCHE Hybris, etwas ohne wirkliche Risikoeinschätzung zu betreiben, wenn eine Mehrheit der Meinung ist, es sei gut und vorteilhaft, dies zu betreiben – hier die Schaffung einer Währungsunion mit Kandidaten wie Griechenland.

        Unsere Unternehmen wollten den großen Markt ohne Abwertungsrisiken. Klar auch, dass die Peripherie die günstigen Zinsen haben wollte. Als die Politik das Projekt auch noch mit dem Narrativ „nie wieder Krieg in Europa“ geadelt hatte, war das eine Win-Win-Situation wie aus dem Lehrbuch.

        Eine Insolvenzordnung für die Staaten der Währungsunion z. B. – für was sollte man das brauchen?

        Und jetzt, nachdem die durchgepäppelten Mitgliedsstaaten jahrelang angeblich auf „einem guten Wege“ waren, stehen wir vor der bitteren Einsicht:

        Ein Weiter so wird ein Desaster und ein Zurück würde ebenfalls ein Desaster werden.

        Die Lehre daraus ist, dass Gutgläubigkeit das Letzte ist, was wir uns leisten können.

    • egp
      egp sagte:

      Addendum:
      Ambrose Evans-Pritchard schrieb von einer “love affair”, was einige Interpretationen zuläßt, selbst, wenn man sehr poetische oder hormonell bedingte beiseite läßt. Gibt es Schul in einer Love Affair? Hat A E-P den terminus bewußt gewählt?

      Antworten
  2. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Und das zeigt wieder mal einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler: während die Weltbank von den Entscheidungsträgern als verlängerter Arm der USA betrachtet wurde, wurde der IWF immer schon als “verlängerter europäischer Arm” betrachtet, was man in den letzten Jahrzehnten sehr schön an der Nationalität des jeweiligen Spitzenpersonals ablesen kann. Nicht ohne Grund ist die IWF-Chefin Frau Lagarde Französin. Und der, der die Regeln macht, braucht sich an die eigenen Regeln nicht zu halten, weil er sie für sich selbst ändern kann. Und genau das kommt dabei heraus, wenn die Grundeinstellung der Politiker lautet, dass “nicht sein kann was nicht sein darf”. Fairerweise muss man aber dazu sagen, dass es aus Sicht eines Politikers durchaus rational sein kann so zu handeln, wenn damit die eigene Tätigkeit um eine oder zwei Amtszeiten verlängert wird. Wie man an den aktuellen Wahlchancen der Kanzlerkandidaten und bail-out-Befürworter Merkel (schon 2013) und Schulz sieht, belohnt der deutsche Wähler offensichtlich das Verhalten auch noch, während ein seriöser und liberaler Kritiker wie Hr. Lucke sowohl von den Mainstream-Parteien als auch der Presse als auch von den eigenen rechtsextremen Leuten ausgebootet wird, ohne dass mehr als eine winzige Minderheit der Wähler das irgendwie zu stören scheint. Anscheinend gehören wir hier in diesem blog zu dieser sehr kleinen Minderheit von Leuten, die die Behandlung des Themas wirklich stört. Der Rest der Bevölkerung scheint entweder zufrieden zu sein oder stört sich an völlig anderen Dingen. Daher muss ich als Demokrat leider konstatieren: schade, aber hier bin ich offensichtlich eindeutig in der Minderheit, auch wenn ich die Mehrheit hier für unklug halte.

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