Beppo Grillo und Co.

Die größte Gefahr eines unkontrollierten Unfalls lauert weiterhin in Europa. Wie wir gesehen haben, ist die Währungsunion im Kern instabil, weil unvollendet, und die Politik ist nicht in der Lage, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen, um die Währungsunion zu vollenden. Die Konfliktlinien treten immer klarer zutage. Während in Deutschland weiter darüber nachgedacht wird, wie man den Euro doch noch stabilisieren könnte, ist es in der Peripherie nur eine Frage der Zeit, bis jene politischen Kräfte an die Macht kommen, die nur in einer Beendigung des Euroexperiments einen Ausweg aus der Misere sehen.

Aus deutscher Perspektive fasst Die Zeit die Situation gut zusammen: „Milton Friedman hatte recht“ ist das Fazit eines Beitrages im Sommer 2015. Der Euro „werde den Kontinent nicht, wie erhofft, vereinen, sondern spalten – denn durch das gemeinsame Geld würden wirtschaftliche Anpassungsprozesse, ‚die durch Änderung der Wechselkurse leicht in Griff zu bekommen worden wären‘, mit einem Mal zu ‚umstrittenen politischen Themen‘.“ Und weiter: „Griechenland ist dabei nur das krasseste Beispiel für das Scheitern der europäischen Rettungsbemühungen. In den anderen Krisenstaaten mag die Wirtschaft nicht mehr akut von dem Zusammenbruch bedroht sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass dort alles in Ordnung wäre. Die Arbeitslosigkeit liegt zum Beispiel in Spanien immer noch bei über 20 Prozent. Wenn das schon als Erfolg gilt, was wäre dann eigentlich ein Misserfolg?“ Spanien ist, wie wir gesehen haben, das erfolgreichste Land aus der Gruppe der Krisenländer.

Deshalb kommt Die Zeit auch zu einem klaren Fazit: „Der Euro ist eine Währung, kein sakraler Endzweck. Er mag aus politischen Gründen eingeführt worden sein, gemessen werden wird er am Ende an ökonomischen Kriterien. Wenn er die Menschen in Europa nicht reicher, sondern ärmer macht, verliert er seine Legitimation.“ Dies ist sicherlich wahr. Dennoch glaubt Die Zeit man könnte den Euro noch retten, wenn man eine echte Bankenunion einführt, wo die Steuerzahler aller Staaten im Konkursfall für den Schaden eintreten. Das entspricht der Sozialisierung der Schulden in Europa, wird aber nicht offen ausgesprochen. Außerdem müsste es möglich sein, dass Staaten im Euro Pleite gehen können.

Wie wir wissen, genügt selbst das nicht, um den Euro zu stabilisieren. Es bleiben die ungelösten Probleme der völlig unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder, die selbst bei Schuldensozialisierung und Staatskonkursen fortbestehen.

Deshalb ist es viel realistischer, dass es zu einer Auflösung des Euros auf Betreiben der Krisenländer kommt. Zwar wurde ein Grexit vorerst verhindert, allerdings zu einem erheblichen Preis. Die Probleme Griechenlands werden nicht gelöst, die Wirtschaftskrise verstärkt und zugleich weitere Milliarden an Hilfskrediten zur Verfügung gestellt, die ebenso wie die bereits gewährten Kredite unmöglich bedient werden können. Das griechische Theater hat zunächst die eurokritische Opposition in Ländern wie Spanien geschwächt, da die dortigen Bevölkerungen kein Interesse daran haben, ähnlich wie Griechenland behandelt zu werden.

Rechte und linke Kräfte in diesen Ländern entwickeln eine neue Strategie wie der Telegraph berichtet. Pablo Iglesias, der Anführer der spanischen Podemos-Bewegung bezichtigt Deutschland an Griechenland eine Strafaktion durchzuführen weil die Syriza Regierung es gewagt hat, ein Referendum durchzuführen. Seine Schlussfolgerung: Sollte Podemos an die Regierung kommen, müsste sie mit „aller Kraft“ vorgehen und die entscheidenden Organe der spanischen Wirtschaft, die Medien, die Justiz und das Militär kontrollieren. Nur so ließe sich gegenüber den anderen Ländern – vor allem Deutschland – entschlossen handeln.

Professor James Galbraith von der Texas University sieht im Scheitern der Linksregierung in Griechenland einen Beweis, dass es innerhalb des Euros für keine Regierung möglich ist, nur mit Argumenten einen Politikwechsel zu bewirken, selbst dann, wenn die negativen Folgen der derzeitigen Politik offensichtlich sind.

Italien steht im Unterschied zu Spanien deutlich schlechter da. Die Wirtschaftsleistung liegt immer noch elf Prozent (!) unter dem Stand vor der Krise und liegt nun auf dem Niveau des Jahres 2000. Dies ist eine noch schlechtere Entwicklung als in Japan seit dem Jahre 1990 und sogar schlechter als die Entwicklung der italienischen Wirtschaft in den 1930er-Jahren. Ein solcher Einbruch ist ohne Vorbild für eine große Wirtschaft und die Hauptursache liegt in einem nicht wieder korrigierbaren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in den Anfangsjahren des Euros.

Die Rufe nach einer geordneten Abwicklung der Eurozone werden deshalb immer lauter. Politiker rufen bereits nach einer „Allianz nationaler Befreiungsfronten“, in denen linke und rechte Kräfte gemeinsam für ein Ende des Euros kämpfen.

Beppe Grillo, Gründer und Sprecher der MoVimento 5 Stelle (5-Sterne-Bewegung) fordert schon lange einen Austritt Italiens aus dem Euro. Angetrieben durch die Entwicklung in Griechenland hat er einen Plan zur Rückkehr zur Lira vorgelegt. Das Ziel: die Initiative ergreifen und in einem aktiven Kampf einen Euroaustritt zu den Konditionen Italiens zu erreichen, gegen die Interessen der Gläubiger

In der Tat hat die Bank of America schon vor Jahren vorgerechnet, dass es sich für kein Land so sehr lohnen würde wie für Italien, aus dem Euro auszutreten. Noch verfügt das Land über eine solide industrielle Basis im Norden, und durch eine Abwertung könnte es sofort auf den Weltmärkten wieder Fuß fassen.

Damit liegt der „Duft der Revolution“ über Europa. Sollte es zu Euroaustritten kommen, werden diese nicht geordnet ablaufen, sondern per Definition zu erheblicher Ansteckung in anderen Ländern führen. Es käme zu einer Kapitalflucht wie in Griechenland zuletzt gesehen, erheblichen Forderungsausfällen und Bankenpleiten. Die Folge wäre ein Absturz in eine tiefe Rezession, aus der sich die Länder, die abwerten und sich entschulden können, schneller erholen als Deutschland, welches nicht nur erhebliche Forderungen, sondern über Nacht auch die Wettbewerbsfähigkeit verliert.

→ Die Zeit: „Friedman hatte recht“, 30. Juli 2015

→ The Telegraph: „European ‘alliance of national liberation fronts’ emerges to avenge Greek defeat“, 29. Juli 2015

Kommentare (10) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Andreas Koch
    Andreas Koch sagte:

    Sie sprechen von der Notwendigkeit, die “Währungsunion zu vollenden” und von Gefahren für “Europa”. Ich halte es für korrekter, wenn man von der EU spricht, denn Europa ist erstens ein Kontinent und zweitens weit mehr als die EU, oder gehört die Schweiz nicht mehr zu Europa? Außerdem frage ich mich, was denn Ihrer Meinung nach gegen die EWG spricht, die 45 Jahre eine Erfolgsgeschichte war. Es gab keine Währung zu retten, geschweige denn Europa, es gab Freundschaft und Frieden und jeder konnte nach seiner Facon glücklich werden, also durch Abwertung oder durch Gelddrucken etc. Noch nie nach dem WW2 haben wir einen so großen Verlust an Demokratie erlebt wie heutzutage und noch nie wurden die Deutschen durch Umverteilung derart enteignet. Die Großindustrie profitiert zwar von dem Euro (noch) aber der Mittelstand schon deutlich weniger, die Sparer und Lohnempfänger verlieren seit Jahren Milliarden. Mein Vorschlag wäre zurück zur EWG. Vieles ist ja schon harminisiert und muss auch nicht unbedingt zurückgedreht werden. Aber das Bürokratiemonster Brüssel hat seine eigentlichen Aufgaben aus den Augen verloren und statt dessen seinen Machtbereich immer mehr ausgedehnt und eine Beliebigkeitsunion entstehen lassen. Heuto so, morgen so, ganz wie es gerade passt.

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Der Hinweis zu Europa versus EU versus Euroraum ist korrekt. Da habe ich – wie die Quellen, die ich verwendet habe –, geschlampt. Ansonsten verteidige ich weder die EU noch den Euro und schon gar nicht bin ich gegen eine Rückkehr zum EWG. Das müsste aus meinen Schriften eigentlich klar hervorgehen. Zuletzt der Beitrag für mm. Der Euro kann jedoch Europa spalten, also auch die Länder, die gar nicht im Euro sind. Dazu sind die wirtschaftlichen Konsequenzen zu verheerend.

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  2. Frank Rüdecke
    Frank Rüdecke sagte:

    Ist ja toll, dass die “Zeit” nach vier Jahren Euro-Krise draufkommt, dass der Euro ein Problem sein könnte. Bisher wurde nur gejubelt, und jede Euro-Kritik wurde abqualifiziert. Ist für mich in diesem Zusammenhang wirklich keine seriöse Quelle mehr: Die Zeit schreibt dem Leser nach dem Mund. Es ist erstaunlich, wie die Euro-Fanatiker beim ersten Lüftchen umfallen. Jetzt müssten sie doch für den Euro kämpfen!

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  3. prestele
    prestele sagte:

    Ihre zustimmende Zitierung des Artikels von Schieritz in der Zeit “Friedman hatte recht” überrascht mich nicht wenig. Diese These ist doch nur deswegen richtig, weil der triviale Neoliberalismus, wesentlich geprägt durch Friedman, seit den 80er Jahren zur herrschenden Wirtschaftsdoktrin wurde und die wesentlich wirtschaftlichen Akteure zu ihren Adepten oder Apologeten wurden:
    – die Regierungen in den Industriestaaten jedwelcher Couleur, die die Rolle des Staates gemäß der Lehren von Friedman auf eine Nachtwächterfunktion reduzierten und ansonsten die Möglichkeiten zur Steigerung der Staatsverschuldung genüßlich nutzten,
    – die Zentralbanken, die mit ihrer monetären oder quasi-monetären Ausrichtung die Stabilität des Finanzsektors aus den Augen verloren oder gar, wie Alan Greenspan, meinten, dass es besser sei, nach einer Krise die Trümmer zusammenzuräumen als in den Marktprozess einzugreifen
    – die vollends inkompetenten Aufsichtsbehörden, nicht zuletzt die deutsche BAFIN,
    und schließlich
    – die Akteure in den Finanzmärkten, die – stets mit der Moral Hazard Vermutung im Hinterkopt – die Liberalisierung der Finanzmärkte zu einer unglaublich hemmungslosen Bonanza nutzten, und dabei die Grundsätze eines “sound but boring banking” über Bord warfen.

    Ohne diese Voraussetzungen gebührlich zu berücksichtigen, ist die Aussage “Friedman hatte recht” trivial, weil sie lediglich eine “selffulfilling prophecy” beschreibt.

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Naja. Ich denke, man kann nicht alles auf den „Neoliberalismus“ schieben. Der Euro ist ein Korsett, welches immer gekniffen hätte. Bei mehr Staat weniger, aber nicht unbedingt komfortabler. Selbst in einer pan-europäischen Planwirtschaft hätte es nicht funktioniert. Dazu sind die „Wirtschaftskulturen“ zu verschieden. Friedman war übrigens ein großer Kritiker der Zentralbanken.

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      • Dieter Krause
        Dieter Krause sagte:

        Aber Friedman war auch ein Anhänger von VOLLGELD (oder besser 100%-Money a la Fisher) – zumindest in seiner Frühzeit, bevor er zu einem Markttheologen wurde! Nur hat es einen Markt OHNE STAAT noch nie gegeben! Nur Raubökonomien. Tja, von echter politischer Ökonomie verstehen die Hayekianer und Ayn-Rand-Jünger (Greenspan!) leider zu wenig.

  4. Julian
    Julian sagte:

    Vielen Dank für diesen Artikel!

    Welche Implikationen hat dieses Szenario für die Anlagestrategie eines deutschen Investors?

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Tja, ich denke eine Kombination aus a), den hier dargelegten Grundsätzen der Geldanlage und b), einem Ausweichen aus Europa. Wenn man den Währungsverlust hedgen könnte, dann am besten Aktien der Peripherieländer mit Exportpotenzial kaufen.

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      • Julian
        Julian sagte:

        Nur wohin ausweichen?

        Die USA sind extrem verschuldet und m.E. nur noch nicht im Fokus weil a) genug Ablenkung mit Europa da ist und b) der USD historisch als Reservewährung noch seine Stärke hat.

        Beides könnte sich jederzeit ändern. Wo dann investieren?

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