„Aufschwung ohne Ende oder Game over?“

Ich gestehe: Ich habe sie alle gelesen und sie sind immer noch in meinem Besitz: „Cash – Strategie gegen den Crash“ oder „Der Kapitalismus – ein System das funktioniert“. Natürlich auch „Wann kommt der Staatsbankrott“ und „Aufschwung ohne Ende“. DIE Krisenbestseller der 1980er Jahre, richtig in der Analyse, nicht so richtig im Timing. Einfach, weil Paul C. Martin genauso wie viele andere – ich auf jeden Fall – unterschätzt hat, wie weit man es im System treiben kann und wird. Und wir sind immer noch nicht am Ende, kommen doch Negativzins, Bargeldverbot und Helikopter-Geld.

Thomas Strobl erging es wohl wie mir, weshalb er im Jahre 2009 mit dem „Meister“ gesprochen hat. Nun, wo wir sieben Jahre und geschätzte 60 Billionen US-Dollar Schulden in der Welt „weiter“ sind, ein interessanter Blick auf die Argumentation:

  • „Die Essenz des Kapitalismus ist der Kredit. Finden sich genügend Kreditgeber und in entsprechender Höhe Schuldner, funktioniert das System auf der ersten Stufe. Da die Kreditnehmer Zinsen schuldig sind und überdies Gewinne realisieren wollen, bedarf es ab der zweiten Stufe zusätzlicher Kreditgeber bzw. -nehmer, da die von den Unternehmen ausgezahlten Faktorkosten nicht ausreichen, um die Märkte zu räumen. Diese zeitlich späteren ‚Nachschuldner‘ müssen die zu zahlenden Zinsen bzw. zu realisierenden Gewinne finanzieren – und so immer weiter. Damit ist der Kapitalismus ein Kettenbrief. Fallen die erforderlichen Nachschuldner aus, kommt es auf den zeitlich vorgelagerten Stufen zu Krisen und Kollaps.“ bto: Dahinter steht auch die Lehre der Eigentumsökonomik von Gunnar Heinsohn, siehe Serie auf bto. Ich finde diesen Gedanken essenziell und noch nicht widerlegt. 
  • „Wer ist Ihrer Meinung nach dann schuld, an der aktuellen Krise?  Erstens die fehlenden Nachschuldner: Hätte eine weitere Million mexikanischer Wanderarbeiter US-Häuser gekauft, wären die Preise weiter gestiegen und die Krise wäre noch nicht ausgebrochen. Zweitens die Refinanzierung der heute langlaufenden sogenannten „toxischen“ Papiere mit Hilfe kurzfristiger Commercial Papers. Dieses „Aus-kurz-mach-lang“ musste über kurz oder lang scheitern.“ – bto: Dann kam zumindest auf die Weltbühne der Nachschuldner: China. Und wie! Und wer ist jetzt der nächste Schuldner? Wohl die Staaten mit gigantischen Konjunkturprogrammen.
  • „Dass die Aufsicht nicht nur lax, sondern überhaupt nicht vorhanden war, kommt ebenso dazu wie die Tatsache, dass die Greenspansche Geldpolitik nach dem Platzen der dot.com-Blase eine fast kostenfreie Einladungskarte zum zusätzlichen Schuldenmachen darstellte. Dabei dachten die Käufer, ewig steigende Hauspreise würden die Immobilien quasi „von selbst“ finanzieren.“ – bto: Es war doch gewünscht, weil es den Druck im System reduziert, da neue Schuldner leichter gefunden werden.
  • Der Kapitalismus ist ein Staatsbastard. Er besichert mit eingesetzter bzw. angedrohter Waffengewalt das Kapital als privates Eigentum und sorgt für die Erfüllung privater Kontrakte. Beides ist ohne Staatsmacht nicht definierbar.“ – bto: Das ist ein entscheidender Punkt. Nur wenn die Titel vollstreckbar sind, entfalten sie den gewünschten Druck wie in der Eigentumsökonomik erläutert.
  • „Können dann Staaten wie die USA, Japan oder Deutschland überhaupt bankrottgehen? Ja. Entweder durch Repudiation von Staatstiteln oder spätestens, sobald die Zinsen auf die aufgelaufenen Staatsschulden das laufende frei verfügbare Steueraufkommen übersteigen.“ – bto: Was man sich nicht vorstellen konnte 2009: Wir zahlen dem Staat Geld dafür, dass er sich bei uns Geld leiht. So gesehen kann es natürlich ewig weiter gehen … Je mehr Schulden der Staat hat, desto größer ist sein Zinsgewinn. Interessanter Gedanke. Zeigt, wie weit es schon getrieben wurde.
  • Es gibt keine „objektive“ Grenze, bestenfalls eine psychologische. Die ist erreicht, sobald die Bürger merken, dass die Staatsschulden nicht mehr zurückgeführt werden können und sich von der Idee verabschieden, dass der Staat als Nachschuldner-Krisen in den „Griff“ kriegen könnte. Schulden lassen sich nicht mit noch höheren Schulden tilgen.“ – bto: Heute haben wir akzeptiert, dass der Staat nie pleitegeht, weil die Notenbank ihn finanzieren wird.
  • Ich rechne damit, dass diesmal der Markt mit Verbrauchern und Produzenten die Dinge in die Hand nimmt. Falls wir eine Inflation erleben, muss sie vom Verbraucher ausgehen, der das gute alte Schuldenmachen via Kreditkarten wiederentdeckt. (…). Einen argentinischen Haircut halte ich für ausgeschlossen.“ – bto: Letzteres wäre der Schuldenschnitt, ist aber politisch schwer. Inflation bekommen wir meines Erachtens nur bei Vertrauensverlust.
  • Natürlich ist Bernanke Inflationist. Dies hat er in diversen Vorträgen deutlich gemacht. Den Titel „Helikopter-Ben“, als jemand, der Bares aus seiner „Printing press“ über die Lande streut, verdient man sich nicht so mir nichts, dir nichts.“ – bto: Erfolg hatte er nur in den Assetmärkten. Bis jetzt.
  • Sein Szenario: „Aufschwung ohne Ende, sofern die weltweiten Uneinbringlichkeiten sämtlich auf den Staat gebucht werden, alternativ: Bankenverstaatlichung. Game over, sobald der Schwindel mit der Staatsverschuldung durchschaut ist.“ – bto: Wie wäre es mit Verstaatlichung der faulen Schulden, danach Abschreibung aller Schulden des Staates über die Notenbankbilanz?

Im Kern hat Paul C. Martin recht: Es wird so lange weitergetrieben, bis es gar nicht mehr geht. Doch dank der Akzeptanz für das Handeln der Notenbanken kann das weit länger gehen, als wir denken. Was aber nicht bedeutet, dass die Realwirtschaft sich erholt!

→ F.A.Z., Blogs: „Aufschwung ohne Ende oder Game over?“, 6. Juni 2009