„Amerika, China und das Produktivitätsparadox“

Eine überschuldete Wirtschaft braucht Wachstum, um die Anpassungen zu erleichtern. Einfach gesagt: Je mehr wir wachsen (nominal), desto weniger verlieren die Gläubiger. Dabei sind Gläubiger nicht nur diejenigen, die direkt oder indirekt (zum Beispiel über Lebensversicherungen) Kredite vergeben haben, sondern auch jene, die auf künftige Renten und Gesundheitsleistungen hoffen. Wie hier immer wieder erinnert, liegt die Staatsschuld eher bei vier- bis achtmal des BIP, wenn man ordentlich rechnet.

Wachstum kommt aus der Anzahl der Menschen, die arbeitet und deren Produktivität. Die Erwerbsbevölkerung beginnt bekanntlich zu schrumpfen. Und die Produktivität? Diese nimmt zumindest immer weniger zu, 2013 ist sie weltweit gar gesunken. Stephen S. Roach, Professor an der Universität Yale nimmt das Thema in einem Beitrag für die FINANZ und WIRTSCHAFT erneut auf:

  • „Von 2010 bis 2014 ist das Produktivitätswachstum in den USA auf durchschnittlich 0,9 % gesunken. Im vierten Quartal 2014 und im ersten 2015 ist es gar mit einer Jahresrate von 2,6 % gefallen. China erlebt ein ähnliches Verlaufsmuster. Auch wenn die chinesische Regierung keine Produktivitätsstatistiken veröffentlicht, ist das Problem nicht zu übersehen: Die Beschäftigungszunahme in den Städten ist stetig verlaufen und liegt seit 2013 bei rund 13,2 Mio. Arbeitnehmern pro Jahr. Auch Anfang 2015 scheint das Tempo bei den Neueinstellungen anzuhalten. Zugleich hat sich das Produktionswachstum von im Trend 10 % in den Jahren vor 2011 auf etwa 7 % verlangsamt. Dieser Rückgang impliziert angesichts des anhaltend hohen Tempos bei der Schaffung von Arbeitsplätzen eine unverkennbare Produktivitätsverlangsamung. “ – bto: schlechte Nachrichten also.
  • „Angesichts der Tatsache, dass revolutionäre Technologien die Entwicklung neuer Märkte, Dienstleistungen, Produkte und Technologieunternehmen vorantreiben, müsste das Produktivitätswachstum doch steil steigen.“ – bto: scheinbar nicht.
  • „Robert Gordon von der Northwestern University argumentiert, dass von IT und Internet ausgehende Innovationen wie die automatisierte Hochgeschwindigkeits-Datenverarbeitung und der elektronische Handel gegenüber den Durchbrüchen der industriellen Revolution – Dampfmaschine, Strom, Sanitärinstallationen in den Gebäuden usw. – verblassen.“ – bto: Sehr lesenswert ist das Paper von Gordon ‚Is U.S. Economic Growth Over?‘ oder sein 2013 TED Talk.

  • „Ich stehe Gordons Argumentation aufgeschlossen gegenüber. Nimmt man die US-Produktivitätszahlen einfach so hin – als einen verhaltenen Trend, unterbrochen durch eine sechzehnjährige Phase lebhafter Aktivität, die nun abgeklungen zu sein scheint –, ist es möglich, dass Amerika nichts weiter erreicht hat als vorübergehende Effizienzsteigerungen, die mit dem durch die IT ermöglichten Umstieg von einer technologischen Plattform auf eine andere verbunden sind.“ – bto: Das sehe ich genauso.
  • „Die Optimisten beharren darauf, dass die offiziellen Statistiken die Verbesserungen der Lebensqualität nicht hinreichend erfassen. Das mag stimmen, insbesondere angesichts der Fortschritte in der Biotechnologie und der Online-Bildung. Freilich übersehen sie dabei einen zentralen Aspekt der Kritik an der Produktivitätserfassung: die unzureichende Erfassung der mit dem weitverbreiteten Einsatz mobiler IT-Geräte verbundenen Arbeitszeit.“ – bto: Davon kann selbst ich als Publizist ein Lied singen :-)
  • „Die zentrale Rolle des Produktivitätswachstums in der Wirtschaftsentwicklung lässt sich nicht leugnen. Doch für die hoch entwickelten Volkswirtschaften waren Phasen rapiden Produktivitätswachstums bisher die Ausnahme und nicht die Regel. Die jüngsten Anzeichen einer Verlangsamung des Produktivitätswachstums in den USA und China unterstreichen diese Realität.“

Fazit: Wir können aus den Problemen nicht herauswachsen.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: Amerika, China und das Produktivitätsparadox , 16. Juli 2015

Kommentare (4) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Mirko Kohlbrecher
    Mirko Kohlbrecher sagte:

    Hallo Herr Stelter,

    Sie berichten ja oft über China und auch über die hohe Verschuldung. Ich habe gerade etwas Interessantes gelesen: “Selbst der konservativsten dritten der vorstehend beschriebenen Messgrößen zufolge wäre Chinas Schuldenstand immer noch mit dem der Eurozone und der USA vergleichbar. Doch anders als diese Länder besitzt China wohlgemerkt noch ein ausgesprochen großes Vermögen. Diese Seite der Staatsbilanz beschwichtigt die Sorgen um die Tragbarkeit der chinesischen Schulden erheblich. Die Aktivseite der Staatsbilanz umfasst die Devisenreserven, das Vermögen der China Investment Corporation (CIC), den National Social Security Fund (NSSF) sowie börsennotierte SOEs.”

    Könnte von der Seite nicht das Risiko insgesamt etwas reduzierter sein?

    LG

    Antworten
    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Das könnte man. Ich bin aber skeptisch (wie ich in meinem Kommentar bei der WiWo nächste Woche auch sagen werde). Ich denke, es ist alles auch immer eine Frage der Realisierbarkeit. Wenn China wirklich Aktiva verkaufen muss – was zur Zeit interessanterweise der Fall zu sein scheint – hätte das auch internationale Konsequenzen. Für mich deshalb: Ja, China hat mehr Mittel, nein, es ist nicht sicher, dass sie deshalb den Unfall verhindern können …

      Ich werde weiter zu China posten, was ich interessant finde.

      Danke für Ihr Interesse.

      DSt

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  2. Dr. P. Wiget
    Dr. P. Wiget sagte:

    Wachstum! Das magische Wort, dass unsere Volkswirtschaften aus der Stagnation reissen und helfen soll, Überschüsse zu erzeugen, um die durch vorgezogenen Konsum aufgetürmten Schulden abzustottern.

    Doch echtes Wachstum erfordert mindestens eines der folgende Attribute:
    – Produktinnovation, neue und bessere Produkte, welche einen Kaufimpuls auslösen → Echte Produktinnovationen sind leider sehr rar und erfolgen pro Marktsegment ca. alle 10 Jahre (weisse, LED, SMART-Phones, Li-Ionen-Akku, TAVI, etc.). Im Weiteren hat sich gezeigt, dass nur wenige Innovationen der letzten 50-ig Jahre unser Leben und unsere Industrie substantiell verändert haben (Waschmaschine, Computer, Mobiltelefone, Transport). Somit wenig Hoffnung für entwickelte Märkte!
    – Tiefere Herstellkosten durch Prozessinnovation, Automatisation oder Verlagerung in Länder mit tieferen Herstellkosten → Globalisierung und der damit verbundene Wettbewerb zwingen zu permanentem Anpassen und Verbessern. Unternehmerische Reserven sind dank modernem Kostenmanagement und transparenter Buchführung immer rarer. Somit wenig Hoffnung…….!
    – Erhöhte Kaufkraft durch höhere Löhne, billigere Kredite oder tiefere Steuern → Je nach Land und Berufsgattung und Sparte bestehen im begrenzten Masse Spielräume. Doch sollten alle Bereiche sich die Vorgabe der Regierung von Singapur zum Vorsatz nehmen: Keine Schulden auf die nächste Generation zu übertragen! Somit wenig Hoffnung…….!
    – Erhöhte Nachfrage in neuerschlossenen Märkten → Die Kaufkraft von aufsteigenden Ländern ist begrenzt und auf Nischen beschränkt. Somit wenig Hoffnung…….!
    – Bessere Nutzung vorhandener Ressourcen → Im Vordergrund stehen Energieeffizienz, Sharing (teilen von nicht mehr oder nicht vollständig genutzten Mitteln, wie zum Beispiel AirBnB, Mobility, EBAY, etc.). Produkte und Prozesse, welche erstaunliches Wachstum zeigten und noch zeigen werden!

    Somit bleiben unter dem Strich nur wenige, positive Perspektiven! Möglicherweise im Einklang mit dem Beginn eines neuen, negativen Kondratjew-Zyklus!

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