Alles was man wissen muss, und wie man die Krise lösen könnte, steht hier

“Hallo, Herr Dr. Stelter, Sie sind schon gut, vielleicht sogar sehr gut, aber dieser Mann ist noch besser. Im Prinzip können Sie aufhören Bücher über die Finanzkrisen oder Schulden zu schreiben und Ihr Leben genießen, denn alles was man darüber wissen muss und wie man die Krise lösen könnte, steht hier.”

Um es klar zu sagen: Ich finde Mark Dittli genauso wie die von ihm geleitete FINANZ und WIRTSCHAFT brillant und würde auch gerne dort gelegentlich mal schreiben. Ich war sogar schon zu Studentenzeiten ein begeisterter Abonnent. An das Aufhören habe ich auch schon mehrfach gedacht, weil bto als reines Hobby durchaus arbeitsintensiv werden kann und zudem doch auch einiges kostet. Mal schauen, wie es weitergeht.

Morgen auf jeden Fall an dieser Stelle meine Sicht: So sanieren wir die Weltwirtschaft.

Doch nun zum Inhalt. Ich bin weitgehend, aber nicht durchgehend einer Meinung:

  • “(…) wir wissen nicht, wo die Weltwirtschaft heute stünde, wären die Zentralbanken damals nicht eingesprungen. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie uns vor einer tiefen Depression bewahrt haben.” bto: Das denke ich auch. Wobei es noch nicht zu Ende ist! Vielleicht sind wir ja in der Depression in Zeitlupe.
  • Doch nun, da der Orkan längst vorüber ist und die Wirtschaft ruhigere Fahrwasser erreicht hat (…), ­zögern die Notenbanker. Wieso? Zwei Beweggründe: scheinen fest an ihre Fähigkeit zu glauben, die Wirtschaft wie eine Maschine feinsteuern zu können. Und zweitens: weil sie von den Politikern im Stich gelassen wurden. Weil sie wissen, dass die Wirtschaft Anschubhilfe von fiskalpolitischer Seite benötigt, diese aber bislang ausgeblieben ist.” bto: Ich bin mit dem ruhigen Fahrwasser nicht einig. Denke, es ist nicht wirklich ruhig, weil das Wachstum anämisch ist. Fiskalpolitik soll es jetzt richten, fordern ja viele. Doch könnte es nicht sein, dass Erwerbsbevölkerung und Produktivität die eigentlichen Ursachen sind? Und da kann Fiskalpolitik nichts ausrichten.
  • Doch wieso verliefen die Jahre nach 2009 überhaupt so anämisch? Die Antwort liegt in einer Kombination aus vier Gründen: Erstens haben sich Haushalte und Unternehmen im Boom vor 2008 hoch verschuldet und mussten in den Jahren nach dem Crash einen langwierigen Schuldenabbau durchlaufen.” bto: der noch lange nicht zu Ende ist
  • “Zweitens wurde das Bankensystem – vor allem in Europa – nie seriös saniert; die kranken Banken können ihre Rolle als Schmiermittel der Wirtschaft nicht richtig wahrnehmen.” bto: Ja, allerdings ist auch die Kreditnachfrage gedämpft.
  • “Drittens setzt nach mehrjährigen Phasen hoher Arbeitslosigkeit ein Hysterese-Effekt ein, weil Langzeitarbeitslose ihre Fertigkeiten verlieren.” bto: Da habe ich von Daniel Gros Zahlen gesehen, die dem widersprechen. Demnach zeigt sich der Effekt nicht. Außerdem ist die Arbeitslosigkeit gerade in Europa nicht so groß, wenn man a) die gestiegene Erwerbsbeteiligung und b) die Nicht-Teilnahme von Jugendlichen, die in Ausbildung stecken, richtig erfasst.
  • “Viertens sind in den meisten Volkswirtschaften seit gut einem Jahrzehnt generell sinkende Raten in der Arbeitsproduktivität zu beobachten.” bto: bekannt und hier oft thematisiert.
  • Die Kombination dieser Faktoren lässt den Wirtschaftsmotor deutlich unter seinem Potenzial laufen und öffnet eine grosse Lücke in der aggregierten Nachfrage.” bto: Ist dem so? Weniger Erwerbstätige und geringere Produktivität führen zu geringerem Potenzial!
  • Grundsätzlich existieren zwei Denkschulen in der Frage, wie die Wirtschaft wieder auf den Potenzialpfad gebracht werden kann. Die erste verlangt nach schöpferischer Zerstörung, ein reinigendes Beben, das schwache Unternehmen und Banken aus dem Markt fegt, damit auf den Trümmern Neues entstehen kann.”
  • Die zweite Schule verlangt von der Geld- und Fiskalpolitik eine überbrückende Stützung, damit sich Haushalte und Unternehmen sanieren können, Banken gesunden, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Wirtschaft wieder selbsttragend funktionieren kann.” bto: weshalb sogar William White eine Kombination von Hajek und Keynes vorschlägt.
  • So auch Dittli: “In der Theorie wäre das Drehbuch klar gewesen: Die Notenbanken stellen Liquidität bereit und kaufen Zeit, damit die Politik über Investitionsprogramme und Steuersenkungen Nachfrage schaffen und gleichzeitig mit Strukturreformen die Arbeitsproduktivität erhöhen kann. Diese drei Massnahmen – Geldpolitik, Fiskalstimulus und Strukturreformen – müssen sich ­ergänzen, damit sie ihren Effekt erzielen können.”
  • Die Notenbanken wurden im Stich gelassen. Sie haben immer wieder, mit wachsender Verzweiflung, Zeit gekauft, doch die Politiker liessen sie ungenutzt verstreichen. Nun mehren sich die Anzeichen, dass die Notenbanken am Ende ihres Weges angekommen sind. Die Nebenwirkungen ihrer extremen Politik, beispielsweise der Negativzinsen, werden immer schmerzhafter, während an den Finanzmärkten die Gefahr neuer, potenziell desaströser Spekulationsblasen wächst.” bto: was in der Tat ein Problem darstellt. 
  • Staatliche, über den Bondmarkt finanzierte Investitionen in die Infrastruktur wären in den USA, Deutschland, Grossbritannien und auch in Frankreich effizient und erfolgreich umsetzbar. Der Nachholbedarf in all diesen Volkswirtschaften ist riesig, und Investitionen in die Infrastruktur würden ­direkt die Arbeitsproduktivität steigern. Andere Länder, etwa Italien und ebenfalls Frankreich, müssten den von der Geld- und Fiskalpolitik erhaltenen Rückenwind nutzen, um Strukturreformen mit Verve umzusetzen.” bto: Ja, da bin ich auch dafür. Nur sollten wir uns nichts vormachen. Angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung können wir kein Wachstumswunder erwarten. Die Produktivität wird nicht plötzlich boomen, nur, weil es in Berliner Schulen wieder funktionierende Toiletten gibt.

Fazit Dittli: “Dieses Gesamtpaket, eine Art Grand Bargain aus Geld-, Fiskal- und Reformpolitik, wäre nötig, um die Weltwirtschaft wieder auf ihren Potenzialwachstumspfad zu hieven. Die Geldpolitik allein wird das niemals schaffen. Yellen, Draghi und Kuroda müssen – und wollen – das Ruder abgeben.”

Fazit bto: Angesichts von Demografie, Produktivität und Schuldendynamik brauchen wir einen Schuldenschnitt. Fiskalpolitik alleine wird es nicht schaffen, die Nachfolgen unseres Ponzi-Schemas zu bereinigen.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Die gefangenen Retter”, 4. Oktober 2016