Flüchtlinge: Chance oder Risiko?

Meine Meinung zur Flüchtlingskrise ist bekannt. Nur wenn wir massiv investieren und die Zuwanderung steuern, wird sie einen positiven Effekt auf unseren Wohlstand haben. Danach sieht es leider nicht aus. Im Gegenteil laufen wir Gefahr, unseren Wohlstand zu mindern und den sozialen Frieden zu zerstören. Was passiert denn, wenn wir deutliche Kosten haben, höhere Arbeitslosigkeit und Konflikte? In Summe finde ich es ein schönes Beispiel für die goldene Regel, dass das Gegenteil von „gut“, „gut gemeint“ ist. Ein paar Stimmen sind mir in den letzten Tagen aufgefallen:

Mohamed A. El-Erian, ehemaliger Pisco-Top-Manager und jetzt Berater des US-Präsidenten äußert sich in der FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • „Die Einstellung gegenüber Flüchtlingen ist von Land zu Land sehr verschieden. Deutschland verfolgt einen besonders aufgeklärten Ansatz, der in scharfem Kontrast zur Herzlosigkeit der ungarischen Regierung steht.“ – bto: Das mit den Ungarn kann man auch anders sehen, siehe unten.
  • „Die europäischen Politiker haben Mühe, mit den Entwicklungen Schritt zu halten, ganz zu schweigen davon, ihnen einen Schritt voraus zu sein. Und durch ihr Scheitern wird der politische Zusammenhalt der EU, der bereits durch die Griechenlandkrise enorm gelitten hat, weiter geschwächt.“ – bto: Darauf läuft es hinaus. Mal ehrlich: Wie kommen wir dazu, anderen Staaten unsere großzügige Politik aufzuzwingen?
  • „Immerhin scheint ein erheblicher Anteil der zuwandernden Flüchtlinge gut ausgebildet, motiviert und engagiert zu sein, in ihren neuen Heimatstaaten eine bessere Zukunft aufzubauen. Indem sie dieses Potenzial nutzen, können die europäischen Entscheidungsträger ein schweres kurzfristiges Problem langfristig in einen machtvollen Vorteil verwandeln.“ – bto: Andere Studien bezweifeln die Qualifikation erheblich.
  • „Bereits jetzt werden dadurch in Ländern wie Deutschland – die bisher zwar über die Mittel, aber nicht über die entsprechende Ausgabebereitschaft verfügten – zusätzliche Finanzquellen erschlossen. Dies trägt dazu bei, ein Ungleichgewicht bei der Gesamtnachfrage auszugleichen, das gemeinsam mit strukturellen Wachstumshindernissen und der exzessiven Verschuldung einiger Länder die Erholung innerhalb der Region behindert hat.“ – bto: soso. Weil wir jetzt Geld für Flüchtlinge ausgeben, sanieren wir nebenher die Eurozone. Da bin ich platt. Außerdem ist es schlichtweg falsch, zu behaupten, wir hätten das Geld!
  • „Europa hat die Gelegenheit, die momentane Flüchtlingskrise zu einem Katalysator für Erneuerung und Fortschritt zu machen. Hoffen wir, dass die Politiker des Kontinents mit ihrem Gezänk aufhören und diese Möglichkeit gemeinsam nutzen.“

Also, wir brauchen die Flüchtlinge, um uns selbst zu retten: a) demografisch, b) institutionell, c) Euro. – bto: Ich halte das für pure Theorie.

Derweil berichtet der SPIEGEL von den bevorstehenden Wahlen in Polen:

  • „Eine Mehrheit der Polen – auch das zeigen Umfragen – würde am  liebsten Ungarns Premier Viktor Orbán wählen. 60 Prozent sprachen sich dafür aus, die Grenzen des Landes so wie in Ungarn mit Stacheldraht und Zäunen abzudichten.“
  • „Es seien die ‚Todfeinde‘ Polens, die das Land jetzt nötigen wollten, Muslime aufzunehmen, spielte Kaczynski auf die Deutschen an. Polens Rechte hat von Orbán die These übernommen, die Flüchtlingskrise sei vor allem ein Problem Berlins, und Angela Merkel wolle jetzt die Nachbarn zwingen, bei der Lösung mitzuhelfen.“ – bto: Es ist in der Tat vor allem unser Problem, weil wir im Unterschied zu den anderen Ländern ein großzügiges Asylrecht mit großzügiger Unterstützung haben und zugleich offen erklären, wer immer es über das Mittelmeer schafft, sei herzlich willkommen.

So viel zum Thema, wir könnten unsere Nachbarn zwingen. SPIEGEL ONLINE zitiert einen polnischen Professor: „Wir lassen uns nicht moralisch erpressen. Wir handeln nicht aus nationalem Egoismus. Wir verteidigen die Freiheit und das Christentum, das sind europäische Werte.“

Damit ist aber auch klar, dass die Hoffnung von Mohamed A. El-Erian trügt. Es dürfte eher weniger als mehr europäische Kooperation geben. Übrigens gilt das nicht nur für die kleineren Ostländer. Frankreich hat weniger Asylanten aus Syrien aufgenommen als Kempten – so zumindest der Stand vor zwei Wochen.

In der NZZ gibt es dann einen Kommentar zur Rolle der Medien, der doch sehr zu denken gibt:

  • „Einseitigkeit war Trumpf: Die Umarmung der fernen Fremden ging einher mit rabiatem Kommunikationsabbruch dem deutschen Nachbarn gegenüber, der sich nicht auf die kommenden gesellschaftlichen Veränderungen freuen wollte. Kritische Distanz zu den Akteuren, genaue Recherche, die Zurückhaltung im Urteil bei unklarer Faktenlage, die gründliche Ausleuchtung der Hintergründe, Fairness bei der Präsentation unterschiedlicher Meinungen und ein analytischer Blick, der übers Aktuelle hinaus die Folgeprobleme einzuschätzen versucht, all das schien plötzlich unangemessen zu sein.“
  • „Selbst in Nachrichtensendungen wie dem ZDF-‚Heute-Journal‘ gilt anwaltschaftlicher Journalismus als Pflicht. ‚Wo Mitgefühl angebracht wäre, herrscht Menschenverachtung‘, tönt es in einer Nachricht über die Lage in Ungarn. Moderator Claus Kleber zerdrückte eine Träne beim Bericht über einen Busfahrer, der seine Fahrgäste in Englisch herzlich willkommen geheissen hatte.“
  • „Die Emotionalisierung der Berichterstattung führte zu einer bemerkenswerten Kritiklosigkeit den Politikern gegenüber, die den Medienhunger nach gefühlsstarken Szenen gern stillen. Noch nie war Angela Merkel eine so unkritisch angehimmelte Kanzlerin wie in den Wochen der Flüchtlingskrise.“
  • „Die PR-Auftritte von Grossfirmen, die ihre Freude über die neuen Mitarbeiter äussern, die über die Grenzen drängen, finden nur vereinzelt Widerspruch. Wer mit welchen Qualifikationen über die Grenzen drängt, was sich unter den ethnisch und kulturell gemischten und oft verfeindeten Migranten abspielt und wie die daraus zu formende multikulturelle Gesellschaft aussehen wird, solche Fragen wurden lange ebenso marginalisiert wie die Kriminalität im Umfeld der Aufnahmelager.“
  • „Kritiker und Gegner erscheinen als randalierender Pöbel mit ‚Hasssprache‘. Als Expertin wird die ehemalige Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane bemüht, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, in der heute als ‚Fachreferentin für Hate-Speech‘ eine Julia Schramm arbeitet, die selber durch hasserfüllte Tweets, etwa gegen die Erinnerung an die Opfer der Bombardierung Dresdens, bekannt wurde.“

Das ist gefährlich, weil es den Eindruck eines „Eliteprojektes“ erweckt, welches zu Lasten der breiten Bevölkerung gehen könnte, so zumindest die Angst von Jörg Baberowski, der das in einem Beitrag für die F.A.Z. gut dargelegt hat.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: „Flüchtlinge bringen auch Reformchancen“, 25. September 2015

SPIEGEL ONLNE : „Polen und die Flüchtlingskrise: Wahlkampf mit der Angst“, 27. September 2015

→ NZZ: Berichterstatter als Stimmungsmacher, 19. September 2015