Zeit, das Pfund zu kaufen?

Dieser Beitrag erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Einhellige Meinung der Ökonomen und Finanzmärkte: Der Brexit ist schlecht für England, das Pfund fällt und muss weiter fallen. Höchste Zeit, eine Position in Pfund einzugehen. 

Gleich nach dem Brexit habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Austritt Englands keineswegs sicher eine schlechte Entscheidung für das Land war. Zu stark sind die (wirtschafts-)liberalen Traditionen Großbritanniens, die Qualität der Universitäten – immerhin sind acht der hundert besten Universitäten der Welt in dem Land zu Hause –, eine positive demografische Entwicklung und der Vorteil der Sprache machen das Land immer noch attraktiv für qualifizierte Zuwanderer aus aller Welt.

Zugleich wird die EU immer mehr zu einer europäischen Version des „Hotel California“, welches man nicht mehr verlassen darf. Die Haltung der EU-Politiker, die möglichst hart mit England umspringen wollen, um ein Exempel zu statuieren, unterstreicht die Schwäche der Union, die zunehmend daran scheitert, das Wohlstandsversprechen an die Bürger zu erfüllen.

Eine Neuordnung der Eurozone ist dringend erforderlich

Zu viele faule Schulden, rückläufige Erwerbsbevölkerung, schwaches Produktivitätswachstum, Reformstau und Umverteilung statt Schaffung von Wohlstand führen zu einer dauerhaften Stagnation. Schuldenrestrukturierung, Reformen und eine Neuordnung der Eurozone sind dringend erforderlich, bleiben angesichts des politischen Personals aber nur eine Hoffnung der allergrößten Optimisten. Ohne die EZB mit ihren immer aggressiveren Maßnahmen wäre die ganze Konstruktion schon lange in die Luft geflogen.

Hinzu kommt die Unfähigkeit, eine gemeinsame Antwort auf die andere große Herausforderung unserer Zeit zu finden: die Migrationskrise, die eine direkte Folge der Schrumpfvergreisung bei uns und des demografischen Booms auf der anderen Seite des Mittelmeeres ist.

Ganz schön mutig finde ich da, wenn wir EU-Europäer abschätzig auf Großbritannien schauen und der dortigen Wirtschaft den Niedergang prophezeien. Wie ein Krebskranker, der sich Sorgen macht um den Patienten mit der Lungenentzündung.

Sicherlich wird Großbritannien durch eine Phase der Unsicherheit gehen. Dennoch ist das Land weit davon entfernt, zu einem dauerhaften Problemfall zu werden, wie die EU es längst ist. Die Briten haben mit ihrem Austritt eher die Notbremse gezogen und dürften auch nicht das letzte Land sein, das der EU den Rücken kehrt.

Der Absturz des Pfund ist überzogen

Umso erstaunlicher ist die Reaktion an den Finanzmärkten. Auch ich habe mit einer Schwäche des Pfunds gerechnet und mit der Möglichkeit, mit britischen Aktien Geld zu verdienen. Doch zunehmend nimmt der Absturz des Pfunds hysterische Ausmaße an. Strategisch halte ich diesen Absturz für überzogen, da ich auf einen Zeithorizont von zehn Jahren sicherlich andere Währungen halte, als den Euro, von dem ich nur ziemlich sicher weiß, dass er in dieser Form nicht mehr existieren wird.

Taktisch spricht noch viel mehr dafür, Pfund zu kaufen. Es sind nämliche alle Banken und Spekulanten wieder einmal einer Meinung. Die Short-Positionen der Spekulanten sind auf einem Höchststand. Alle, die verkaufen wollen, haben verkauft. Alle, die auf fallende Kurse setzen wollen, haben das getan. Es war ein gutes Geschäft – bis jetzt. Wie schon in der Vergangenheit dürfte die Trendumkehr weitaus näher sein, als wir denken.

Am wichtigsten ist, aus Trades mit Profit auszusteigen

Erinnern Sie sich noch an die Prognose von einem Wechselkurs von 1:1 zwischen US-Dollar und Euro? Kurz, nachdem alle Banken die Prognose abgegeben hatten, drehte die Entwicklung und der Euro wertete auf. Oder die Prognose von fallenden Goldpreisen – allen voran die Deutsche Bank mit ihrem Kursziel von 750 US-Dollar? Kaum abgegeben war die Abwärtsbewegung bei Gold beendet und es gab eine deutliche Erholung.

Keine Entwicklung verläuft linear. Keine Prognose der Kapitalmarktexperten darf man für bare Münze nehmen. Wüssten sie wirklich, was an den Märkten passiert, würden sie keine Studien schreiben, sondern in einem warmen Steuerparadies von ihren Kapitalerträgen leben. Vielmehr geht es darum, aus den profitablen Trades auch mit Profit aussteigen zu können. Dazu braucht man einen „greater fool“, also einen dümmeren Investor, der selbst wenn der Großteil der Entwicklung schon gelaufen ist, noch auf den fahrenden Zug aufspringen will.

Nicht einmal die klügsten Köpfe sind vor diesen Fehlern gefeit. Isaac Newton hatte bereits viel Geld mit seiner Spekulation in der Südseeblase gewonnen, ärgerte sich aber darüber, dass seine Bekannten noch mehr Geld verdienten. Also stieg er kurz vor dem Crash erneut ein, mit der Folge herber Verluste. Heute noch auf ein weiter fallendes Pfund zu setzen, ist dumm. Pfund zu kaufen hingegen sieht zunehmend interessanter aus. Selbst, wenn es noch etwas nach unten gehen sollte: Langfristig spricht eine Menge für die Währung.

→ WiWo.de: “Warum Sie jetzt Pfund kaufen sollten”, 13. Oktober 2016