„Wer Bargeld verbietet, muss Vollgeld fordern“

Bereits in meinem Kommentar in der vergangenen Woche zum Thema Bargeldverbot habe ich deutlich gemacht, dass es nur vordergründig darum geht, Kriminalität und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. In Wirklichkeit geht es darum, die Sparer zugunsten der Schuldner zu enteignen und zum Ausgeben von Geld für mehr oder weniger sinnvolle Dinge zu motivieren, im verzweifelten Versuch, den Schuldenturm der westlichen Welt vor dem Einsturz zu bewahren.

Nun hat sich mit Peter Bofinger erstmals ein namhafter deutscher Ökonom und Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung zu der Idee bekannt. Auch hier natürlich vor allem, um Kriminalität zu bekämpfen. Die Durchsetzung der Negativzinsen wäre dabei nur ein angenehmer Nebenaspekt. Mit Blick auf das Vorbild Skandinavien wird immer wieder betont, dass dort neben dem Staat auch die Banken groß für dieses Anliegen werben.

Dies sollte ‒ nicht zuletzt wegen der Erfahrungen in der Finanz- und Eurokrise ‒ skeptisch stimmen. Denn es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Bargeld und einem Guthaben auf dem Bankkonto. Bargeld ist eine Forderung gegen die Notenbank und damit letztlich gegen den Staat. Das Kontoguthaben ist ein Anspruch gegen die Bank und unterliegt, wie wir leidvoll gesehen haben, einem erheblichen Risiko.

Bei Eigenkapitalquoten von rund drei Prozent bedarf es keiner großen Ereignisse und die Bank ist pleite. Das europäische Bankensystem in Summe steht auch sechs Jahre nach Krisenbeginn auf tönernen Füßen und es gehört nicht viel Fantasie dazu, die Ereignisse in Zypern und zuletzt in Österreich für die Vorboten einer viel weitergehenden Beteiligung der Sparer bei der “Sanierung” von Banken zu sehen. Schon im Falle von Zypern sprach Eurogruppenchef Dijsselbloem von einer “Blaupause” für ähnliche Fälle in Europa.

Gibt es kein Bargeld mehr, kann niemand mehr aus diesem System flüchten. Ein Run auf eine Bank wäre dann nicht mehr mit langen Schlangen vor den Schalterhallen verbunden. Stattdessen müssten die Sparer versuchen, ihr Geld zu einer anderen ‒ sichereren? ‒ Bank zu transferieren. Wir wären vor die Wahl gestellt: Enteignungsrisiko eingehen, das Bargeldverbot missachten und umgehen, das Geld in teure Vermögenswerte stecken oder es gleich ausgeben.

Ginge es den Befürwortern des Bargeldverbotes wirklich nur um die Bekämpfung von Kriminalität und Steuerhinterziehung, würden sie konsequenterweise ihre Forderung mit einer weiteren verbinden: der Abkehr von unserem heutigen Geldsystem, in dem jede Bank weitgehend unbegrenzt neues Geld schaffen kann. Jede Kreditvergabe schafft heute neues Geld. Zwar sollten diese Kredite nur gegen angemessene Sicherheiten vergeben werden, doch wie wir gesehen haben, trifft dies in der Praxis nicht zu. Ein immer größerer Teil der Schulden, vor denen wir stehen, ist nicht mehr ordentlich zu bedienen und die Sicherheiten, wie zum Beispiel Immobilien in Irland und Spanien, sind längst nicht mehr so werthaltig wie früher angenommen.

 Kreditvergabe nur noch gegen harte Einlagen erlauben

Die Lösung könnte darin liegen, den Banken die Möglichkeit der autonomen Geldschaffung zu nehmen und die Schaffung neuen Geldes nur noch der Notenbank zu ermöglichen. Banken könnten dann nur noch Kredite vergeben, wenn sie zuvor entsprechende Einlagen von Kunden bekommen hätten, mit der expliziten Erlaubnis, dieses Geld als Kredite weiterzugeben.

Geld auf dem Girokonto, die sogenannte Sichteinlage, dürfte hingegen nicht ausgeliehen werden und die Bank müsste den Gegenwert in voller Höhe vorhalten, zum Beispiel auf einem Konto bei der Notenbank oder im Tresor. Dieses Geld wäre dann in der Tat genauso sicher und damit genauso viel Wert wie Bargeld.

Experten sprechen in diesem Fall von “Vollgeld”. Eine Idee, die die Professoren Henry Simons und Irving Fisher bereits im Jahre 1936 vorgestellt haben. Sie sahen darin einen Weg, das Geld ‒ gleich Kreditwachstum ‒ einer Volkswirtschaft zu stabilisieren und Zyklen aus Boom und Krise zu verhindern. Vor allem gäbe es nicht mehr das Risiko von Bankenschieflagen, die die gesamte Wirtschaft in die Krise stürzen. Die Sparer, die mit dem Ziel Renditen zu erwirtschaften, den Banken Geld leihen, täten dies als bewusste Entscheidung und würden sicherlich mehr als heute darauf achten, wie solide eine Bank wirtschaftet. Höhere Eigenkapitalquoten wären die sichere Folge, was neben den Investoren auch die Steuerzahler freuen dürfte, da kostspielige Bankenrettungen nicht mehr erforderlich wären.

Dass Vollgeld eine realistische Option darstellt, haben Wissenschaftler im Auftrag des IWF bereits im Jahre 2012 bewiesen. Dabei zeigen sie auch auf, dass die Idee von Vollgeld und staatlichem Geldmonopol nicht neu ist und in der Vergangenheit schon prominente Unterstützer wie Benjamin Franklin, David Ricardo, Thomas Jefferson und Nobelpreisträger Milton Friedman hatte.

Vollgeld liefe auf eine Monetarisierung der Schulden hinaus

Zudem könnte bei einer Umstellung von dem heutigen System auf das Vollgeldsystem ein großer Teil der Schulden auf elegante Weise bereinigt werden, wie der IWF vorrechnet. Wären die Banken verpflichtet, ihre Ausleihungen zu 100 Prozent mit Zentralbankgeld zu refinanzieren, müssten sie sich dieses Geld bei der Notenbank leihen, was zu einer Bilanzverlängerung führen würde. Anschließend ließen sich diese Verpflichtungen gegenüber der Notenbank mit den Forderungen gegenüber dem Staat verrechnen und so die Staatsschulden quasi in einem Schritt aus der Welt schaffen. Für die USA rechnen die Forscher sogar vor, dass auch noch ein Teil der privaten Schulden gleich mit bereinigt werden könnten.

Faktisch wäre dies eine “Monetarisierung” der bestehenden Schulden. Dies muss keineswegs inflationär sein, da Inflation sich nur aus einer Mehrnachfrage und damit letztlich aus Kreditwachstum ergibt. Ohnehin läuft die derzeitige Strategie der Notenbanken über den Ankauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren, im Fachjargon “Quantitative Easing” genannt, auf eine Monetarisierung hinaus.

In der Schweiz wird derzeit eine Volksabstimmung zu dem Thema vorbereitet. Die Kritiker einer solchen Lösung befürchten vor allem eines: dass der Schweizer Franken nach einem solchen Systemwechsel noch begehrter wird, als er es ohnehin schon ist. Eine berechtigte Angst, die allerdings unterstreicht, wie attraktiv Vollgeld aus Sicht des Sparers ist. In Island hat eine Kommission im Auftrag des Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ebenfalls einen Systemwechsel vorgeschlagen. Selbst vonseiten der “Financial Times” gibt es Unterstützung für diese Idee.

Nur die Vorreiter des Bargeldverbots sind auffällig still, was skeptisch macht. Geht es doch nur darum, bei Beibehaltung der Privilegien des Bankensystems die Sparer zur Kasse zu bitten? Es sieht ganz danach aus.

Dieser Kommentar erschien bei manager magazin online:

→ manager-magazin online: „Wer Bargeld verbietet, muss Vollgeld fordern“, 19. Mai 2015