“Weichenstellung an den Kapitalmärkten”

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Donald Trumps Politik könnte schon 2017 eine der größten Fragen der Wirtschaftswissenschaftler klären: Droht den Industrieländern eine Dauerstagnation? Die Antwort dürfte die Kapitalmärkte durchschütteln. So oder so.

Im Herbst 2013 hielt der frühere US-Finanzminister und jetzige Harvard-Professor Larry Summers bei einer Konferenz des Weltwährungsfonds (IWF) eine viel beachtete Rede, in der er der Weltwirtschaft eine jahrzehntelange Stagnation prophezeite. Ursächlich sei der Überhang an Ersparnissen, die nicht ausreichend zu Investitionen führten.

Sichtbar würde dies an den anhaltenden Handelsungleichgewichten mit China, Japan und Deutschland als Sparer auf der einen und den USA, Großbritannien und der Peripherie Europas als Schuldner auf der anderen Seite. Die Zinsen sänken trotz des Ersparnisüberhangs nicht weit genug, um mehr Investitionen anzuregen. Ergebnis: eine mehrjährige Stagnation. Summers nannte es „säkulare Stagnation“, ich nenne es Eiszeit.

Die Folgen wären fatal. Nichts kann eine überschuldete Wirtschaft weniger gebrauchen als geringes Wachstum. Je geringer das Wachstum desto höher die Last der Schulden und die Wahrscheinlichkeit, dass diese nicht mehr bedient werden können. Die Wirkung auf Renten- und Sozialsysteme wäre ebenfalls verheerend. Die heute schon schwer zu erfüllenden Versprechungen würden vollkommen unrealistisch.

Die Empirie scheint die Argumentation von Summers zu stützen: Die Erholung der westlichen Volkswirtschaften seit der Finanzkrise ist sehr schwach. Die Wirtschaftsleistung einiger Länder wie Italien befindet sich noch immer unter Vorkrisenniveau, überall liegt die Wirtschaft deutlich unter dem Vorkrisentrend.

Der Lösungsvorschlag von Summers liegt auf der Hand: Zinsen im deutlich negativen Bereich und schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme sollen die Stagnation überwinden. Vor allem die Länder mit großen Handelsüberschüssen sollen endlich mehr investieren und so ihren Beitrag zur Verringerung der Ersparnisüberhänge leisten. Daher auch die Diskussion um die deutschen Handelsüberschüsse.

Stagnation eher Folge von zu vielen Schulden

Regelmäßige Leser meiner Kommentare wissen, dass ich die These der Ersparnisüberhänge nicht teile. Vielmehr dürfte das geringe Wachstum Folge des massiven Schuldenüberhangs sein. Die Dimensionen des Schulden- (und damit des Forderungs-!) anstiegs sind gigantisch. Seit 1980 haben sich die Schulden von Staaten, Nichtfinanzunternehmen und privaten Haushalten in der westlichen Welt von 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf mehr als 340 Prozent des BIP verdoppelt. Real, also nach Inflation, haben Unternehmen mehr als dreimal, Staaten mehr als viermal und private Haushalte mehr als achtmal so viele Schulden wie 1980.

Verschärft wird die Stagnation durch geringe Produktivitätszuwächse – die wiederum Folge der unproduktiven Verwendung der Schulden sind – und schrumpfende Erwerbsbevölkerungen. Mein Rezept zur Überwindung der Stagnation ist denn auch ein anderes: Restrukturierung der Schulden, Investitionen in Bildung und Innovation, Erhöhung der Erwerbstätigenquote und eine radikale Automatisierung.

Die Notenbanken haben in den vergangenen Jahren alles getan, um die von Summers diagnostizierte säkulare Stagnation zu überwinden. Bisher ohne Erfolg. Als Nächstes stehen notenbankfinanzierte Konjunkturprogramme, das sogenannte Helikoptergeld, auf dem Programm. Auf die Idee, dass die These der säkularen Stagnation falsch sein könnte, und es vielmehr daran liegt, dass die Geldpolitik nicht wirkt, kommt man in den Büros der Notenbanker offensichtlich nicht.

Trump klärt die Frage

Donald Trump könnte die Streitfrage der Ökonomie beantworten: Ist es wirklich eine säkulare Stagnation, die wir bekämpfen müssen? Oder ist Geldpolitik einfach nicht mehr wirksam, weil wir schon zu lange mit Nullzinsen leben?

Mit Steuersenkungen, einem Umbau des Steuersystems zur Begünstigung heimischer Unternehmen und schuldenfinanzierten Infrastrukturprogrammen plant die neue US-Regierung, die Wachstumsraten auf vier bis fünf Prozent zu treiben. Das Problem ist, dass die Zinsen mit Blick auf diese Maßnahmen bereits deutlich gestiegen sind. Damit droht Trump zu scheitern, bevor er richtig angefangen hat. Der angesehene US-Vermögensverwalter GMO diskutiert die Folgen in seinem jüngsten Quartalskommentar.

Stimmt die These der Wirkungslosigkeit der Geldpolitik, würde die Wirtschaft die Erhöhung der Zinsen problemlos verkraften. Trotz Zinsen von mehr als drei Prozent für zehnjährige US-Staatsanleihen bliebe die Wirtschaft auf Wachstumskurs und die Maßnahmen der US-Regierung würden Beschäftigung und Wachstumsraten auf ein dauerhaft höheres Niveau heben. Die These der säkularen Stagnation würde also widerlegt.

Aus Sicht der Kapitalmärkte wäre das kurzfristig schlecht und langfristig gut. Der Zinsanstieg würde alle Vermögenswerte (Assets) deutlich unter Druck setzen. Die heutigen Bewertungsniveaus sind nur mit rekordtiefen Zinsen zu begründen. Unternehmensgewinne können gar nicht schnell genug steigen, um den Rückgang der Bewertungsmultiples aufzufangen. Noch schlimmer sieht es bei Anleihen und anderen Assets wie Immobilien und Kunst aus.

Nach der Korrektur dürften wir allerdings wieder mit normalen Renditen in der Kapitalanlage rechnen. Zinsen zwischen vier und sechs Prozent und Aktienrenditen von sechs bis acht Prozent pro Jahr wären wieder möglich. Renten und Lebensversicherungen wären wieder sicherer.

Das andere Szenario ist weitaus fataler. Stimmt die These der Dauerstagnation, dürfte der Zinsanstieg schon bald die Wirtschaft abwürgen. Die Rezession wäre da und zugleich der Beweis, dass wir uns infolge des Schuldenüberhangs in einer säkularen Stagnation befinden. Den Notenbanken bleibt keine andere Wahl als den Zinssenkungsreigen eine noch aggressivere Runde weiterzudrehen. Da Notenbanken weder die Schulden aus der Welt schaffen, noch die Produktivität steigern und die Erwerbsbevölkerung vergrößern, bliebe die Wirkung beschränkt: die realwirtschaftliche Depression verhindert und keine nachhaltige Erholung, dafür aber eine noch größere Party an den Finanzmärkten. Langfristig wären dann keine großen Renditen an den Finanzmärkten zu erwarten. Vielmehr bliebe es bei marginalen Erträgen auf Sicht von Jahrzehnten.

Liest man die Argumentation von GMO, kann man eigentlich nur zu dem gleichen Schluss kommen, wie bei der Lektüre meiner Kolumne in den vergangenen Jahren. Die Wahrscheinlichkeit für das optimistische Szenario liegt nahe Null. Die Eiszeit ist weitaus wahrscheinlicher.

Für uns in der Geldanlage ist die Strategie klar: zunächst, wie hier schon länger gepredigt, die Risiken reduzieren. Bei einer Korrektur an den Märkten wieder massiv einsteigen. Früher, wenn die Realwirtschaft mit einbricht, weil dann die Interventionen der Notenbanken nahen, später, wenn die höheren Zinsen die Realwirtschaft wirklich nicht belasten. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

→  WirtschaftsWoche.de: “Weichenstellung an den Kapitalmärkten”, 2. März 2017