Standard-Interview: „Euro führt zur Radi­kali­sierung in Europa“

Von den Euro-Problemen profitieren extreme linke wie rechte Parteien, meint Ökonom Daniel Stelter

STANDARD: Die Eurofinanzminister debattieren gerade über die Zukunft der Währungsunion. Wo drückt der Schuh?

Stelter: Wir haben zwei Probleme in Europa: erstens die Schulden, wobei ich sowohl staatliche als auch private meine, zweitens die auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeit. Überall, außer in Deutschland, liegt die Verschuldung heute über dem Niveau von 2008. Und: Die Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländern hat sich nicht verbessert. Der Euro, der uns als großer Wohlstandsbringer verkauft wurde, entpuppt sich zusehends als Wohlstandshemmnis.

STANDARD: Die Lohnstückkosten der Peripherieländer sind aber gesunken, also hat sich ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöht.

Stelter: Ja, aber das hängt damit zusammen, dass der Bausektor, der generell ein unproduktiver Sektor ist, nach dem Boom in vielen Ländern wie Spanien kollabiert ist. Statistisch stieg dadurch die Produktivität. Selbst Spanien bräuchte trotz der positiven Tendenzen bei den Exporten noch zehn Jahre, um die Krise zu überwinden. Hält das eine Gesellschaft durch? Nein. Die jungen Leute gehen weg. Wir lügen uns was vor, wenn wir sagen, es geht voran. Oder nehmen Sie Portugal, das als Musterbeispiel einer gelungenen Sanierung gilt. Die Gesamtverschuldung, also private und staatliche zusammengerechnet, liegt über jener Griechenlands. Diese hohen Schulden werden nie und nimmer von einer schrumpfenden Bevölkerung bedient werden können.

STANDARD: Was ist der Schluss daraus?

Stelter: Schauen Sie nach Italien oder nach Portugal, die in wirtschaftlicher Agonie verharren, aus der sie sich nicht befreien können. Ich fand es interessant, dass sich Sarah Wagenknecht von der Linken hingestellt und gesagt hat, wir sollten den Euro beenden. Die Linke war immer sehr stark für den Euro, weil sie sich davon eine stärkere Umverteilung und mehr Sozialstaat erwartet hat, und das erfüllt sich jetzt nicht. Für alle radikalen Parteien, seien sie links oder rechts, ist die Eurokritik ein Superthema. Jetzt müssten wir eigentlich sagen: So geht’s nicht weiter. Entweder machen wir eine schnellere Integration, was die Bevölkerung nicht will, oder wir finden einen geordneten Weg, um das Ding zu beenden. Davor scheuen sich die etablierten Parteien. Das ist die Chance der radikalen Parteien, weil die Bevölkerung merkt, dass da etwas nicht funktioniert, dass die Wirtschaft nicht Tritt fasst. Der Euro führt somit zu einer Radikalisierung in Europa, also zum Gegenteil von dem, was er bringen sollte. Ähnlich ist es bei der Migration, die zwar eine Riesenchance ist, von der Politik aber nicht offensiv angegangen wird.

STANDARD: Wo könnte die Euroskepsis konkrete Folgen haben?

Stelter: Mein persönlicher Kandidat für einen Austritt ist Italien. Alle Oppositionsparteien sind euroskeptisch, einige sind für den Austritt aus der Währungsunion. In einer Demokratie ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Opposition an die Macht kommt. Der Euro ist für Italien, aber auch Frankreich viel zu stark. Dazu kommen die schlechte demografische Entwicklung und Arbeitsmarktregulierung. Da liegt vieles im Argen, jetzt gibt es einen Schuldigen.

STANDARD: Also auf in die Transferunion?

Stelter: Selbst wenn wir in einen Umverteilungsmodus einsteigen, würden wir vielleicht das Schuldenthema lösen, aber die Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern. Denken Sie an Italien, das seit über hundert Jahren eine Währungsunion zwischen dem Süden und dem Norden hat. Es hat sich aber nichts verbessert. Wenn wir nicht in Richtung Integration gehen können, dann lasst uns das Thema möglichst rasch beenden. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir zunehmend soziale Konflikte in den Ländern und politische Konflikte zwischen den Ländern bekommen. Damit würde der Euro genau zum Gegenteil dessen führen, was er bringen soll. Das ist ganz fatal. (Andreas Schnauder, 13.9.2015)

derStandard: Ökonom: „Euro führt zur Radikalisierung in Europa“, 13. September 2015“