„Endspiel mit der Noten­presse – Japan weist uns unsere Zukunft“

Im Trubel von VW-Skandal und Flüchtlingskrise ging eine wichtige Nachricht aus der Wirtschaft in der vergangenen Woche unter. Die japanische Wirtschaft ist in die Deflation zurückgefallen, es droht eine neue Rezession. Es wäre immerhin die vierte in fünf Jahren.

Das sind schlechte Nachrichten für Japan und die Wirtschaftspolitiker in den USA und Europa. Es ist eben doch nicht möglich, mit der Notenpresse Wohlstand zu schaffen und Krisen zu lösen. Japan zeigt uns demnächst, wie das Endspiel aussieht, auf das auch wir mit immer höherer Geschwindigkeit zusteuern.

Wie von mir bereits Anfang 2014 an dieser Stelle vorhergesagt, ist der verzweifelte Versuch der japanischen Regierung gescheitert, die Wirtschaft aus der Spirale immer höherer Schulden, stagnierender Wirtschaft und fallender Preise zu befreien. Dabei waren die Hoffnungen groß. Die japanische Regierung um Ministerpräsident Abe hat alles auf eine Karte gesetzt – wie ein Autofahrer, der erkennt, dass er vor einer Mauer, nicht mehr zum Stehen kommt und deswegen Vollgas gibt, um diese zu durchbrechen.

Die Strategie der Abenomics basierte auf drei Säulen:

  • Viel Geld drucken (relativ zur Größe der Volkswirtschaft rund ein Drittel mehr als die nicht gerade knausrige Fed), um dadurch die Inflation über zwei Prozent zu bekommen.
  • „Flexibel“ weiter Defizite machen (zurzeit circa zehn Prozent vom BIP-Staatsdefizit).
  • Mit Reformen das Wachstumspotenzial stärken, zum Beispiel durch eine höhere Erwerbsquote von Frauen.

Nachdem es mit den Reformen nur schleppend vorangeht, passierte nicht viel mehr als die massive Abwertung der eigenen Währung und das Aufkaufen von Wertpapieren durch die eigene Notenbank. Der erhoffte Exportboom hat sich jedoch nicht eingestellt.

Die japanische Industrie – wie auch die deutsche – verkauft vor allem hochwertige Produkte, die nicht unbedingt über den Preis verkauft werden. Die Unternehmen haben deshalb weniger den Preis gesenkt und stattdessen lieber die Gewinne maximiert. Weil sie diese Gewinne nicht investieren oder höhere Löhne bezahlen, kommt es im Inland nicht zu mehr Nachfrage.

Gleichzeitig wirken gestiegene Importpreise wie eine Konsumsteuer. Private Haushalte zahlen den Preis für die verzweifelte Politik. Stagnierende Einkommen und höhere Lebenshaltungskosten führen zu weniger, nicht zu mehr Wachstum.
Dabei muss man Abe in Schutz nehmen: Die Fehler wurden vor 20 Jahren gemacht. Er versucht heute verzweifelt das Unvermeidliche zu verhindern: die Pleite Japans.

Japan ist pleite

Zusammenfassend lässt sich Japan folgendermaßen charakterisieren. Es ist ein Land

  • mit solidem Wachstum des BIP pro Kopf;
  • mit einer schrumpfenden Bevölkerung (bis 2060 wird sich dieser Prozess fortsetzen und die Bevölkerung von 127 Millionen auf 87 Millionen sinken);
  • mit folglich geringerem realen Wachstum auch in den kommenden Jahrzehnten;
  • mit einer weiter sinkenden Sparquote der älter werdenden Bevölkerung, die demnächst sogar negativ wird;
  • mit einem Unternehmenssektor, der nach 25 Jahren Schuldenabbau über eine sehr solide Bilanz verfügt und wenig investiert, unter anderem auch mit Blick auf die demografische Entwicklung;
  • mit einem Staat, der bei einem Schuldenstand nahe 250 Prozent des BIP trotz Minizinsen immerhin 43 Prozent der Staatseinnahmen für den Schuldendienst aufwendet;
  • mit einer Notenbank, die über Jahre eine Politik des billigen Geldes verfolgt hat und als erste Notenbank der Welt bereits 2001 mit Quantitative Easing experimentiert hat.
  • Es ist ein Land, in dem trotz aller Bemühungen die Inflationsrate anhaltend tief geblieben ist.

Oder einfach ausgedrückt: ein Land, welches völlig überschuldet ist. Keine Volkswirtschaft kann ein Schuldenniveau von jenseits von 400 Prozent des BIP – so hoch ist der kumulierte Schuldenstand von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten – ohne ein deutliches Nominalwachstum verkraften. Doch dieses ist angesichts von Demografie und tiefer Inflation nicht in Sicht.

Einfach Geld drucken

Es ist offensichtlich, dass die Regierung die Schulden niemals zurückzahlen können wird. Die Frage ist demzufolge nicht, ob, sondern nur wie die Gläubiger ihre Forderungen verlieren werden.

Die Bank of Japan kauft einen immer größeren Anteil der Staatsschulden auf. Nicht lange und der Großteil der japanischen Staatsschulden ist im Besitz der japanischen Notenbank. Da Staat und Notenbank beide dem japanischen Volk „gehören“, könnte man die Ansicht vertreten, dass die Schulden nicht mehr relevant sind. Die Notenbank würde die Zinseinnahmen auf der Staatsschuld in der Sekunde, in der sie bezahlt werden, wieder an das Finanzministerium zurücküberweisen und auf Tilgung verzichten. Bingo! – Das Schuldenproblem wäre gelöst und niemand würde Geld verlieren.

Schon seit Längerem diskutieren Volkswirte ernsthaft die Möglichkeit, auf elegantem Wege die Schuldenkrise zu lösen. Dabei gibt es zwei Schulen. Die einen sehen das als gefahrlos an, solange man es nur einmalig macht und nicht dauerhaft. Das Geld wäre ja schon im Umlauf, insofern drohe keine Inflation. Die anderen sehen das Risiko eines Vertrauensverlustes in unser Geldsystem, was eine völlige Entwertung zur Folge hätte. Wir werden es erst wissen, wenn wir es machen. Ich selber halte das Risiko für erheblich.

Japan scheint gewillt, das Risiko einzugehen.

Im Westen starten die Helikopter 

Blickt man zu uns, so sieht es keineswegs besser aus als im Japan der 1990er-Jahre. Eine Schuldenkrise wurde durch noch mehr Schulden und noch billigeres Geld bekämpft. Damit haben wir Konsum in die Gegenwart vorgezogen und Konkurse in die Zukunft verschoben. Europaweit wimmelt es von Zombiefirmen, die zwar noch in der Lage sind, die Zinsen zu bezahlen, aber nicht zu tilgen, geschweige denn zu investieren und zu innovieren. Wie Japan machen wir den entscheidenden Fehler: Statt die nicht bedienbaren Schulden zu bereinigen, spielen wir auf Zeit. Die Bereinigung wäre – egal, wie sie nun passiert, ob über Pleiten oder Besteuerung – kurzfristig schmerzvoll, mittelfristig aber deutlich besser, weil die Krise rascher überwunden wäre.

Weil die Politik dies scheut und damit zielsicher den Schaden für uns alle maximiert, bleiben die Notenbanken alleine gefordert. Nicht nur die Fed hat die Zinsen nicht erhöhen können, wie ich hier erläutert habe, sie und die anderen Notenbanken werden noch viel weiter gehen mit ihren Maßnahmen. Negativzinsen, Einschränkungen des Bargeldverkehrs, direkte Finanzierung der Staaten und am Ende gar Überweisungen direkt an die Bürger, eine Idee, die ich unter den gegebenen Umständen allemal für besser halte als eine weitere Subventionierung des Bankensystems nach dem Motto, dann lieber 10.000 Euro für jeden.

Damit werden wir viel schneller als Japan das Endspiel erreichen, nicht nur wegen der ebenfalls schlechten demografischen Entwicklung – an der auch die aktuelle Zuwanderung nichts ändert, die, so wie wir sie gestalten, eher zu einer Be- als einer Entlastung wird. Während Japan eine homogene Gesellschaft ist, wo zudem Gläubiger und Schuldner im Inland sitzen, haben wir es in Europa mit verschiedenen Nationen und verschiedenen Rollen zu tun. Hier die Gläubiger, dort die Schuldner. Eine konstruktive Lösung ist bei uns viel schwieriger zu erreichen.

Noch ist uns Japan um ein paar Jahre voraus, aber wir holen rasch auf. Trotzdem dürfte Japan vor uns zeigen, wohin die monetären Experimente führen. Zur Rettung oder in den Untergang.

→ manager-magazin.de: „Endspiel mit der Notenpresse – Japan weist uns unsere Zukunft“, 29. September 2015