“Die Noten­banken und der nackte Kaiser”

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche.de:

Die Banken Europas sind insolvent, weil die Realwirtschaft pleite ist. Unangenehm für Gläubiger und gefährlich für die Konjunktur. Deshalb bewundern wir weiter des Kaisers Kleider, obwohl er nackt ist.

Im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern geht es vordergründig um die Macht der Einbildung, der Überzeugungskraft und des sozialen Drucks. Den gewieften Betrügern gelingt es dem Kaiser einzureden, die Kleider wären wunderschön und könnten nur von Personen gesehen werden, die ihres Amts würdig und nicht dumm seien. Da niemand als unwürdig und dumm erscheinen will, machen alle mit im Spiel. Der Kaiser läuft nackt durch die Stadt, und alle bewundern sein schönes Gewand – bis schließlich ein vermeintlich naives Kind die Wahrheit ausruft: Der Kaiser ist doch nackt!

Auch heute gelten nur jene ihres Amtes würdig, die die Illusion einer erfolgreichen Eurorettung und eines gesunden Bankensystems aufrechterhalten. Im Unterschied zum Märchen sind die Folgen der Wahrheit auch weitaus unangenehmer. Wir müssten uns eingestehen, dass nicht nur die Banken viel Geld verloren haben, sondern vor allem wir alle einer enormen Vermögensillusion unterliegen. Unsere Forderungen sind nicht so werthaltig wie angenommen und auch die Vermögenspreise sind nur dank des massiven Einsatzes von Leverage, also Schulden, auf dem heutigen, hohen Niveau.

Wie im Märchen ist das Publikum – also wir alle – sehr daran interessiert, dass die Illusion weiterbesteht:

  • Sparer und Vermögensbesitzer wollen keine Verluste realisieren.
  • Banken wollen weiter existieren.
  • Politiker wollen weiterhin mit Schulden – von den Banken bereitwillig angeboten – über konjunkturelle Probleme hinwegtäuschen und unbequeme und unpopuläre Entscheidungen vermeiden.
  • Mit Blick auf die Eurozone wollen Brüsseler Bürokraten und europäische Politiker weiterhin so tun, als ließe sich eine Währungsunion völlig unterschiedlicher Länder alleine mit politischem Willen gegen alle Grundregeln der Ökonomie erhalten.
  • Die Notenbanker genießen ihre Rolle als Retter der Welt, was da auch komme.

Dumm ist nur, wenn das gemeinsame Ziel des (Selbst-)Illusionierens zu unterschiedlichen Prioritäten führt. Konkret ist das in der italienischen Bankenkrise der Fall. Der italienische Premier Renzi möchte die Illusion der Sparer aufrechterhalten, dass die Bankpapiere, die sie gekauft haben, sicher sind. Zu groß ist die berechtigte Angst vor der Rache des Wählers und den Folgen einer aus dem Ruder laufenden Bankenkrise im Land.

Frau Merkel möchte derweil die Illusion aufrechterhalten, die Politik der Eurorettung sei ein Erfolg und auf den deutschen Steuerzahler kämen keine weiteren Lasten zu. Dabei hilft ihr das fehlende ökonomische Verständnis und Interesse des Durchschnittsdeutschen, der mehr auf die positiven Schlagzeilen achtet, als auf Fakten. Obwohl das Vermögen der deutschen Privathaushalte deutlich unter dem Niveau der anderen Euroländer liegt, denken die Deutschen noch immer, sie wären der Reiche Onkel Europas. So verdrängen wir auch gerne, dass die tiefen Zinsen nichts anderes sind als eine Subventionierung derer, die bei uns das Geld geliehen haben – in der Regel Staaten und Unternehmen. Hans-Werner Sinn beziffert den Schaden bis jetzt schon auf mehr als 300 Milliarden Euro.

Schön für die EZB, dass sie angesichts des Konfliktes weiter in ihrer Rolle als Retterin des Euro und Meisterin der magischen Illusion bestärkt wird. Denn darauf läuft es letztlich hinaus. Die Illusion, die wir alle so sehr genießen, lässt sich nur durchhalten, wenn die Banken und ihre Gläubiger gerettet und zugleich der deutsche Steuerzahler nicht belastet wird. Dies wird nur gehen, wenn die EZB – wie auch immer verschleiert und versteckt – den italienischen Banken und dem Staat hilft. Wer wird schon protestieren, wenn die EZB den Banken die faulen Kredite abkauft, versehen mit einer Garantie des bankrotten italienischen Staates und diese bis zum 500. Geburtstag des Euro in der Bilanz hält? Die Politiker – auch die deutschen, wenn man von ein paar unverbesserlichen „Der Kaiser ist nackt“-Rufern wie Peter Gauweiler und Frank Schäffler absieht – sicherlich nicht.

Wo waren denn die Proteste, als die irische Notenbank dem Staat im Jahre 2013 mit frisch gedruckten Euro Staatspapiere im Volumen von rund 20 Prozent des BIP abgekauft hat? Das war nichts anderes als direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank. Der EZB Rat hat dieses Handeln damals nur „zur Kenntnis“ genommen. Wenig verwunderlich, war es doch ein Grund, weshalb Irland heute von der Politik als gelungenes Beispiel der Sanierung innerhalb des Euro dient.

Wo waren denn die Proteste, als die griechische Notenbank im Zuge der Krise Anfang 2015 mit umfangreichen Notkrediten an die lokalen Banken die massive Kapitalflucht deckte, ebenfalls mit expliziter Duldung aus Frankfurt? Auch damals wurden Milliarden an neuen Euro geschaffen, ohne dass diesen die entscheidende Grundlage gegenüberstand: werthaltige Sicherheiten.

Das Spiel funktioniert offensichtlich. Wir wollen daran glauben, dass unsere Vermögen sicher sind. Wir wollen daran glauben, dass unsere Schuldner immer bezahlen. Wir wollen daran glauben, dass Hyperinflationen wie in der Weimarer Republik und Depressionen wie in den 1930er Jahren heute nicht mehr passieren können.

In der Tat haben die Notenbanken seit 2009 eine neue große Depression verhindert. In der Tat ist von Inflation weit und breit nichts zu sehen. Und dies, obwohl die Bilanzsummen der Notenbanken förmlich explodiert sind. Also ist es doch richtig, diese Geldpolitik zu betreiben, mangelt es doch nur an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, so die Befürworter.

Die Wahrheit ist eine andere. Das Kind würde heute laut rufen,

  • dass die Nachfrage so tief ist, weil die Realwirtschaft weltweit schon unter einer untragbaren Schuldenlast leidet;
  • dass die Preise nicht steigen, weil wir weltweit unter erheblichen – im Boom mit billigem Geld geschaffenen – Überkapazitäten leiden;
  • dass überschuldete Schuldner zu jedem Preis verkaufen, nur um Liquidität zu beschaffen;
  • dass deshalb der deflationäre Druck stärker ist, als der inflationäre;
  • dass die Politik des billigen Geldes immer aggressiver fortgesetzt werden muss, um das Schuldengebäude vor dem Einsturz zu bewahren;
  • dass diese Politik allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen einhergeht wie steigenden Vermögenspreisen und ertragsschwachen und damit immer kränkeren Banken;
  • dass das Wachstumspotenzial der Realwirtschaft im Zuge dessen immer mehr zurückgeht;
  • und wir damit in einer ökonomischen Eiszeit gefangen bleiben, die mit einem lauten Knall enden wird.

Wie der Knall aussieht, ist noch offen. Option 1: Aufgabe der Illusion; das bedeutet Konkurse, Schuldenschnitte und Rezession. Option 2: Vertrauensverlust in Geld; das bedeutet Chaos und Hyperinflation. Zunächst wird, bildhaft gesprochen, Folgendes passieren: Die Hubschrauber werden starten zum Abwurf des sogenannten Helikopter-Geldes. Aber Achtung: Auch jeder noch so großartige Akt des Schauspiels kann die Desillusionierung am Ende nicht verhindern! Der Vermögenserhalt wird allerdings immer schwieriger.  Meine Antwort hier.

WiWo.de: “Die Notenbanken und der nackte Kaiser”, 14. Juli 2016

Kommentare (8) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    @ Michael Stöcker

    Klar, dass keiner bestraft wird.

    „Bestrafung“ ist schließlich eine juristische, aber keine ökonomische Kategorie.

    Sie geben mir dennoch Recht, wenn Sie sagen, dass es eine ganz NORMALE Entwicklung in gesättigten Märken ist.

    Ich sage nur, dass die Zinsbegründung eine andere sein muss, wenn das so ist.

    Was das richtige oder falsche Rezept nach Lage der Dinge ist, bleibt einer anderen Diskussion vorbehalten.

    Antworten
  2. Björn Schneider
    Björn Schneider sagte:

    Ja, ich teile die Ansicht von Dietmar Tischer. Ja, ich sehe uns “Deutsche” auch als träge Masse von Lemmingen, die sehenden Auges in ihr Unglück rennen.
    Klagen und Sorgen allein reicht aber nicht als Exit Strategie. Vermute ich. Und so stehe ich auch wie ein Lemming in der Reihe. Vielleicht “sehe” ich etwas mehr. Aber besser macht es das auch nicht.

    Antworten
    • Nana Albert
      Nana Albert sagte:

      Also ich weiss nicht, wie sie ihre Zeit verbringen, aber ich gehe arbeiten, versorge eine Familie (putzen, kochen, Einkaufen blabla – alles mit dem Fahrrad übrigens) und engagiere mich nachdrücklich seit langer Zeit DIREKT für Themen, die mir wichtig sind! Ich bin nicht allein, wir sind viele! Gehören sie dazu? VG N. Albert

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        Schön, dass Sie zu DIESEN vielen gehören.

        Aber auch viele können zu wenige sein.

        Sie werden mir sicher zustimmen:

        Es ist sehr anstrengend, sich NEBEN allem, was der Tagesablauf fordert, so zu beschäftigen, dass sich aus gefilterten Sachverhalten eine bestimmende Entwicklung erkennen lässt.

        Dies setzt bestimmte Fähigkeiten voraus, in aller Regel ein Studium; für das, was wir hier besprechen am besten eines der Ökonomie.

        Selbst das genügt nicht.

        Denn wenn man damit Wirtschaft nur als Verständnis von Mechanismen begreift, d. h. als Input-/Output-Funktionalität, lernt man eines nicht:

        Die FRAGEN zu stellen, anhand derer die gelernte Input-/Output-Analyse der Prüfung auf RELEVANZ unterworfen werden kann.

        Genau das ist aber erforderlich, wenn sich die Systembedingungen so verschieben wie das der Fall ist.

        Beispiel:

        Der hier hoch gelobte T. Mayer ist immer noch der traditionell gelernten Ansicht, dass der Zins die BELOHNUNG für Konsumverzicht ist, genauer die Verschiebung des Konsums in die Zukunft.

        Ich stelle diese Auffassung infrage.

        HEUTE, da so viele Menschen erheblichen Konsumverzicht leisten, weil sie offensichtlich fürs Alter mehr als früher sparen (müssen) – siehe demografisch bedingt fallende Anwartschaften in der GRV –, sollte es vielleicht besser heißen:

        Der mittlerweile negative (!) Zins ist die BESTRAFUNG für Konsumverzicht, d. h. die Verschiebung des Konsums in die Zukunft.

        Diese Auffassung nur mal als Hypothese, nicht als DIE Wahrheit.

        Solches Denken brauchen wir, wenn wir unsere Welt verstehen wollen.

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        „Dies setzt bestimmte Fähigkeiten voraus, in aller Regel ein Studium; für das, was wir hier besprechen am besten eines der Ökonomie.“

        Wie man bei Mayer & Co. sieht, kann dies auch hinderlich sein. Hier gibt es von Ha-Joon Chang „Economics is for Everyone“: https://www.youtube.com/watch?v=NdbbcO35arw. So bleibt dann auch genügend Zeit für Familie und Freunde.

        LG Michael Stöcker

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        „Der hier hoch gelobte T. Mayer ist immer noch der traditionell gelernten Ansicht, dass der Zins die BELOHNUNG für Konsumverzicht ist, genauer die Verschiebung des Konsums in die Zukunft.

        Ich stelle diese Auffassung infrage.“

        Schön, dass wir uns in diesem Punkt annähern. Es gibt weitere Ungereimtheiten bei Mayer: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/12/21/aufgelesen-bei-thomas-mayer-wer-ist-wirklich-schuld-an-den-niedrigen-zinsen/.

        LG Michael Stöcker

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        „Der mittlerweile negative (!) Zins ist die BESTRAFUNG für Konsumverzicht, d. h. die Verschiebung des Konsums in die Zukunft.“

        Hier wird keiner bestraft. Es ist eine ganz normale Entwicklung in gesättigten Märkten mit demographischen Herausforderungen. Hatte ich mehrfach im Herdentrieb beschrieben; zuletzt hier: http://blog.zeit.de/herdentrieb/2016/03/03/minuszinsen-sind-das-falsche-rezept_9386#comment-216172. In diesem Thread hatten wir übrigens seinerzeit auch die nicht enden wollende Diskussion zum Thema Sparen und Investieren geführt.

        LG Michael Stöcker

  3. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    > Auch heute gelten nur jene ihres Amtes würdig, die die Illusion einer erfolgreichen Eurorettung und eines gesunden Bankensystems aufrechterhalten.>

    Es ist ja richtig, die guten alten Zeiten sind vorbei:

    Da ist einfach mal ein Volk ausgetreten ohne auf die Regierung zu hören, woanders wird geputscht, nicht nur woanders haben die Banken mehr als ein Problem, in der Grande Nation wird der Regierungschef auf offener Straße ausgepfiffen und zu Hause kann man nicht mehr un begrapscht Silvester feiern. Und jeden Tag Tote, da, dort, diesseits und jenseits des Atlantiks.

    Stimmt, da kommt keine rechte Freude auf.

    Aber ILLUSION?

    Sind wir nicht Fußball-Weltmeister und beinahe noch Exportweltmeister. Und immer wieder Rekordzahlen von der Beschäftigungsfront. Jetzt soll es sogar mehr Geld geben für weniger Arbeit geben (Familiengeld/Schwesig).

    Und die Scheine kommen immer noch zuverlässig aus dem Automaten.

    Das sind die ERFAHRUNGEN, die das Bild unserer Welt bestimmen.

    Schon seit Jahren.

    Dagegen kommt keine Kassandra an.

    Es ist eine ILLUSION, dass jemand auf sie hört.

    ERST wenn die Erfahrung zeigt, dass sie Recht hatte, würde man auf sie hören.

    Zu diesem Zeitpunkt ist es aber zu spät.

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