„Cash is King, Ge­winne eine Illusion“

„Unternehmen erzeugen Cash, den Gewinn macht der Buchhalter“ lautet einer der besseren Sprüche der Betriebswirtschaftslehre. In einfachen Worten eine wichtige Erkenntnis für Investoren. Die Zahlen, die Unternehmen als Gewinne ausweisen, haben zumeist nur entfernt mit dem zu tun, was in den Unternehmen wirklich passiert. Immer mehr Ausgaben werden als „außerordentlich“ klassifiziert, immer mehr außerordentliche Einnahmen als ordentlich verkauft. Seit Jahrzehnten entfernen sich so die gezeigten und von den Medien verbreiteten Gewinnzahlen immer weiter von der Realität.An der Wall Street wird dies zur Spitze getrieben, indem nicht die Gewinne nach den allgemein anerkannten Rechnungslegungsvorschriften (GAAP) in den Mitteilungen an Investoren und Presse im Vordergrund stehen, sondern die „pro-forma“-Zahlen nach eigener Definition. Dabei bieten die legalen Möglichkeiten zum Schönen der Zahlen schon genug Potenzial, die Investoren in die Irre zu führen. Aktienoptionen für Mitarbeiter, zum Beispiel, verwässern zwar das Kapital der Aktionäre, im Lohnaufwand finden sie sich dagegen nicht. Schon ist das Unternehmen vordergründig profitabler.

Die Wall Street spielt dabei nur zu gerne mit. Statt den Fundamentaldaten auf den Grund zu gehen, wird bereitwillig mit den überhöhten Zahlen gearbeitet. Zudem verdient es sich zu gut mit Aktienrückkäufen und Firmenübernahmen. Weshalb sollte man da die Firmenkunden verschrecken?

Bleibt den Investoren nichts anderes, als den Fakten selbst auf den Grund zu gehen: Wie viel Cash produziert das Unternehmen wirklich? Und im nächsten Schritt: Wofür wird der Cash verwendet? Dabei gilt, je höher und stabiler der freie Cashflow, desto sicherer ist das Investment. So habe ich gerade mit Blick auf die Fähigkeit auch in widrigem Umfeld Cash zu erzeugen, in der letzten Woche die Aktien von RoyalDutch Shell beleuchtet.

Betrachtet man die US-Börse aus dem Blickwinkel von Cash-Erzeugung und -Verwendung, ergibt sich ein besorgniserregendes Bild: Ein guter Teil der Gewinnsteigerungen der letzten Jahre ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen wirklich profitabler geworden sind. Sie sind vielmehr die Folge von Aktienrückkaufprogrammen, die den Gewinn pro Aktie alleine dadurch steigern, dass es weniger Aktien gibt. Alleine im letzten Quartal haben nach Zahlen der Deutschen Bank über 300 Milliarden Dollar so den Weg von den Unternehmen zu den Aktionären gefunden. Mehr als jedes fünfte Unternehmen im S&P 500 Index hat alleine seit Anfang 2014 den eigenen Aktienumlauf um mehr als vier Prozent reduziert.

Zunächst kann man sich darüber freuen, doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass da etwas nicht stimmen kann. Zum einen bezahlen Unternehmen einen hohen Preis dafür, dass Aktionäre keine Aktionäre mehr sind, zum anderen fehlt das Geld an anderer Stelle.

Berechnungen der Credit Suisse zeigen, dass die US-Unternehmen im historischen Durchschnitt immerhin 60 Prozent des Cashflows für Investitionen und Firmenübernahmen verwendet haben. Dieser Wert ist auf heute 53 Prozent gesunken, wobei der Anteil der Akquisitionen relativ gestiegen ist. Immer weniger wird in die Zukunft investiert, immer mehr auf die Optimierung des Ist-Zustandes und die Konsolidierung von Märkten gesetzt. Letzteres dürfte in der Tat die nachhaltige Ertragskraft stärken, erhöht aber die Gefahr, technologische Entwicklungen und andere Umbrüche zu verschlafen, deutlich.

Parallel dazu stieg die Ausschüttung an die Aktionäre von 26 auf nunmehr 36 Prozent des Cashflows, überproportional zugunsten der Aktienrückkäufe. Eigentlich sollten Aktionäre dagegen protestieren. Firmen, die Aktien zurückkaufen, zahlen nicht nur einen (zu) hohen Preis, sondern sie geben Aktionären Geld, welches sie nur sehr schwer wieder gut anlegen können. Dividenden sind da die deutlich bessere Option. Übrigens zeigen Studien, dass der Aktienmarkt auf die Ankündigung einer Dividendenerhöhung nachhaltiger reagiert als auf einen Rückkauf. Nicht zu unrecht.

Interessant ist der Vergleich zwischen Unternehmen, die einen überwiegenden Teil ihres Gewinns reinvestieren und jenen, die überwiegend ausschütten. Die Credit Suisse hat ermittelt, dass über die nächsten fünf Jahre erstere mit 19 Prozent pro Jahr deutlich schneller wachsen als die letzteren mit nur fünf Prozent. Natürlich ist das in gewisser Hinsicht tautologisch. Denn nur wer investiert, wächst und nur wer Wachstumschancen sieht, investiert.

Wenn nun aber die Firmen an der Wall Street immer mehr ausschütten und immer weniger investieren, ist die Nachricht doch klar. Das Management glaubt nicht an die Zukunft. Stellt sich die Frage: Weshalb sollten wir es tun?

Womit wir bei der eigentlichen Ursache des seltsamen Treibens wären. Weil eine Krise, ausgelöst durch Überschuldung, Über- und vor allem Fehlinvestition, nicht bereinigt wird, halten die Notenbanken die Zinsen unnatürlich tief. Das wiederum verschleppt die Bereinigung weiter, macht – wegen der Signalfunktion des Zinses und den bestehenden Kapazitäten – Investitionsprojekte unattraktiv und verhindert die schöpferische Zerstörung. Immer mehr werden die Unternehmen in die Verschuldung getrieben, um wenigstens durch Financial Engineering die ausgewiesenen Gewinne nach oben zu bekommen. Immer mehr entfernen wir uns damit von der Realwirtschaft und immer mehr dominieren die Fiktionen der Kapitalmärkte. Bis, ja, bis den Notenbanken die Luft ausgeht – und den Kapitalmärkten gleich mit. Deflationär oder (hyper)inflationär? Ich weiß es nicht. Bereite mich aber auf beides vor.

→  WirtschaftsWoche Online: „Cash is King, Gewinne eine Illusion“, 12. November 2015

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. KBX
    KBX sagte:

    Ich denke, dass aus Steuergründen Aktienrückkäufe zu bevorzugen sind. Letztenendes ist beides das gleiche, der Investor hat aber nicht das Problem Dividenden reinvestieren zu müssen & spart Transaktionskosten. Dividenden oder Aktienrückkäufe- wenn beides angekündigt wird hat es einen positiven Effekt auf den Kurs. Wenn der Preis zu hoch ist, sollte man sich andere Unternehmen zum Investieren suchen und verkaufen – entscheiden muss man selbst. Aus Sicht vom WACC ist es aber nur zu logisch, dass man die Kapitalkosten senkt, indem man das teure Eigenkapital durch billigere Schulden ersetzt – problematisch wirds, wenn man diese dann nicht mehr bedienen kann…

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Bei BCG habe ich das damals mit Kollegen analysiert. Danach ist die Kursreaktion im Sinne einer Neubewertung der Aktie bei Dividendenerhöhungen nachhaltiger als bei Buybacks. Wir sprachen von Marriage versus Dating.

      LG

      DSt

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  2. hzi
    hzi sagte:

    Hallo zusammen,

    eine Frage hierzu: “Deflationär oder (hyper)inflationär? Ich weiß es nicht. Bereite mich aber auf beides vor.”
    Kann nicht auch beides eintreten? Zunächst lange deflationär (wie z.B. bei Rohstoffen zu beobachten) durch Abwertungs- und Währungskriege und im Anschluss daran, (hyper)inflationär wenn die Zentralbank-Experimente endgültig gescheitert sind und das vertrauen in Geld verschwindet. Wie würde so etwas ablaufen?

    Mfg
    HZi

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Das ist das Grundszenario. Allerdings könnte es sein, dass durch den Krieg die Bereitschaft, die Notenpresse anzuwerfen, früher erfolgt und damit die Deflation nur kurz oder gar nicht eintritt. Für mich sind die Gewichte klar in Richtung Notenbankfinanzierung verschoben.

      Weil mich dazu eine Mail erreichte: Ich finde Inflation nicht sozial gerecht, weil sich die Vermögenden leichter dagegen wehren können. Schuldenschnitte mit Besteuerung sind sicherlich auch nicht gerecht, aber man wüsste zumindest, wen es in welcher Höhe trifft.

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