Bitteres Zwischenfazit

Seit nunmehr sechs Monaten dauert die Flüchtlingskrise an. Wenn wir ehrlich sind, natürlich schon viel länger. Schon seit Jahren leiden Griechenland und Italien unter dem Ansturm der Zuwanderer. Erst in diesem Sommer sind sie endgültig zu einer Politik des „Durchwinkens“ übergegangen. Konnte die deutsche Regierung im Frühjahr noch so tun, als ginge sie die sich anbahnende Flüchtlingswelle nichts an, so ist es spätestens seit September jedem klar: Wir haben es mit einer Völkerwanderung zu tun, und wir haben es bis jetzt nicht geschafft, eine strategische Antwort zu geben. Stattdessen beschwört die Politik erneut die „Alternativlosigkeit“ des Handelns, macht sich selbst Mut mit der autosuggestiven Formel des „Wir schaffen das“ und verlässt sich auf das unermüdliche und beeindruckende Engagement der Menschen vor Ort, sei es von Behörden oder von noch mehr der unzähligen freiwilligen Helfer.

Chaos statt Ordnung

Wir wissen immer noch nicht, wie viele Menschen in diesem Jahr zu uns gekommen sind. Wir wissen nicht, wie viele noch kommen werden. Wir wissen nicht, woher sie kommen. Wir wissen zum Teil nicht mal, wo sie sich aufhalten. Wir kennen ihre Qualifikationen nicht, wir wissen nicht, mit welcher Bereitschaft zu Integration und Anpassung an unsere gesellschaftlichen Normen sie kommen. Zunehmend wird auch unklar, wo wir die Menschen unterbringen wollen im bevorstehenden Winter. All dies ist bekannt, was aber nichts daran ändert, dass wir uns ein Armutszeugnis ausstellen. Zunehmend laufen wir Gefahr, die Erwartungen die wir bei den Flüchtlingen geweckt haben, vollends zu enttäuschen.

Illusion des wirtschaftlichen Nutzens

Sehr schnell haben wir die Themen Flüchtlingskrise und notwendige Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt vermischt. Dabei unterscheiden sich Flüchtlinge von Einwanderern gerade dadurch, dass man von ihnen keinen Deckungsbeitrag erwartet. Nachdem zunächst führende Vertreter der Industrie, angeführt von Daimler-Chef Dieter Zetsche, den wirtschaftlichen Nutzen betont haben, folgten die ersten Volkswirte wie der Chefvolkswirt der Deutschen Bank und der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher.

Wie sich nun zeigt, halten diese Erwartungen keiner näheren Betrachtung statt. Bildungsgrad und Qualifikationsniveau der Flüchtlinge sind überwiegend so schlecht, dass nach einer Umfrage des ifo Instituts, Unternehmen sie, wenn überhaupt, als Hilfsarbeiter sehen, nur wenige als potenzielle Fachkräfte. Die Annahmen in den Studien, die einen wirtschaftlichen Nutzen betonen, sind, wie an dieser Stelle schon ausführlich analysiert, völlig unrealistisch. Damit müssen wir uns darauf einstellen, dass die Flüchtlinge auf Dauer eine Belastung für unsere Gesellschaft darstellen. So ist es nun mal, wenn man seinem Nächsten hilft und seinen Wohlstand mit ihm teilt.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob uns bewusst ist, über welche Größenordnungen wie hier sprechen. Schon im September habe ich hier davor gewarnt, dass bei unzureichender Integration in den Arbeitsmarkt Kosten von über einer Billion Euro auf uns zukommen. In dieser Woche wurde diese Schätzung von Freiburger Wissenschaftlern um Bernd Raffelhüschen bestätigt. In einem „unrealistisch positiven Szenario“ bleiben die Kosten demnach bei 900 Milliarden.

Verteilungskonflikte sind damit vorprogrammiert. In dem wir uns bezüglich des wirtschaftlichen Nutzens etwas vormachen, legen wir die Grundlagen für politische Radikalisierung und Polarisierung. Sind wir als Gesellschaft bereit, Kosten in der Größenordnung der deutschen Wiedervereinigung auf uns zu nehmen? Und wer leistet welchen Beitrag? Das Verschweigen dieser Fragen und damit das Verweigern von Antworten durch die Politik sind brandgefährlich.

Wir tun nicht, was wir müssten

Natürlich ist das wirtschaftliche Ergebnis der Flüchtlingskrise noch beeinflussbar. Dazu müssten wir allerdings alles Erdenkliche tun, um den Flüchtlingen eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben. Dazu gehören, wie in meinem 10-Punkte-Programm schon im September gefordert: schnelles Bearbeiten der Anträge, sofortiger Beginn von Sprachschule und Wertevermittlung, unbürokratische Integration in den Arbeitsmarkt durch Lohnsubventionen und Investitionen von Seiten der Wirtschaft. Wollen wir am Mindestlohn festhalten, um keinen zusätzlichen Konflikt zwischen Zuwanderern und Einheimischen anzufachen, so müssen wir entsprechend mehr an Subventionierung leisten. Wir müssen dabei auch konsequenter auftreten, was die Erwartung an Integration betrifft. Dass 70 Prozent der Flüchtlinge, die am Pilotversuch der bayerischen Handwerkskammer als Lehrlinge teilgenommen haben, die Abbildung abgebrochen hat, ist ein ernstes Warnsignal. Die Verpflichtung zur Bildung und Integration muss mit dem Niveau der finanziellen Unterstützung verbunden werden. Signalisieren wir nicht von Anfang an, dass wir neben der Unterstützung auch fordern, wird dies zu dauerhafter Ausgrenzung und unzureichender Integration führen.

Doch was tut die Politik? Nichts von dem, was erforderlich wäre. Alleine für die bereits im Land befindlichen Flüchtlinge sind Bildungs- und Integrationskosten in Milliardenhöhe erforderlich. Doch wie die gestrige Diskussion zum Haushaltsplan 2016 gezeigt hat, traut die Politik sich nicht, das Notwendige zu tun. Stattdessen werden hier und da ein paar Milliarden mehr zur Verfügung gestellt. Notwendig dürften alleine für Bildung rund 50 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren sein, verbunden mit einer Mobilisierung der personellen Ressourcen. Setzt die Politik stattdessen weiterhin auf eine Bewältigung „im System“ – also mit den vorhandenen Ressourcen – und kündigt wie kürzlich der Innenminister eine „Absenkung der Bildungsstandards“ an, wird nicht nur die Integration der Zuwanderer auf der Strecke bleiben, sondern auch die Integration der schon vorhandenen Mitbürger ausländischer Herkunft. Die bisher schon gescheiterte Integration wird damit auf noch größerer Basis fortgesetzt. Mit fatalen Folgen für die Flüchtlinge und für uns.

 Zerfall der EU

Die EU zeigt in der Flüchtlingskrise, wie schon bei der Eurokrise, ein Bild von Niedergang und Verfall. Immer mehr wird offensichtlich, dass es sich um eine Wohlfahrts- und nicht um eine Wertegemeinschaft handelt. Gibt es weniger Geld zu verteilen, fällt es den nationalen Regierungen schwerer, den Nutzen von Europa zu verdeutlichen. Mit Blick auf die Flüchtlingskrise muss man konstatieren, dass Deutschland mit seiner Haltung weitgehend alleine steht. Nicht nur die Osteuropäer verweigern eine Teilnahme an der Verteilung von Flüchtlingen. Gleiches gilt faktisch für die großen Länder wie Frankreich und Großbritannien. Da mögen wir in Deutschland zwar die Moral auf unserer Seite wissen, dennoch sind wir wohl der Geisterfahrer aus Sicht der anderen Länder. Die Forderung des französischen Ministerpräsidenten nach einem Flüchtlingsstopp – wenngleich als „Übersetzungsfehler“ wieder dementiert – zeigt, in welche Richtung es geht. Entweder die EU findet rasch einen Weg, die Zuwanderung an den Außengrenzen zu stoppen, oder das Europa der offenen Grenzen ist Geschichte. Wir mögen uns das in Deutschland nicht vorstellen können, die Mehrheit der Bevölkerungen und Regierungen der anderen Staaten schon. Damit gefährdet die Konzeptionslosigkeit der deutschen Politik die europäische Einheit.

Fehlendes strategisches Verständnis

Die Politik – vor allem in Deutschland – geht mit der Flüchtlingskrise um, wie mit einer Naturkatastrophe. Letztere enden bekanntlich irgendwann. Dies ist aber falsch. Die Völkerwanderung, mit der wir es zu tun haben, wird nicht einfach enden. Selbst dann nicht, wenn es uns gelingen sollte, Syrien zu befrieden und den IS zu vernichten.

Wir haben es nämlich nur an der Oberfläche mit Bürgerkrieg und Religionskonflikten zu tun. Da ist zum einen das erhebliche Wohlstandsgefälle, welches immer als Magnet auf ärmere Regionen wirken wird, zum anderen die deutlich unterschiedliche demografische Entwicklung. Während wir in Westeuropa vor einer überalternden und tendenziell schrumpfenden Bevölkerung stehen, ist die Bevölkerungsexplosion im Nahen Osten und Afrika noch lange nicht zu Ende. Der Bremer Soziologe Gunnar Heinsohn hat die Wirkung der Demographie auf Gesellschaften eingehend untersucht und schon im Jahre 2003 in seinem Buch „Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“ die bevorstehenden Konflikte im Nahen Osten beschrieben. Demnach sind Gesellschaften mit einem hohen Anteil junger Männer, Heinsohn bezifferte den Anteil auf über 30 Prozent der 15- bis 29-Jährigen an der männlichen Gesamtbevölkerung, im hohen Maße anfällig für Krieg und Bürgerkrieg. Ursächlich ist die Tatsache, dass viele dieser jungen Männer keine Perspektive im Leben sehen.

Solange diese demografische Konstellation anhält, müssen wir uns folglich auf Einwanderungsdruck, Kriege, Bürgerkriege und Terror einstellen. Dies sollten wir auch bedenken, bevor wir unsere wenigen Kinder in einen Krieg in diese Regionen schicken.

Es ist nicht damit getan, Flüchtlinge mehr oder weniger gesteuert aufzunehmen. Wir brauchen eine Gesamtantwort auf ein erhebliches demografisches und wirtschaftliches Problem. Diese ist bisher nicht mal ansatzweise zu sehen.

Unbequeme Aussichten

Die deutsche Politik ist zu einem guten Teil davon getragen, humanitär zu helfen. Und das ist gut so. Niemand bleibt angesichts der Bilder von frierenden Menschen und sterbenden Kindern ungerührt. Das Problem ist nur, dass selbst wir das nicht auf Dauer durchhalten können, angesichts der Millionen von Menschen, die nach Europa drängen und letztlich in Deutschland landen.

Wir werden deshalb nicht darum herumkommen, die humanitäre Hilfe mit der Bewahrung von Wohlstand und Zusammenhalt in Europa zu verbinden. Dies kann aber nur lauten: Hilfe vor Ort, Begrenzung der Zuwanderung – verbunden mit einer eng gesicherten Außengrenze, die per Definition unschöne Bilder liefern wird. Bei der Steuerung der Zuwanderung sollten wir dann neben den humanitären Faktoren gezielt auch auf die wirtschaftlichen Folgen achten. Nur qualifizierte Zuwanderung leistet einen Beitrag zum Erhalt unseres Wohlstands, und nur wenn wir diesen bewahren, werden wir auch politisch und finanziell in der Lage sein, auf Dauer zu helfen.

Rettung aus Frankreich?

Angela Merkel hat sich mit der bisherigen Politik in Europa weitgehend isoliert und Deutschland in eine schwierige Lage gebracht. Einen Kurswechsel kann sie nicht so einfach vollziehen, hat sie sich doch eindeutig festgelegt. Auch die Rechtslage macht es nicht einfach, einen grundlegenden Wandel der Asylpolitik über Nacht zu realisieren. Angesichts der beschriebenen demografischen Entwicklung muss man allerdings konstatieren, dass ein „Weiter so“ definitiv scheitern wird. Noch zeigt sich eine breite Unterstützung für die Regierung in allen Umfragen und auch das Rumoren in ihrer eigenen Partei hält sich in Grenzen. Das sollte aber nicht täuschen. Wie bei einem Luftballon entlädt sich wachsender Druck nicht geordnet, sondern mit einem großen Knall. Sollte die politische Stimmung kippen, dann tut sie das nicht langsam und schleichend, sondern abrupt und drastisch. Ein Szenario, welches wir uns nicht wünschen sollten.

Hier könnte für Merkel die Rettung ausgerechnet aus Frankreich kommen. Präsident Hollande zeigt sich nach den Anschlägen von Paris als tatkräftiger Staatsmann, so in seinem Versuch eine Allianz zum Krieg gegen den IS zu schmieden. Zum anderen wird er die Stimmung der Franzosen und der anderen Europäer aufgreifen und auf eine Schließung der europäischen Grenzen drängen. Einheitliche Regeln für Asyl und Zuwanderung sind in der EU ohnehin überfällig. Muss Deutschland hier Kompromisse machen, kann die Regierung das als den Preis für die europäische Einigkeit verkaufen und klammheimlich froh sein, so aus der Patsche zu kommen.

Der Preis ist freilich ein hoher: Nicht nur in der Flüchtlingsfrage wird Frankreich das Sagen haben, sondern auch bei Fragen der Europolitik. Sparen ist damit vom Tisch und Schuldensozialisierung – siehe die gemeinsame Einlagensicherung – und Transferunion auf der Tagesordnung.

 

 
manager-magazin.de: “Wie die Politik die Flüchtlingskrise anpacken muss”, 30. November 2015