„Anleger müssen sich auf eine ‚Eiszeit‘ einstellen“

Nach enormen Turbulenzen zu Jahresbeginn ist an den Finanzmärkten neuerdings wieder der Appetit auf mehr Risiko aufgekommen. Die Anleger setzen auf Aktien, auf vorher verpönte Währungen und langen selbst bei Rohstoffanlagen wieder zu. Das beeindruckt Daniel Stelter wenig. In seinem jüngst erschienenen Buch „Eiszeit in der Weltwirtschaft“ vergleicht der ehemalige Unternehmensberater und Autor des Blogs „Beyond the obvious die Kurskapriolen mit einem kurzen Schneesturm im Vergleich mit der „langen Kälteperiode“, die in der Zukunft zu erwarten sei.

Schuldenpolitik mit Grenzen

Seine Kernthese geht auf die Analyse zurück, dass die Politik über Jahrzehnte hinweg keine wirtschaftlichen Probleme gelöst, sondern immer nur neue Schulden und das Geld billiger gemacht habe. In diesem Rahmen seien die Banken dereguliert worden, und man habe sich gegenseitig vorhandene Vermögenswerte zu immer höheren Preisen verkauft. Im Jahr 2008 schliesslich sei das globale Wirtschafts- und Finanzsystem beinahe kollabiert.

„Sieben magere Jahre“ danach liessen vermuten, nun müssten endlich „sieben fette Jahre“ folgen. Dem sei aber nicht so, weil die Zeit nicht genutzt worden sei, um die ursprünglichen Probleme zu lösen. Die seien meist grösser geworden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, sind die Staats-, Haushalts- und Firmenschulden gestiegen und heute etwa 58 000 Mrd. $ höher als in der Krise; und alleine schon die Diskussionen über die mögliche Abschaffung von Bargeld oder vage Überlegungen, Pensionskassengelder in Bargelddepots zu „bunkern“, zeigten, wie verzweifelt sich manche fühlten, argumentiert Stelter.

Er fürchtet zwar nicht, unmittelbar in einen „Crash“ zu geraten, aber er rechnet im Grossen und Ganzen mit der Entwicklung eines „japanischen Szenarios“. Ein solches würde sich auszeichnen durch immer mehr Schulden, immer schwächeres Wachstum, häufigere Rezessionen und höhere Volatilitäten an den Börsen. Jedes Mal, wenn die Notenbanken wieder mehr Geld schüfen, stiegen die Aktienkurse – unabhängig von unterlassenen Änderungen in der Realwirtschaft. Auf operativer Ebene hätten sich die Firmen zwar bemüht, effizienter zu werden. Allerdings hätten sie auch immer stärker zum „financial engineering“ gegriffen, um die Eigenkapitalrendite zu steigern.

Einen richtigen Boom habe es aber eigentlich erst seit 2009 gegeben. Die Manager der Unternehmen hätten darin die einzige Möglichkeit gesehen, die Aktienkurse hochzutreiben, ihre eigenen Boni zu maximieren und zum Teil auch ihre eigene Unabhängigkeit zu sichern. Wer nicht mitgespielt habe, sei von anderen übernommen worden. Insgesamt habe die Politik des billigen Geldes dazu geführt, dass das Wirtschaftssystem bis an die Grenzen auf den Einsatz von Fremdkapital ausgerichtet und immer krisenanfälliger geworden sei. Die Zentralbanken setzten möglicherweise noch auf Jahre hinaus auf diese Strategie, so Stelter, aber sie könnten die Fehler im System damit nicht beheben. Am Ende werde es irgendwann einen grossen Schnitt bei Schulden und Vermögen geben müssen, denkt er.

Das seien schlechte Zeiten für alle, die etwas besässen – und die Vermögenden müssten sich darauf einstellen. Stelter tritt dezidiert der häufig geäusserten Ansicht entgegen, die Ursachen für die Wachstums- und Schuldenprobleme seien im kapitalistischen System zu finden. Tatsächlich aber seien die Anreize falsch gesetzt worden, indem die Bereinigung des Marktes von Banken und Unternehmen, die früher falsche Investitionen getätigt hätten, verhindert worden sei und die negativen Effekte mit billigem Geld übertüncht worden seien.

Auf Nummer sicher gehen

Je länger das dauere, desto skeptischer betrachte man das System. Irgendwann verliere die Bevölkerung das Vertrauen in das Geld, fürchtet der Fachmann – und dann komme es zu einer massiven Geldentwertung. Eine Inflation dieser Art sei zwar offiziell nicht erwünscht, allerdings sei sie in Wirklichkeit eine elegante Art, das Schuldenproblem zu lösen. Alternativ sei mit politischen Unruhen zu rechnen. Schliesslich sei es im Euro-Raum nur eine Frage der Zeit, bis in einem Land wie Italien eine Regierung an die Macht komme, die aus dem Euro austreten wolle, weil die Systeme nicht mehr funktionierten.

Die Konsequenzen für Anleger beschreibt Stelter pragmatisch. Erstens empfiehlt er Investoren, keinen Tipps zu glauben, zweitens die Vermögensverwaltungskosten auf ein Minimum zu senken und drittens breit auf internationale Anlageformen zu streuen. Diese sollten sowohl von steigenden als auch von fallenden Inflationsraten profitieren. Er rät gemeinhin von Index-Anlagen mit minderwertigen Bestandteilen ab und warnt davor, zu häufig zu handeln. Wichtig sei es, diszipliniert zu sein und bei sorgfältig gewählten Investments auf Qualität zu achten.

Resultat sei ein Portfolio von Aktien solider, an sicheren Standorten ansässiger Unternehmen, gemischt mit Gold, Immobilien und einem gewissen Liquiditätspolster in Form von Anleihen, die eine hohe Sicherheit besässen.

→ NZZ: „Anleger müssen sich auf eine ‚Eiszeit‘ einstellen“, 21. Februar 2016