Piketty als Euroretter

Er ist wieder da, könnte man ausrufen. An seinen Erfolg mit „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ anknüpfend, erscheint in diesen Tagen ein Sammelband mit Zeitungsartikeln von Thomas Piketty. Darin legt er dar, wie die Eurozone gerettet werden kann. Noch habe ich das Buch nicht in den Händen gehalten, beziehe mich folglich nur kurz auf die Besprechung im Deutschlandfunk und sein Interview im SPIEGEL. Wie auch in meiner Replik zu seinem Hauptwerk, Die Schulden im 21. Jahrhundert, mache ich es simpel und beurteile seine:

  • Beschreibung der Fakten
  • Analyse
  • Empfehlungen

Pikettys Sicht der Fakten:

  • Piketty kritisiert die Rettungspolitik in Europa, die vor allem dem Finanzsektor und den Vermögenden geholfen habe, zulasten der breiten Bevölkerungsschichten. – bto: Dem kann ich folgen, gerade im Falle von Griechenland, wo die privaten Gläubiger durch staatliche Gläubiger ersetzt wurden und auch in Irland. Auch trifft es zu, dass die Politik des billigen Geldes die Vermögenswerte treibt. Was er allerdings vergisst, ist, dass hinter Banken und Versicherungen auch die Kleinsparer stehen, nicht nur die großen Vermögen.
  • Er kritisiert, die Politik des Sparens in Europa: Dieser Versuch, sich aus der Krise zu sparen, ist seiner Meinung nach gescheitert. „Die Wirtschaftsleistung liegt immer noch unter dem Niveau von 2007. In Spanien und Italien ist sie um bis zu 10 Prozent, in Griechenland sogar um 25 Prozent zurückgegangen.” – bto: Dies stimmt. Im Unterschied zu den USA stehen wir in Europa schlechter dar.

Fazit: Die Fakten sind, wie sie sind. Da hat Piketty keine grundlegend andere Sicht. Richtig ist, dass sich Europa nur langsam erholt und die grundlegenden Probleme ungelöst sind. Piketty übersieht aber immer noch – wie schon im Kapital – die Bedeutung der privaten Verschuldung für die Krise. Zudem stehen die USA deshalb besser da, weil sie a) geringere private Schulden haben und b) die privaten Schulden rascher bereinigen konnten durch Privatinsolvenz. Hauptgrund: Die Amerikaner machen wieder richtig Schulden!

Vor allem für die Ausbildung verschulden sich viele Amerikaner.
 (Foto: Infografik DIE WELT)

Pikettys Analyse:

  • „Wir Europäer (…) haben aus der Finanzkrise, die ja ursprünglich in den USA entstanden ist (…) eine Schuldenkrise gemacht.“ An anderer Stelle vergleicht er Europa und die USA und führt die relativ schlechtere Performance Europas auf die Sparpolitik zurück. – bto: Hier ist er mit Varoufakis immer noch bei der Legendenbildung. Wir hatten einen enormen privaten Schuldenboom mit Exzessen in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland. Es wäre auch ohne die USA zu einer Krise gekommen. Die Gesamtverschuldung dieser Länder liegt deutlich über dem Niveau der USA. Die USA haben deutlicher als wir die privaten Schulden reduziert. Wie auch in seinem Hauptbuch tauchen die privaten Schulden in seiner Argumentation überhaupt nicht auf.
  • „Staaten können ihre Defizite nicht zurückführen, wenn die Wirtschaft nicht wächst.“ – bto: Das ist richtig und auch Grundtenor dieser Seiten.
  • „Wir haben zwar eine gemeinsame Währung für 19 Länder, aber jedes dieser Länder hat ein anderes Steuersystem, und die Finanzpolitik wurde nie harmonisiert. Das kann nicht funktionieren.“ – bto: Stimmt.
  • „Der Stabilitätspakt ist eine richtige Katastrophe. (…) Sie können die Schuldenprobleme nicht mit automatisch greifenden Regeln lösen (…).“ – bto: Auch dies stimmt. Was er aber nicht sagt, ist, dass es ohne diese Regel einen Blankocheck zulasten anderer Länder ist, solange wir keine Fiskalunion haben.

Fazit: Seine Analyse fokussiert einseitig auf die Staatsschulden und die Probleme der europäischen Rettungspolitik, die zu einseitig auf Sparen setzt. Es fehlen die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Überschuldung völlig.

Pikettys Empfehlung:

  • „Wir müssen jetzt an die junge Generation von Europäern denken.“ Gemeint ist: Wir dürfen Schulden der Eltern und Großeltern nicht eintreiben. Dies sei eine „generationenübergreifende Kollektivstrafe.“ – bto: Piketty ist also für einen Schuldenerlass. Ich bekanntlich auch, halte wie er auch nichts von dem Versuch, moralisch zu argumentieren. Worum er sich allerdings wiederum drückt, ist zu sagen, wie viel das kostet (ich bleibe bei 3 Billionen plus x) und wer es bezahlt.
  • „Wir müssen mehr Geld in die Ausbildung unserer jungen Leute, in die Innovation und in die Forschung stecken. (…) Es ist nicht normal, dass 90 Prozent der weltweit besten Universitäten in den USA zu Hause sind (…) – bto: Ich sehe das bekanntlich genauso. Allerdings denke ich, der Schlüssel liegt in privaten Unis mit hohen Studiengebühren und Stipendien, statt in einem Ausbau der öffentlichen Unis, wie es Piketty wohl vorschwebt. Der Staat ist nicht der bessere Innovator/Ausbilder/Unternehmer.
  • „Wir brauchen eine Fiskalunion und eine Harmonisierung der Haushalte.“ – bto: Wenn wir im Euro eine Zukunft haben wollen, kommen wir nicht darum herum.
  • „Wir brauchen für die Eurozone einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds (…). Jedes Land bliebe für die Rückzahlung seines Teils der Schulden zuständig. Die Deutschen müssten also nicht die Altlasten der Italiener abtragen (…). Aber es gäbe einen gemeinsamen Zinssatz für die Eurobonds, mit denen die Schulden refinanziert werden.“ – bto: Ein Schuldentilgungsfonds wäre in der Tat die Antwort. Allerdings vergisst Piketty den privaten Schuldenüberhang und zudem ist die Aussage, dass es zu keiner Sozialisierung der Altschulden kommt, unglaubwürdig. Die Zinsersparnis ist ohnehin dank EZB nur noch minimal. Ohne Umverteilung wird es nicht gehen und ich würde tippen, dass Piketty dies auch so sieht, es aber nicht sagt. Haben wir erst mal den gemeinsamen Fonds, wird die Sozialisierung die nächste Forderung sein.
  • Prompt spricht er im Interview dann auch: „Wir brauchen eine Vergemeinschaftung der Schulden, aber die muss demokratisch legitimiert werden.“ – bto: Da frage ich mich schon, weshalb die Journalisten des SPIEGEL da nicht nachhaken. Er widerspricht sich direkt nacheinander und sie sagen nichts. Setzten beide darauf, dass der Leser nicht versteht, was „Vergemeinschaftung“ bedeutet???
  • „Ich schlage ein Europäisches Parlament für die Eurozone vor, das sich aus den Mitgliedern der nationalen Parlamente rekrutieren sollte. (…) In der Tat gehe ich davon aus, dass so ein Parlament in den vergangenen Jahren weniger gespart (…) hätte. (…) Die Deutschen sollten keine Angst vor der Demokratie haben. Wenn wir eine gemeinsame Währung haben, müssen wir auch irgendwann akzeptieren, dass wir das Geld gemeinsam ausgeben.“ – bto: Klartext – Umverteilung auf europäischer Ebene mit einer Minderheit für jene, die in den Topf einzahlen.
  • Die Welt zitiert Piketty übrigens so: „Wenn es ein europäisches Parlament in der Form gäbe, die ich vorschlage, in dem jedes Land proportional zu seiner Einwohnerzahl vertreten wäre, würden die deutschen Abgeordneten schlussendlich gegenüber ihren Kollegen aus Italien, Frankreich und Spanien in die Minderheit geraten und das Ausmaß des Defizits würde größer sein als die Deutschen es wollten. Schließlich würden wir eine fortschrittlichere Politik haben als die heutige es ist.“ – bto: klarer als im SPIEGEL

Fazit: Schon im “Kapital im 21. Jahrhundert” schlägt Piketty vor, die deutschen Sparer zu belasten, um Europa zu retten. Dabei bleibt er. Hinzu kommt, dass er letztlich einen Blankocheck fordert: für die Vergangenheit (Schuldentilgungsfonds) und für die Zukunft. Dieses aber „demokratisch legitimiert“ mit der offenen Absicht, die Steuerzahler anderer Länder zur Kasse zu bitten.

Pikettys Lösung der Eurokrise ist Umverteilung. Obwohl ich selbst eine Schuldenrestrukturierung für unerlässlich halte, halte ich diese Strategie für falsch. Ohne grundlegende Reformen wird sich Europa nicht wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs finden. Mehr Schulden sind sicherlich nicht die Antwort, auch nicht, wenn man diese den Deutschen um den Hals bindet.

Kommentare (2) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dr. Gördes
    Dr. Gördes sagte:

    “Es ist nicht normal, dass 90 Prozent der weltweit besten Universitäten in den USA zu Hause sind”

    Ist zwar off-topic, aber sei es drum: ein Freund und ein Bekannter haben in Oxford bzw. Cambridge in GB studiert. Beide sagen, verglichen mit deutschen Universitäten sei das Niveau dort bestenfalls Mittelmaß. Vieles was in den USA in meinem Fachgebiet “läuft” wird von den gemeinsamen europäischen Fachkollegen belächelt und umgekehrt.

    Die Zahl der Veröffentlichungen und Patente hängt auch noch an ganz anderen Faktoren ab. Z.B. an zwischenmenschlichen Beziehungen, wer hat mit wem studiert, wer kennt wen, wer unterstützt wen. Die Dominanz der angelsächsischen Finanzoligarchie, möglicherweise auch der Industriespionage, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei dem Voranbringen von Produkten bis zur Marktreife.

    Wenn ich meine Kinder nach Oxford, Cambridge, Yale oder Harvard schicken sollte, dann nur nachdem sie einige Semester erfolgreich in Deutschland studiert haben.

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  2. Peter Gold
    Peter Gold sagte:

    Sehr interessante Zusammenfassung Herr Stelter!

    Ich sehe schon das Funkeln in den Augen der deutschen Polit-Sozialromantiker.

    Wie man an vielen Firmenzusammenschlüssen und Firmenzukäufen sehen kann, macht es die Größe eines Verbunds oftmals eben nicht aus. Kleinere Einheiten (z. B. die gegenwärtigen Staaten Europas) und wirkliche (echte) Eigenverantwortung (auch die der Wähler!) sind der Weg. Abstimmungsverhältnisse eines möglichen europäischen Parlaments wie in der EZB brauchen wir nicht. Ich jedenfalls möchte mich nicht steuerzahlend vor Piketty*s Karren spannen lassen. Auf gar keinen Fall!

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