Die Krise: Diagnose – Optionen – Szenarien – Was tun?

Besucher dieser Seiten merken gelegentlich an, dass es aufgrund der Fülle an Materialien und Kommentaren nicht immer klar ist, welche Meinung beyond the obvious mit Blick auf die Krise vertritt. Auch im Internet gibt es den einen oder anderen Kommentator, der Beiträge aus dem Zusammenhang reißt und mit teils wilden Vermutungen zu bestimmten Aussagen kommt. Deshalb hier unsere Sicht auf die Krise in der Kurzzusammenfassung:

A. Mit was für einer Krise haben wir es zu tun?

  • Die Krise ist eine Überschuldungskrise der westlichen Welt. Seit 1980 hat sich die Verschuldung der westlichen Welt relativ zur Wirtschaftsleistung – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – auf mehr als 340 Prozent mehr als verdoppelt. Real – also bereinigt um die Inflation – haben Unternehmen mehr als dreimal, Staaten mehr als viermal und private Haushalte mehr als sechsmal so viele Schulden wie 1980. → The Emperor is Naked
  • Die Ursachen für diesen Verschuldungsboom sind unter anderem die Loslösung der Goldbindung des US-Dollars, der Versuch der Notenbanken – vor allem der Fed, jede Rezession durch noch tiefere Zinsen zu verhindern, die Einführung des Euro, die ebenfalls zu tieferen Zinsen in den meisten Ländern Europas führte, der Eintritt von Osteuropa und China in den Weltmarkt mit immer billigeren Produkten und der Wunsch der Politik Wohltaten zu verteilen.
  • Zusätzlich zu diesen offen ausgewiesenen Schulden haben wir es mit erheblichen verdeckten Verbindlichkeiten zu tun. Schätzungen beziffern die ungedeckten Versprechen der Staaten für künftige Renten-, Pensions- und Gesundheitszahlungen auf vier- bis sechsmal BIP je nach Land. Dort, wo kapitalgedeckte private und öffentliche Systeme existieren – zum Beispiel in den USA – bestehen ebenfalls gigantische Finanzierungslücken, weil die angenommenen Renditen von sechs bis acht Prozent im heutigen Umfeld nicht erwirtschaftet werden können.  → Measuring the unfunded Obligations of European Countries und → US Public Finance: The Day of Reckoning
  • Diese Verschuldungsprobleme werden durch jahrelange Unterinvestition in Infrastruktur und Anlagen, Vernachlässigen des Bildungswesens (PISA!) und Kinderlosigkeit zusätzlich verschärft. → The Wests Day of Fiscal Reckoning

B. Wie hat die Politik auf die Krise reagiert?

  • Im Jahr 2007 wurde deutlich, dass man durch immer mehr Verschuldung keinen Wohlstand generieren kann: weder mit US-Immobilien noch mit Immobilien in Irland und Spanien.
  • Es bestand die reale Gefahr, dass das ganze Schulden- und Finanzgebäude zum Einsturz kommt.
  • Politik und Notenbanken haben deshalb mit bewährten Methoden reagiert, nur die Dosis drastisch erhöht: Die Zinsen wurden nochmals gesenkt und befinden sich nun seit Jahren auf Tiefstständen. Zusätzlich wurden Wertpapiere im großen Stil von den Notenbanken aufgekauft, um Liquidität in die Märkte zu pumpen. Die Staaten haben ihre Defizite vergrößert, um die Wirtschaft zu stimulieren (vor allem in den USA). In Europa hat man jenen Staaten, die kein privates Kapital mehr (zu verkraftbaren Zinsen) bekommen konnten, Geld über IWF, EZB und „Rettungsschirme“ beschafft. → Zeit gekauft und nicht genutzt
  • Im Ergebnis wurde damit ein Kollaps verhindert. Die Schuldenstände sind aber weiter gewachsen. Deutschland und die USA sind die beiden einzigen größeren westlichen Länder, in denen die Gesamtverschuldung (also Staat, Nicht-Finanzunternehmen, Private) etwas gesunken ist. In allen anderen Ländern wachsen die Schulden weiterhin schneller als die Wirtschaftsleistung. Das kann aber nicht ewig so weiter gehen.
  • Für die Eurozone schätzt beyond the obvious das Volumen an nicht mehr ordnungsgemäß bedienbaren Schulden auf drei bis fünf Billionen Euro.
  • Als Nebeneffekt hat diese Politik zu einem Verschuldungsboom in den Schwellenländern geführt. Aus der Schuldenkrise des Westens droht eine weltweite Schuldenkrise zu werden.→ Der globale Währungskrieg – oder QE global und → China: Schuldenwirtschaft nach westlichem Vorbild

C. Welche Optionen gibt es, die Krise zu beenden?

  • Theoretisch gibt es vier Möglichkeiten mit der Überschuldung umzugehen: Sparen und Zurückzahlen, schnelleres Wirtschaftswachstum, Inflation und Restrukturierung (Zahlungseinstellung/Umschuldung).
  • Sparen und Zurückzahlen funktioniert bei einzelnen Unternehmen und Privathaushalten. Bei Ländern setzt eine Entschuldung jedoch deutliche Leistungsbilanzüberschüsse voraus. Wenn nun alle Länder gleichzeitig über Exporte eine Entschuldung anstreben, kann das nicht funktionieren. Versucht man es dennoch, ist ein Schrumpfen der Wirtschaft die Folge, wie in Griechenland und Italien zu beobachten. Je mehr diese Länder sparen, desto höher die Schuldenlast, weil die Wirtschaft schneller schrumpft als die Schulden. Dieses Phänomen wurde in den 1930er-Jahren von Irving Fisher in seiner Debt-Deflation Theory of Great Depressions treffend zusammengefasst. → Deflationsspirale in Zeitlupe
  • Viel angenehmer wäre es, aus dem Schuldenproblem herauszuwachsen – also den Nenner schneller wachsen zu lassen, als den Zähler. Nominales Wirtschaftswachstum setzt sich aus drei Faktoren zusammen: der Erwerbsbevölkerung, der Produktivität pro Kopf und der Inflationsrate. In der westlichen Welt stagniert oder schrumpft die Erwerbsbevölkerung. Der demographische Wandel wird uns in den nächsten Jahren mit voller Wucht treffen. Die Produktivität pro Kopf wächst deutlich weniger als in der Vergangenheit, bedingt durch weniger Innovation und zunehmenden internationalen Wettbewerb. Im Jahre 2013 war sie sogar rückläufig. Die Inflationsraten sind gering, es besteht vielmehr die Gefahr einer deflationären Entwicklung. Letzteres kann nicht überraschen, da Überschuldung immer zu geringer Nachfrage und Deflationsdruck führt. Studien zeigen, dass hohe Schuldenstände immer mit geringerem wirtschaftlichen Wachstum verbunden sind.→ Demographics: From Dividend to Drag, → Fatal für Schuldner: Produktivität der Weltwirtschaft sinkt und → The real Effects of Debt
  • Historisch wurden Überschuldungssituationen gerne über Inflation gelöst. Um im heutigen Umfeld eine Entschuldung über Inflation zu erreichen, benötigen wir Inflationsraten von über 10 Prozent pro Jahr über mehrere Jahre bei gleichzeitig tiefem Zinsniveau. Zwar gelingt es den Notenbanken den Nominalzins tief zu halten. Doch gerade in den Krisenländern Europas liegt das Zinsniveau noch über der nominalen Wachstumsrate. Eine Entschuldung ist so nicht möglich. Den Notenbanken gelingt es nicht, die gewünschte Inflation zu erzeugen, zu groß ist der deflationäre Druck. Das Bankensystem verwendet die zur Verfügung gestellten Gelder lieber zur Spekulation in den Finanzmärkten oder zur Finanzierung von Staaten als zur Kreditvergabe an den Privatsektor. Letzterer ist in vielen Ländern bereits so hoch verschuldet, dass er keine weitere Verschuldungskapazität und -bereitschaft mehr hat. Inflation kann in einem solchen Umfeld nur entstehen, wenn das Vertrauen in das Geldsystem als Ganzes zerrüttet wird. Doch dann sprechen wir nicht mehr von zehn Prozent Inflation, sondern von deutlich höheren Inflationsraten.→ Falling Prices start to deflate recovery hopes und → Europe moves nearer Japan style Deflation Trap
  • Verbleibt die letzte Option: Schuldenrestrukturierung. Diese kann auf verschiedenen Wege erfolgen: Der Schuldner erklärt einseitig die Insolvenz und stellt die Zahlungen ein – oder Schuldner und Gläubiger einigen sich auf eine Umschuldung, meist eine Kombination aus Teilerlass, Schuldenstreckung und Zinsentlastung. Je geordneter eine solche Schuldenrestrukturierung erfolgt, desto geringer die zusätzlichen Schäden – zum Beispiel aus Panik an den Finanzmärkten – und desto höher die „Konkursquote“ für die Gläubiger. Außerdem lassen sich in einem geordneten Verfahren weitere Zugeständnisse – zum Beispiel Reformen – aushandeln. → Die Schulden des Einen sind die Forderungen des Anderen

D. beyond the obvious befürwortet eine geordnete Restrukturierung

    • Angesichts der Alternativen bevorzugt beyond the obvious eindeutig einen geordneten Weg der Schuldenrestrukturierung. Dies habe ich erstmals im Jahre 2011 in einer Studie beschrieben. Diese wurde entgegen den in einigen Foren kolportierten Vermutungen nicht im Auftrag von einem Kunden erstellt, sondern auf Eigeninitiative, um einen Diskussionsbeitrag zu leisten.→ Back to Mesopotamia
    • Die Gründe für die Bevorzugung des geordneten Verfahrens liegen auf der Hand: Der Schaden wird begrenzt, die Gläubiger können eine Gegenleistung aushandeln, und die verheerende Abwärtsspirale wird gestoppt.
    • 2012 habe ich dann den Vorschlag für ein geordnetes Verfahren für die Eurozone konkretisiert. → Fixing the Euro Zone
    • Da einer solchen Schuldenvernichtung immer auch eine Forderungsvernichtung gegenübersteht, werden Gläubiger Verluste erleiden. Ich habe deshalb eine Vermögensabgabe in die Diskussion gebracht.
    • Kritiker haben mir damals und zum Teil auch heute vorgeworfen, eine „Enteignung“ zu propagieren. Dem ist nicht so. Ich muss leider erkennen, dass ein guter Teil meiner Forderungen bereits verloren ist. Jetzt geht es darum, die Verluste so zu realisieren, dass diese gering gehalten werden und nicht zusätzlicher Schaden entsteht.
    • Es gibt zwei Optionen die Verluste auf die Gläubiger zu verteilen. Erfolgt der Schuldenabbau über Insolvenzen, verlieren die Gläubiger des insolventen Schuldners ihre Forderungen (Modell Zypern). Dies hat den Vorteil, dass nur jene getroffen werden, die ihr Geld entsprechend investiert haben. Der Nachteil ist, dass es vor allem die kleineren und mittleren Sparer trifft, die ihr Geld über Banken und Versicherungen anlegen. Die Alternative ist das Verteilen des Schadens auf alle Vermögen. Damit zahlen alle Vermögensbesitzer einen Beitrag unabhängig von ihrem eigenen Anlageverhalten. Ich glaube, dass dies eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz hat und trete deshalb dafür ein.→ Insolvenz oder Vermögensabgabe – was ist besser?
    • Im Gegenzug müssten Maßnahmen beschlossen werden, um eine Wiederholung der Schuldenkrise zu verhindern. Dazu gehören eine Rückbesinnung auf die Grundsätze der Eigentumsökonomik (Kredit nur gegen Mehrleistung), eine Beschränkung des Kreditwachstums um Überschuldungsblasen zu verhindern und grundlegende Reformen von Bildungssystem, Einwanderungspolitik und Sozialstaat. → Schulden sind gut – Eigentumsökonomik I

E. Was wird passieren?

  • Die Politik wird sich nicht trauen, der Öffentlichkeit reinen Wein einzuschenken. Deshalb wird das Spiel auf Zeit weitergehen. Die Schulden werden weiterhin schneller wachsen als die Wirtschaft.
  • Wir werden immer mehr kreative Maßnahmen sehen, um Zeit zu gewinnen. → Geld aus dem Nichts – nach Irland auch Italien
  • Die Notenbanken werden noch aggressiver, versuchen Deflation zu verhindern und Inflation zu erzeugen.
  • Und irgendwann wird es dann doch zu Zahlungsausfällen und Pleiten kommen, vermutlich mehr in Richtung Modell Zypern, da die Politik sich nicht trauen wird, einen geordneten Weg zu gehen.
  • Die sozialen und politischen Spannungen werden dabei zunehmen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Neuordnung der Eurozone kommt.
  • Am Ende werden die Verluste für die Gläubiger deshalb deutlich größer sein, als bei einem geordneten Verfahren.

F. Wie soll man sein Geld anlegen?

  • beyond the obvious gibt keine Anlageempfehlungen. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht möglich sein wird, ohne Verluste durch die vor uns liegende Phase der Schulden=Forderungs-Vernichtung zu kommen.
  • Selbst wer es schafft, unbeschadet durch diese Phase zu kommen, muss damit rechnen, dass ihm der Staat über Steuern und Abgaben ein Teil des Vermögens wegnimmt. Darauf wird die Masse der Verlierer drängen.
  • Wer auf das Szenario der ungeordneten Insolvenzen setzt, sollte sich von zweifelhaften Schuldner fernhalten und das Vermögen breit diversifizieren in Sachwerte, Liquidität und durchaus auch Gold. Dabei – und dazu muss man kein Verschwörungstheoretiker sein – sollte Gold nur physisch gehalten werden. Papiergold ist Papier, kein Gold.→ Wer spielt mit dem Goldpreis?
  • Wer mit Vermögensabgaben rechnet und diesen legal ausweichen will, sollte seinen Wohnsitz verlagern und sein Vermögen mitnehmen.

G. Fazit

beyond the obvious wird sich weiter dafür einsetzen, den unpopulären, aber geordneten Weg zu gehen. Dieser ist Schaden minimierend, man kann vom Schuldner Gegenleistungen verlangen, und eine geordnete Verteilung des Schadens verringert die sozialen Konflikte. Zusätzlich müssen wir die grundlegenden Probleme unserer Gesellschaften angehen: Bildung, Investitionen in Infrastruktur und Innovation, Neuordnung der Sozialsysteme und aktive Einwanderungspolitik, um die Leistungsträger der Welt nach Deutschland zu locken.
Das 10-Punkte-Programm findet sich hier:

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