Der DIW Faktencheck – Teil 3 (Erträge und Fazit)

In Teil 3 geht es um die künftigen Erträge für die Volkswirtschaft:

6. Erwerbsbeteiligung

Zunächst schätzt das DIW die erwerbsfähigen Flüchtlinge: „Laut aktuell verfügbaren Daten lag der Anteil der Asylbewerber im erwerbsfähigen Alter, also Menschen zwischen 15 und 74 Jahren, bei 72,7 Prozent; besonders hoch ist der Anteil junger Menschen: Über die Hälfte der Bewerber im erwerbsfähigen Alter war im vergangenen Jahr jünger als 34 Jahre.bto: Deshalb ist die Annahme einer Quote im erwerbsfähigen Alter von 73 Prozent sicherlich plausibel.

Danach geht es um jene, die auch wirklich arbeiten wollen (und nicht studieren etc.): „Für das Basisszenario wird von einer Partizipationsrate von 80 Prozent ausgegangen; diese liegt etwas über dem Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Anteil junger und insbesondere männlicher Flüchtlinge hoch ist – und gerade diese Gruppe eine hohe Erwerbsneigung aufweist.“ – bto: Auch hiergegen ist erst mal nichts zu sagen.

Daraus ergibt sich eine Erwerbsquote von 58,3 Prozent: 73 Prozent (Erwerbsfähige) x 80 Prozent (jene, die arbeiten wollen, „Partizipationsrate“).

Danach geht es um die Frage, wie viele von jenen, die eine Arbeit aufnehmen wollen, auch einen Arbeitsplatz finden: „Im Basisszenario wird daher davon ausgegangen, dass von zehn Arbeitssuchenden in den ersten Jahren nur vier Personen eine Anstellung finden, und auch im optimistischen Szenario nur jeder zweite. Die Arbeitslosenquote dürfte mit zunehmender Qualifizierung sinken, aber auch nach zehn Jahren erheblich bleiben.“ – bto: Daraus ergibt sich folgende Projektion des DIW:

  • In den Jahren 2 – 5 arbeiten 23,4 Prozent effektiv – pessimistisch: 18,4 Prozent.
  • In den Jahren 6 – 10 arbeiten 32,1 Prozent effektiv – pessimistisch: 26,3 Prozent.
  • In den Jahren 11+ arbeiten 41 Prozent effektiv. Dies entspricht dem Durchschnitt der heute bereits hier ansässigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund. – Pessimistisch: 34 Prozent.

Statistik Arbeitsagentur

Das klingt zunächst nachvollziehbar, doch wenn man genauer hinschaut, auch nach der Erkenntnis des DIW optimistisch, denn: „So liegt der Anteil der Erwerbspersonen syrischer Herkunft, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, bei nur 30 Prozent. Allerdings berücksichtigt diese Quote gerade nicht die Mini-Jobber, und auch keine Beamten und Selbständigen.“ – bto: Würden wir auch in Zukunft mit 30 Prozent rechnen, liegt dieser Wert bereits unter dem Wert, den das DIW im pessimistischen Szenario ansetzt.

Wenn die Erwerbsquote der in Deutschland lebenden Migranten bei 42 Prozent liegt, dann muss man davon ausgehen, dass die Flüchtlinge in Qualifikation und Integrationsbereitschaft dem Durchschnitt der bereits hier lebenden Migranten entsprechen. Wir wissen nicht, ob dies der Fall ist, jedoch ist es eher unwahrscheinlich, weil die Menschen die heute hier schon leben aus verschiedenen Regionen der Welt über einen längeren Zeitraum verteilt und mit einem breiten Spektrum an Qualifikationen zu uns gekommen sind. Dies zeigt sich auch an den Gehältern, wie wir im nächsten Punkt sehen werden.

Nachdem das DIW bereits Daten über die Arbeitsmarktintegration von Syrern hat und diese deutlich unter dem Schnitt liegt, frage ich mich, weshalb man selbst im pessimistischen Szenario einen höheren Wert der Arbeitsmarktintegration annimmt. Der Vorgänger von Herrn Fratzscher beim DIW, Professor Zimmermann, hält übrigens maximal 20 Prozent der Zuwanderer für in unseren Arbeitsmarkt integrierbar. (Siehe Interview in der letzten Ausgabe der WirtschaftsWoche.)

Fazit: Das DIW ist selbst im pessimistischen Szenario relativ zu den bekannten Werten optimistisch. Es kann sein, dass das optimistische Szenario des DIW eintritt. Es ist aber ohne massive Investitionen in Bildung völlig unrealistisch.

7Arbeitsproduktivität

Die weitere entscheidende Frage ist: Wie viel werden die Zuwanderer in Zukunft verdienen? Das DIW dazu: „(A)nzunehmen ist daher, dass sie vor allem im Bereich gering qualifizierter Beschäftigung eine Anstellung finden werden. Gemessen am Durchschnittslohn (…) dürfte die Produktivität geringfügig Beschäftigter ein Drittel unter dem Durchschnitt liegen. Dieser Wert wird entsprechend für die durchschnittliche Produktivität von Flüchtlingen unterstellt.“ In allen Szenarien des DIW (egal ob Basis, optimistisch oder pessimistisch) erreichen die arbeitenden Zuwanderer im Jahre elf eine Produktivität, die bei 67 Prozent des Durchschnittslohns liegt.

Das DIW verweist auf das „sozioökonomisches Panel“. 2012 lag danach das Durchschnitteinkommen bei 3.391 Euro/Monat, also: 40.692 Euro p. a. An anderer Stelle spricht das DIW von 36.000 Euro. Legen wir 36.000 Euro zugrunde, ergibt sich ein zu erwartender Brutto-Durchschnittslohn von 24.120 Euro.

Wie passt dies zu den Ist-Gehältern von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland? Alle Daten vom DIW aus anderen Studien.

DIW: Arbeitsmarktintegration von Migranten in Deutschland

Zur Berechnung musste ich die dort genannten monatlichen Nettogehälter in jährliche Bruttogehälter umrechnen:

  • Relativ zum Durchschnitt für alle Migranten: 15.276  Euro netto, also 18.312 brutto, verdienen die heutigen Zuwanderer in Zukunft 5.808, bzw. 32 Prozent mehr. So die Annahme des DIW.
  • Relativ zum Durchschnitt aller erwerbstätigen Männer mit Migrationshintergrund: 19.404  netto, also 23.112 brutto. Dann wären 24.120 Euro ungefähr das, was heute verdient wird.
  • Relativ zum Durchschnitt der Migranten aus arabischen/muslimischen Ländern, die heute 13.836  Euro netto, also 16.512 brutto verdienen in Zukunft also 7.608 mehr, bzw. 46 Prozent (!).

Wie passt diese Annahme zu den NULL-Investitionen in Bildung und der Erkenntnis, dass heute rund 40 Prozent der Flüchtlinge nur für Hilfsarbeiterjobs in Frage kommen?

Das ifo Institut hat, basierend auf Erhebungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei, ausgerechnet, „dass 16 Prozent der syrischen Flüchtlinge Analphabeten sind und acht Prozent gar keinen Schulabschluss haben. Ein Viertel der syrischen Flüchtlinge ist also als unqualifiziert einzustufen. Der Rest der Befragten gab an, über einen Schulabschluss zu verfügen. 35 Prozent haben demnach die Grundschule beendet und 22 Prozent die Hauptschule.“ – bto: Und diese Zuwanderer sollen ohne zusätzliche Qualifikation durchschnittlich ein Gehalt von 24.120 Euro erwirtschaften?

8. Belebung der Wirtschaft durch zusätzliche Staatsausgaben

Das DIW verweist zu Recht auf die positiven konjunkturellen Effekte:

Die gegenwärtige Diskussion um Flüchtlinge fokussiert sich meist viel zu sehr auf die Kosten für den Staat zur Unterstützung der Flüchtlinge. Dabei ignoriert sie die positiven Effekte für die Wirtschaft durch zwei Mechanismen: Zum ersten stimulieren diejenigen Flüchtlinge, die Arbeit finden, durch ihre Tätigkeit die Wirtschaft, indem sie zur Angebotsseite, der Produktion der Unternehmen beitragen. Zum zweiten stehen den flüchtlingsbedingten Ausgaben positive wirtschaftliche Nachfrageimpulse gegenüber, denn eine höhere Nachfrage greift insgesamt den Unternehmen unter die Arme. Auch die monetären Transfers, wie sie beispielsweise Asylbewerbern zufließen, deren Antrag bewilligt wurde, die aber keiner Beschäftigung nachgehen, führen zu zusätzlicher Konsumnachfrage. (…) Zudem erhöhen öffentliche Bauinvestitionen, die Wohnraum für Flüchtlinge schaffen, oder die sozialen Sachleistungen des Staates, die etwa für die Versorgung der Flüchtlinge anfallen, in gleichem Ausmaß die Wirtschaftsleistung.“

Überschlägig dürften alleine in den kommenden fünf Jahren rund 90 Milliarden für diese Zwecke zusätzlich ausgegeben werden, wenn man die Modellannahmen des DIW zugrunde legt. Wenn wir die unabdingbaren Investitionen in die Bildung ebenfalls tätigen, reden wir von 140 Milliarden und mehr.

Diese Ausgaben hätten wir allerdings auch ohne Flüchtlingskrise tätigen sollen. Es wäre zum Beispiel dringend erforderlich, die öffentliche Infrastruktur zu sanieren. Das DIW hat in anderen Studien alleine im Bereich der Kommunen einen Investitionsbedarf von über 130 Milliarden Euro ausgemacht.

Interessant ist, dass dieser konjunkturelle Effekt der Mehrausgaben – letztlich ist es ja mehr Konsum – die Szenarien besonders robust macht. Spielt man im Excel-Modell des DIW mit verschiedenen Annahmen, merkt man, dass hauptsächlich das Gehaltsniveau und der konjunkturelle Multiplikator das Ergebnis beeinflussen. Ersteres wird – wie gezeigt – in allen Szenarien gleich angenommen (nun könnte man meinen, dies liegt an der starken Wirkung auf das Ergebnis?) und ist gleichermaßen unrealistisch. Letzteres hätten wir auch bei einem kommunalen Investitionsprogramm bekommen, ganz ohne Flüchtlingskrise.

Um den Punkt nochmals zu verdeutlichen: Nehmen Sie an, Sie würden eine Hypothek aufnehmen, um mit dem geliehenen Geld eine Weltreise zu unternehmen. Die Folge wäre in dem Jahr der Weltreise ein deutlich höheres Ausgabenvolumen. Ihre private Wirtschaft würde also mehr Umsatz machen. Doch wären Sie deshalb am Ende des Jahres reicher? Natürlich nicht. Denn Sie haben ja nun Schulden, die sie in Zukunft bedienen müssen.

Insofern ist die Folge von mehr Staatsausgaben auf die Konjunktur natürlich positiv. Ob es sich aber wirklich rechnet, hängt von der Verwendung der Mittel ab. Das DIW hätte deshalb in seiner Rechnung auch eine Vergleichskurve machen müssen, die die Entwicklung der Volkswirtschaft bei entsprechenden Infrastrukturinvestitionen zeigt. Nur dann würden wir wissen, welches das bessere Investitionsprojekt ist.

Nur zur Erinnerung: Natürlich verbietet sich eine solche Betrachtung angesichts der humanitären Katastrophe. Bitte hierzu die Anmerkungen in Teil 1 lesen. Hier geht es ausschließlich um die Glaubwürdigkeit des Modells vom DIW.

9. Deckungsbeitrag versus Vollkosten

Herr Fratzscher sagt im Interview mit der WELT richtigerweise: „Denn genau diese enge Fokussierung auf die staatlichen Kosten ist doch verkürzt. Aus dieser Sicht wäre auch die Hälfte aller Deutschen für den Staat ein Verlustgeschäft.”

Damit ist er bei dem Punkt „Deckungsbeitrag versus Vollkosten“.

Was ist damit gemeint? Wenn die Gruppe der Zuwanderer in Summe weniger Sozialleistungen empfängt, als sie Steuern und Sozialbeiträge bezahlt, so ist es aus Sicht der Sozialkassen ein Gewinn. Zählt man dann noch die konjunkturelle Wirkung höherer Staatsausgaben dazu, so zeigt sich unter dieser Grenzbetrachtung ein positiver Effekt. Man wird relativ besser zum Zustand davor, wobei in dieser Rechnung die Folgen auf die Staatsverschuldung und die zukünftigen Verpflichtungen der Sozialkassen, also die künftigen Lasten völlig ausgeblendet werden – aber das Thema will ich jetzt nicht auch noch aufmachen.

Der Staat ist aber noch mehr als die Sozialkassen. Infrastruktur, Schulen, Verteidigung, Polizei, Ministerien und Behörden etc. sollen auch noch finanziert werden. Das bedeutet im Klartext, dass wir auf Dauer einen Mix an Zuwanderung brauchen, der, ähnlich wie die heute hier wohnhafte deutsche Bevölkerung, einen Anteil von mindestens 50 Prozent hat, der einen finanziellen Beitrag leistet, der für den Staat ein Gewinn ist – um im Bild von Fratzscher zu bleiben. Die Bertelsmann-ZEW-Studie hat das auch gezeigt: „Stellt man alle allgemeinen Staatsausgaben, etwa für Verteidigung oder Straßenbau, mit in Rechnung, schlägt für jeden lebenden Ausländer ein langfristiges Staatsdefizit von 79.100 Euro, für jeden lebenden Deutschen von 3.100 Euro zu Buche. Wegen dieses Defizits weist das Staatsbudget, wenn nicht gehandelt wird, langfristig eine Tragfähigkeitslücke von fast 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf.“

ZEW: „Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt“

Konsequent fordern die Autoren der Studie auch einen besonderen Fokus auf qualifizierte Zuwanderer: „Eine Wiederholung der Gastarbeitereinwanderung ist weder hinsichtlich der erwähnten Tragfähigkeitslücke noch mit Blick auf den Arbeitsmarkt im 21. Jahrhundert ökonomisch sinnvoll. Wissend um die schon erwähnten demografischen Entwicklungen, ist es mit Blick auf die Wohlstandssicherung in Deutschland hingegen sinnvoll, ja geradezu geboten, qualifizierte Einwanderer ins Land zu holen.“

Naturgemäß ist eine Flüchtlingskrise etwas anderes als geordnete Zuwanderung. Nur müssen wir uns darüber klar sein, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht das ist, was wir brauchen.

In der Betriebswirtschaftslehre gibt es einen Spruch: Wer nur auf den Deckungsbeitrag schaut, macht dennoch Pleite! Das Gleiche gilt für den Staat.

Deshalb habe ich in meiner Simulation – die im Unterschied zum DIW keine Vorhersage ist, sondern Voraussetzungen ableitet (das ist was GANZ ANDERES) – mit Kosten von 25.000 Euro pro nicht erwerbstätigen Zuwanderer gerechnet.

In der Simulation des DIW werden positive Deckungsbeiträge gezeigt, keine „Vollkostendeckung“, die aber Voraussetzung für einen echten positiven Beitrag wäre. Die Schlagzeilen, die mit der Vermarktung der DIW-„Studie“ einhergingen, sind schlichtweg falsch. Deshalb habe ich trotz aller Bedenken das Streitgespräch im SPIEGEL gemacht.

Nur wenn wir jetzt richtig investieren, können wir den Deckungsbeitrag steigern. Sonst nicht.

10. Fazit

Nachdem ich dem SPIEGEL zugesagt hatte, bin ich, wie dieser etwas längere Blogbeitrag zeigt, detaillierter in die Annahmen des DIW eingestiegen. Je mehr ich das getan habe und je stärker die Nachrichten in den Medien wurden – so am letzten Samstag auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung – desto mehr habe ich mich über die Irreführung der Öffentlichkeit geärgert. Da wird ein Wohlstandszuwachs auf Pump durch mehr öffentliche Ausgaben als Wohlstandsgewinn verkauft und zudem „blühende Landschaften“ voll in den Arbeitsmarkt integrierter Flüchtlinge versprochen, die zudem künftig die Renten bezahlen. Nichts davon hält einer genaueren Betrachtung statt.

Humanitäre Hilfe bedeutet nichts anderes, als seine Ersparnisse dazu zu nutzen, anderen zu helfen. Davon kann und sollte man sich keinen volkswirtschaftlichen Gewinn versprechen. Allerdings muss man die Beträge nüchtern berechnen und offen nennen. Dann können wir bewusst entscheiden, wie viel von unseren Ersparnissen wir für diese Hilfe ausgeben können und wollen. Dabei sollte uns niemand zu Mehrausgaben verleiten, mit der vagen Hoffnung auf einen späteren Ertrag, der nicht kommt.

Auch unsere Politiker nicht, selbst mit einer DIW-„Studie“ unter dem Arm nicht.

Schade ist vor allem, dass unsere Medien im heutigen harten Verdrängungswettbewerb nicht mehr die Zeit haben, genauer hinzuschauen, bevor sie titeln: „Nach sieben Jahren bringt ein Flüchtling dem Staat Geld.“

Hier geht es zurück zu: Der DIW Fakten-Check Teil 1 (Einführung und Zusammenfassung)

Hier geht es zurück zu: Der DIW Fakten-Check Teil 2 (Kosten und Investitionen)