Deflation: Alt gegen Jung, Gläubiger gegen Schuldner, Sparer gegen Spekulant

Es war mal wieder eine Woche der Geldpolitiker. EZB Präsident Draghi sieht keine Deflationsgefahr beziehungsweise ist sich sicher, dass die EZB genau diese verhindern könnte. In der FT meldet sich Investmentlegende George Magnus zu Wort und mahnt die Notenbanken zur Abkehr von ihrer derzeitigen Politik. „Normalisierung“ sei angezeigt. Die Deutschen erklären in Umfragen, keine Angst vor Deflation zu haben, und Wolfgang Münchau erklärt ihnen bei SPIEGEL ONLINE, weshalb sie doch Angst haben sollten. Ohne meine Argumentation zu dem Thema zu wiederholen (die findet sich hier) noch einmal zur Erinnerung:

Deflation ist normal

Technischer Fortschritt, Prozessverbesserungen und Innovationen führen zu anhaltend sinkenden Preisen. Dies war über lange Zeiträume in der Vergangenheit der Fall, und gleichzeitig prosperierte die Wirtschaft. Deflationsangst ist nur begründet, wenn Ausgaben aufgeschoben werden in Erwartung immer weiter fallender Preise. Solange die Deflation im normalen Rahmen bleibt, ist dies nicht der Fall. Oder besitzen Sie etwa keinen Computer oder Fernseher? Sie tun es, obwohl Sie wissen, dass die Geräte immer billiger werden und mehr können.
Dass wir nicht immer Deflation haben, liegt letztlich am Wunsch der Politik, nominales Wachstum zu zeigen. Eigentlich wäre das nicht nötig, da eine Preissenkung wie eine Einkommenserhöhung wirkt. Schön sichtbar an den Statistiken, wie lange ein Angestellter in den 1950er-Jahren für ein Flasche Bier arbeiten musste (15 Minuten), verglichen mit heute (3 Minuten).

Damit ist auch klar, dass Deflation keineswegs mit Wirtschaftskrisen und Rezessionen einhergehen muss. Problematisch wird Deflation immer nur dann, wenn die Wirtschaft als Ganzes nicht mehr wächst. Und damit nähern wir uns dem Kern des heutigen Problems.

Vereinfacht gesagt ist nominales Wirtschaftswachstum die Folge von drei Einflussfaktoren: die Anzahl Menschen, die im Berufsleben stehen, die Produktivität pro Kopf und die Veränderung des Preisniveaus. In den deflationären Wachstumsphasen der Vergangenheit hatten wir hohes Wirtschaftswachstum dank wachsender Bevölkerung und zunehmender Produktivität. Das BIP wuchs von Jahr zu Jahr, obwohl die Preise sanken. Die Folge war ein breiter Wohlstandsgewinn: Die Sparer und Geldvermögensbesitzer bekamen eine real positive Rendite, und die Schuldner konnten dank wachsender Wirtschaft und Einkommen ihre Schulden bedienen.

Ohne Wachstum wird es problematisch

Deflation wird zum Problem, wenn es kein Wirtschaftswachstum mehr gibt. Denn dann können die Schuldner ihren Verpflichtungen immer schwerer nachkommen. Alle Schulden erfordern einen Zins, der durch ein Mehr-Produkt zu erwirtschaften ist. Das geht aber nur, wenn auch wieder Mehr-Nachfrage da ist. Diese ergibt sich nur dann, wenn Gläubiger mehr konsumieren, also ihr Erspartes verbrauchen oder neue Schuldner hinzukommen. Unser Wirtschaftssystem erfordert ein kontinuierliches Wachstum, weil nur dann die Schuldner in der Lage sind, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Es ist ein gigantischer Kettenbrief: Nur durch nominales Wachstum gibt es keine Krise!
Der Druck der Wirtschaftsordnung fördert Innovation und technischen Fortschritt und damit die deflationäre Grundtendenz. Dies ist so lange kein Problem, wie die Grundfaktoren für Wachstum stimmen: wachsende Bevölkerung und zunehmende Produktivität. Und genau hier wird es problematisch: Die westliche Welt steht vor einem fundamentalen Wandel, der immer noch in seinen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Finanzmärkte massiv unterschätzt wird. Die Erwerbsbevölkerung schrumpft in Europa und wächst nur noch langsam in den USA. Damit fehlt ein wichtiger Faktor für wirtschaftliches Wachstum.

Spanien als mahnendes Beispiel

Mit Einführung des Euro hat Spanien mehr als zehn Jahre lang einen Boom erlebt, getragen von einer wahren Migrationswelle. In einigen Jahren zogen mehr als 800.000 Menschen nach Spanien und haben mit ihrer Nachfrage wiederum zum Boom beigetragen. Die nicht zuletzt wegen der tiefen Zinsen gut laufende spanische Wirtschaft hat Arbeitsplätze vor allem im Bausektor geschaffen. Seit Ausbruch der Krise hat sich dieser Trend umgekehrt. Die Einwanderer kehren dem Land wieder den Rücken. Alleine in den letzten zwei Jahren haben 400.000 Menschen Spanien wieder verlassen. In den nächsten zehn Jahren wird Spaniens Bevölkerung um fünf Prozent (2,7 Millionen Menschen) schrumpfen. Dies belastet zusätzlich den Immobilienmarkt. Die Zahl leerstehender Wohnungen wird auf 600.000 geschätzt. Schrumpft die Bevölkerung, vergrößert sich das Überangebot an Wohnraum. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade auch die gut ausgebildeten Spanier das Land verlassen, weil sie keine Perspektive mehr sehen. Dies sind schlechte Nachrichten für die künftige Produktivität und damit das Wirtschaftswachstum. Das Rentensystem steht damit vor dem Kollaps. Setzt sich der derzeitige Trend fort, werden in 40 Jahren 1,6 Erwerbstätige für einen Rentner aufkommen müssen.

Es gibt kein Beispiel für ein prosperierendes Land mit schrumpfender Bevölkerung. Es gibt erst recht kein Beispiel für ein Land mit schrumpfender Bevölkerung, welches in der Lage ist, seine Schulden zu bedienen. Japan ist hierfür das beste Beispiel: Das BIP stagniert seit Jahren, aber das BIP pro Kopf steigt. Der Produktivitätsfortschritt fängt damit den Rückgang der Bevölkerung gerade mal auf. Die Folge ist eine immer höhere Verschuldung relativ zum stagnierenden BIP und damit das realistische Szenario einer Pleite. Abenomics ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, diese noch abzuwenden. Ob es klappt, ist fraglich.

Die Wachstumsaussichten sind schlecht

Damit sind wir beim Kern des Problems: Die fundamentalen Treiber für wirtschaftliches Wachstum verschlechtern sich in der westlichen Welt. Zusätzlich zum Rückgang der Erwerbsbevölkerung, haben wir es mit abnehmenden Produktivitätswachstum zu tun. Namhafte Wissenschaftler wie Professor Gordon von der Northwestern University gehen davon aus, dass wir uns auf geringere Steigerungen des BIP pro Kopf einstellen müssen. Gründe sind neben abnehmenden Effekten von Innovationen vor allem die Globalisierung, die zu anhaltendem Druck auf die Löhne weltweit führt und die schlechten Leistungen der westlichen Bildungssysteme – Stichwort PISA. Gepaart mit der bestehenden hohen Schuldenlast ist eine Nachfrageschwäche die Folge, die es den Schuldnern immer schwerer macht, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Und das erklärt auch die aufgeregten Warnungen vor Deflation: Wo reales Wachstum fast nicht mehr zu erzielen ist, kann man nur nominal das BIP steigern, um den Schuldnern zu helfen.

Die Fronten in der öffentlichen Diskussion zum Thema Deflation sind klar: Alle die Geldvermögen halten oder aber laufende Einnahmen erzielen wie Sparer, Rentner und Arbeitnehmer sind Freunde der Deflation. Alle die Schulden haben, sind Freunde der Inflation. Alt (Sparer) gegen Jung (Schuldner), Gläubigerland (Deutschland) gegen Schuldnerland (setzen Sie ein beliebiges Land der Euro-Peripherie hier ein) und Sparer gegen Spekulant.

Und damit passt alles zusammen: Eine alternde Gesellschaft ist per Definition deflationär. Alte Menschen fragen weniger nach, profitieren als Sparer und Rentenbezieher von fallenden Preisen und sind weniger an Investitionen in die Zukunft interessiert. Hauptsache, das System hält noch lange genug für den eigenen Lebensabend. Deshalb werden wir immer mehr in ein japanisches Szenario rutschen, mit geringem Interesse, es zu ändern.

Wenn nun Herr Münchau die Deutschen vor der Deflation warnt, tut er das zwar zu Recht, aber mit dem falschen Argument. Er warnt vor Konsumrückhaltung und deshalb vor einer Rezession. Ich würde das umdrehen: Weil wir weniger Wachstum haben werden, können sich unsere Schuldner Deflation nicht leisten. Und wir als Gläubiger verlieren unser Geld, wenn die Schuldner es nicht zurückzahlen (können). Nur deshalb sollten wir uns Inflation wünschen. Dann verlieren wir unser Geld zwar auch, aber es tut nicht so weh.

Kommentare (2) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Michael Stöcker
    Michael Stöcker sagte:

    Sehr geehrter Herr Stelter,

    vielen Dank für diesen Beitrag. Ich schreibe mir schon seit einem halben Jahr die Finger wund, um auf diese grundlegende Problematik aufmerksam zu machen. Zur Zeit mal gerade wieder im Herdentrieb: http://blog.zeit.de/herdentrieb/2014/02/27/zentralbanken-wollen-mehr-inflation-aber-die-disinflation-geht-weiter_7136 . Aber aus Ihrer Feder scheint es dem einen oder anderen vielleicht ein wenig überzeugender. Ich habe mir soeben erlaubt, diesen Beitrag im Herdentrieb zu verlinken.

    Beste Grüße
    Michael Stöcker

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