Debitismus: Von der zwangsläufigen Krise (III)

Michael Stöcker hat sich in einem Beitrag kritisch mit der Theorie des Debitismus auseinandergesetzt. Vor allem bezweifelt er die Zwangsläufigkeit einer Krise. Es wäre eben nicht zwingend, dass es zu immer wiederkehrenden Krisen im System kommt. Schauen wir uns seine Argumentation an:

  • „Der Debitismus von Paul C. Martin geht auf die Erkenntnisse zur Eigentumsökonomik von Heinsohn und Steiger zurück und betrachtet die Ökonomie nicht wie die Neoklassik als Tauschwirtschaft, sondern als eine Zahlungswirtschaft, die auf Schuldverhältnissen basiert.“ – bto: Das haben wir in den letzten zwei Wochen hier bei bto beleuchtet. Ich finde es eine durchaus plausible Überlegung. Nicht unbedingt schlechter, als das, was uns sonst so als Wirtschaftstheorie verkauft wird.
  • „Für diese Theorie spricht nicht nur die Geschichte der letzten 5000 Jahre, sondern zugleich die fundamentale Änderung in der Erklärung der Geldschöpfung durch die Bundesbank (…).“ – bto: und der Bank of England und anderer. Dennoch ist es erstaunlich, dass die herrschende Lehre immer noch mit einem völlig falschen Bild der Geldwirtschaft arbeitet.
  • „Es gibt aber einen Punkt, bei dem ich dezidiert anderer Auffassung bin als Paul C. Martin und die Anhänger des Debitismus: Und das ist die Überzeugung, dass dieses System zwingend scheitern muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Prozess nicht zwingend ist, sondern verhindert werden kann.“ – bto: Da bin ich vermutlich gar nicht so anderer Meinung, wie ich auch in meiner Serie zur Eigentumsökonomik geschrieben habe. Es wäre also möglich, korrigierend einzugreifen, OHNE das an und für sich gute System zu schädigen.
  • „Zudem sehe ich das Hauptproblem nicht so sehr in den wachsenden Schulden, sondern vielmehr in den monetären Renditeerwartungen sowie den Renditechancen, die in gesättigten Märkten nicht mehr genügend hoch sind, um ein unternehmerisches Investment zu rechtfertigen, da die Risiken höher bewertet werden als die Chancen. (…) Erst in diesem Kontext wird das Verschuldungsproblem dann tatsächlich virulent.“ – bto: Ich denke, es hat mehr mit dem Außerkraftsetzen der Grundprinzipien zu tun, die zu immer mehr unproduktiver Verschuldung führt. Siehe Bedeutung der Immobilienschulden.
  • „Ursache hierfür ist ein mangelhaftes Verständnis unseres Geldsystems (…). Zudem handelt es sich bei der aktuellen Krise um ein Phänomen, das nur alle 70 bis 100 Jahre in Erscheinung tritt. Den wenigsten ist von daher ein solches Ereignis aus der eigenen Lebenserfahrung bekannt und das Studium der Ökonomie verzichtet bislang nahezu vollständig auf das Thema Wirtschaftsgeschichte.“ – bto: was exakt die Argumentation Martins ist.
  • „Das Hauptproblem nach debitistischer Auffassung ist, dass dem System irgendwann die soliden Nachschuldner ausgehen, weil das System an seine Verschuldungsgrenze gelangt ist und es kein beleihungsfähiges Eigentum mehr gibt.“ – bto: Ich sehe die Krise aus anderer Ursache: weil man zugelassen hat, dass unproduktive Schulden gemacht wurden. Man hat damit das Grundprinzip verletzt, wonach Schulden nur dann gut sind, wenn sie zu einem Mehrprodukt führen. Da wir aber das Aufschulden zur Grundmaxime gemacht haben, sind wir vom im Kern guten Modell abgewichen und haben uns auf einen Weg begeben, an dessen Ende nur die Vernichtung von Schulden und Forderungen stehen kann.
  • “Aufgrund des Zinses muss es aber immer aufschuldungsbereite und aufschuldungsfähige Nachschuldner geben, damit die Altschuldner nicht nur ihre Kredite, sondern auch die Zinsen auf diese Kredite zurückzahlen können. Es muss also einen zwingenden ständigen Aufschuldungsprozess geben, damit das System nicht kollabiert.“ – bto: Wenn wir nur Schuldner haben, die Mehrleistung erbringen wollen, sehe ich das Problem nicht. Die Zinsen müssten dann auf das erreichbare Niveau der Mehrleistung fallen.
  • „Der Wert des verschuldungsfähigen Eigentums hängt wiederum an der Bewertung des Sachvermögens. Aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate sinkt zudem das Zinsniveau und führt somit automatisch zu einer höheren Bewertung des Sachvermögens, da der Gegenwartswert (Barwert) der zukünftigen Erträge mit einem ständig niedrigeren Faktor abgezinst wird. Damit reagiert dann aber auch das beleihungsfähige Eigentum äußerst sensibel auf potenzielle Zinsänderungen.“ – bto: stimmt. Und wenn ich darüber nachdenke, wäre dies doch sogar stabilisierend, da dann bei abnehmender Mehrprodukt-Fähigkeit die Zinsen sinken und damit die Schulden trotz geringerer Profite stabilisieren. Vorausgesetzt natürlich, dass man produktive Schulden hat. Hat man hingegen „falsch gespielt“, löst es das Problem nicht.
  • „Der Zins ist aber tatsächlich nur dann ein Problem, wenn er in gesättigten Märkten höher ist als die Inflationsrate und/oder der Zins als Gewinnbestandteil ausgezahlt oder ausgeschüttet wurde, anstatt für die Kompensation für gescheiterte Kreditverträge zu fungieren. Der risikofreie Guthabenzins darf also in gesättigten Märkten nicht oberhalb von null liegen oder muss fiskalisch abgeschöpft werden, damit das System nicht kollabiert.“ – bto: Ich denke, es gibt keine gesättigten Märkte, weil es immer wieder neue Dinge gibt. Andere Märkte verschwinden und mit ihnen die dortigen Vermögen/Schulden. Nur wenn man dies verhindern will wie die Politik, potenziert sich das Problem, wie wir heute sehen können.
  • „Ein zweites Problem ergibt sich dann, wenn die Wirtschaft aufgrund von Marktsättigung und Überkapazitäten in eine disinflationäre oder sogar deflationäre Abwärtsspirale gerät. Denn jetzt wird es immer schwieriger, die für die Kredittilgung notwendigen Einnahmen am Markt zu generieren. Die für die Gesamtwirtschaft positive Aufschuldungsphase kommt nicht nur zum Stillstand, sondern droht im schlimmsten Fall in eine destruktive Abwärtsspirale umzuschlagen.“ – bto: Wobei die Frage ist, ob diese Deflation nicht die Folge der zu hohen Verschuldung und der mit Schulden ermöglichten Fehlinvestitionen/Überkapazitäten ist, zu denen es nur gekommen ist, weil die Schulden zu günstig gemacht wurden, was alle dazu gezwungen hat mitzumachen, wollen sie nicht ihr Eigentum verlieren.
  • „Dieser Prozess kann allerdings verhindert Die bisherigen Maßnahmen seitens der Zentralbanken sind jedoch keinesfalls ausreichend. Warum? Dazu muss man verstehen, wie unser Geldsystem funktioniert.“
  • „Geld ist auf der rein privaten Ebene immer ein Schuldverhältnis (in der debitistischen Terminologie eine Kontraktschuld) und erblickt das Licht dieser Welt durch einen Kreditvertrag mit einer Bank. Es handelt sich hierbei allerdings um Giralgeld der zweiten Stufe unseres Geldsystems und nicht um das gesetzliche Zahlungsmittel der 1. Stufe. Banken erzeugen also Schuldverhältnisse durch die Kreditvergabe, ohne zugleich den Erfüllungsgegenstand dieser Schuldverhältnisse mit erzeugen zu können.“ – bto: Das stimmt. Allerdings wissen wir, dass die Notenbanken den Banken immer alles nachträglich zur Verfügung stellen. Hat Huber sehr schön erläutert.
  • „Geld ist also etwas anderes als Kredit, kann aber andererseits ohne Kredite nicht als Geld fungieren; denn es ist letztlich die Verpflichtung des Kreditnehmers zur realen Leistungserbringung am Markt, die dem Geld eine Art Wert verleiht, weshalb wir überhaupt das Geld als bedrucktes Papier für die Hergabe von Realien akzeptieren. Ein zweiter Grund für die Akzeptanz ist die Tatsache, dass wir unsere Steuern und Abgaben in nationaler Währung zu leisten haben (Abgabenschuld).“ – bto: Hat Martin auch immer genauso dargestellt. Wir müssen etwas liefern, was wir uns nur am Markt beschaffen können.
  • „Die Geldmenge wird aber nicht nur durch die private Kreditnachfrage beeinflusst, sondern zugleich durch die staatliche. Die private Kreditnachfrage ist grundsätzlich begrenzt durch das beleihungsfähige Eigentum sowie die Höhe des Eigenkapitals des Bankensektors.“ – bto: In der Theorie ja. In der Praxis haben die Anreize des Staates dazu geführt, dass diese Grenzen eben nicht existieren. So hat die (implizite) Staatsgarantie zu einer enormen Kreditausweitung geführt, die über steigende Vermögenswerte (Piketty lässt grüßen) auch das beleihungsfähige Eigenkapital vergrößert hat.
  • „Die staatliche Kreditnachfrage ist wiederum durch eine relativ willkürlich gesetzte Schuldenobergrenze Dabei ist zu beachten, dass im Falle der Staatsverschuldung erst einmal kein neues Giralgeld geschöpft wird, sondern aus Anlegersicht eine Sichtforderung gegen die Bank (also mein Giroguthaben) in eine Forderung gegenüber dem Staat umgewandelt wird. Es findet also keine zusätzliche expansive Nachfrage statt, sondern fehlende private Nachfrage wird durch staatliche Nachfrage substituiert.“ – bto: Ist dem so? Der überwiegende Teil der staatlichen Schulden dürfte wie auch die privaten aus der Geldschöpfung des Bankensystems gespeist worden sein und nicht aus zuvor generierten Ersparnissen.
  • „Letztlich behindert also das private Geldsparen die Wirtschaft und muss durch staatliche Ersatznachfrage im Gleichgewicht gehalten werden (…).“ – bto: Stimmt das? In diesem Modell fehlen die Investitionen völlig. Doch auch diese müssen irgendwie finanziert werden. Da dürfte die These der Ersparnisse, die die Investitionen finanzieren, schon zutreffen.
  • „Die Frage ist allerdings, was macht der Staat mit diesem Geld (Stichwort Lobbyismus) und bei wem landet es sodann? Sinnvoll wären vor allem Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Landen tut es dort (verstärkt durch den Lobbyismus), wo es immer landet; und das nicht nur wegen des Zinseffekts: auf dem größten Haufen (Matthäus-Effekt) und somit bei denjenigen, die eine hohe Sparneigung haben.“ – bto: Also, wenn ich mir den deutschen Staatshaushalt ansehe, sehe ich vor allem Sozialleistungen, die, nun ja, nicht bei den Vermögenden landen. Man kann natürlich sagen, dass es eine Täuschung ist, um die Akkumulation oben zu ermöglichen. Mag sein. Man könnte aber auch sagen, dass der Staat eigentlich etwas anderes macht: Er mindert den Druck zur Mehrleistung auf Ebene der Individuen und auch bei den Unternehmen durch Subvention und Regulierung. Er ermöglicht immer mehr Leuten, dem Systemdruck zu entfliehen und unterminiert damit das eigentlich gute System. In der Folge sinkt das Wachstum, die Schulden werden immer unproduktiver verwendet und damit immer untragbarer. Diesem Punkt von Stöcker folge ich nicht, es fehlt mir der Beweis.
  • „Ein langfristig positiv stabilisierender Effekt stellt sich insbesondere dann ein, wenn die finanziellen Mittel bei den unteren Einkommensgruppen ankommen. Deren Sparneigung ist deutlich geringer und somit sind die realen Effekte auf die effektive Nachfrage deutlich höher.“ – bto: Das stimmt und scheint auch das Ergebnis der deutschen Umverteilung zu sein. Generell ist es so, dass eine kontinuierliche Umverteilung in der Tat Vermögenskonzentration und damit Krisen vorbeugen kann. So auch in der Serie zur Eigentumsökonomik beschrieben.
  • „Die Debitisten verkennen aber, dass selbst in diesem an sich absurden System der Staat grundsätzlich die Möglichkeiten in der Hand hat, ein Gleichgewicht zwischen Geldschulden und Geldvermögen wieder herzustellen. Das Hauptinstrument hierfür ist das Steuern- und Abgabensystem, mit dem zugleich das debitistische Zinsproblem entsorgt werden kann.“ – bto: Ich denke auch, dass es quasi einen kontinuierlichen Stabilisierungsprozess geben kann. Aber es kann den Prozess wohl nur verlangsamen, nicht verhindern.
  • „Aktive Steuerstrategien schöpfen Vermögen über höhere Grenz- und Erbschaftssteuersätze ab. Sollte das Geldvermögen nicht ausreichen, müssen vorhandene Assets am Markt veräußert werden. Dieser Effekt wirkt der Assetinflation entgegen und verhindert somit zugleich, dass solche Assets für den Durchschnittsbürger unerschwinglich werden.“ – bto: Das Ziel würde man einfacher erreichen in einer Rückbesinnung auf die Grundsätze der Eigentumsökonomik, vor allem produktive Kredite und Risiken für die Kreditgeber bei gleichzeitigem Fokus auf die Erzeugung von Mehrprodukt.
  • „Passive Steuerstrategien setzten bei der finanziellen Repression Damit auch hier das Hauptproblem (Matthäus-Effekt) am effektivsten angegangen werden kann, sollte die Zentralbank den Staat nicht über den Umweg der Banken finanzieren, sondern alle Bürger unmittelbar mit einem gleich hohen Betrag (Helikoptergeld nach Friedman). Ein bilanztechnisches Problem gibt es nicht, da an der Nullzinsgrenze Staatsanleihen und Geld nahezu perfekte Substitute sind. Da auch Staatsschulden stets revolviert werden, jedoch niemals zurückgezahlt werden, ist eine ewige Anleihe zu null Prozent Zinsen letztlich nichts anderes als Geld. Wegen der besseren Übersicht sollte diese ewige zinsfreie Schuld aber gesondert  in der Zentralbankbilanz ausgewiesen werden.“ – bto: Kann man machen, nur damit würde man wiederum die Verweigerung von Mehrprodukt belohnen. Zur Bereinigung einer Krisensituation, wo es ja nur darum geht, Überschuldung zu bereinigen, ist es sicherlich ein probates Mittel.
  • „Die Wirkungen des Helikoptergeldes dürften bei den unteren Einkommensdezilen aufgrund der höheren marginalen Konsumneigung sehr ähnlich sein wie bei Lohnerhöhungen. Bei den oberen Einkommensdezilen wird ein großer Teil hingegen unmittelbar fiskalisch abgeschöpft, da diese finanziellen Zuwendungen seitens der Zentralbank der Einkommensteuer unterliegen. Diese Einnahmen stehen sodann zinsfrei für Investitionen in Bildung und Infrastruktur zur Verfügung.“ – bto: Kann man so machen, ist aber ein Nebenaspekt.
  • „Es gibt also keinen Grund für einen debitistischen Fatalismus. Wir müssen ‚lediglich‘ unser System verstehen und über das Steuersystem aktiv und/oder passiv gegensteuern. Dieser Weg zu einem besseren Verständnis ist allerdings mit vielen Hindernissen verbaut: intellektuellen und interessengeleiteten. Sollte das System also wieder einmal scheitern, dann liegt es nicht am System an sich begründet, sondern an den menschlichen Schwächen.“ – bto: was stimmt.

Fazit bto: Letztlich hat Herr Stöcker den Debitismus als Modell anerkannt. Er stößt sich an dem vermeintlichen Fatalismus seiner Anhänger. Ich selber sehe mich nicht als Fatalist. Im Kern geht es um den Weg der Systemkorrektur, nachdem es schiefgelaufen ist. Dies geht über Umverteilung und letztlich eine Reduktion von Schulden und Forderungen/Vermögen. Die Wege dahin sind vielfältig.

Darüber hinaus sehe ich schon eine Krisen verstärkende Rolle der Politik (der Staat muss es nicht sein, die Politiker sind es!), die versucht, den Systemdruck zu mindern, um so Popularität zu gewinnen. Ob durch Sozialstaat oder billige Kredite zum Hauskauf ist dann Geschmacksfrage. Dadurch werden die Grundprinzipien ausgehebelt und der unproduktive Kredit zur Norm. Folge: Vermögenspreisinflation, Blasen, Ungleichheit, Crash. Kontinuierliche Umverteilung bei Beibehaltung der Systemgrundsätze würde funktionieren und wäre nachhaltiger. Ist aber politisch nicht so attraktiv.

 
→ Zinsfehler: “Debitismus ad Infinitum”, 27. November 2016