China wie Japan 1989?

Der Abgesang auf China ist so alt wie die wirtschaftliche Aufholjagd. Und jedes Mal hat China den Zweiflern gezeigt, dass sie unrecht haben. Ungebremst von Russlandkrise, Asienkrise, Dotcom Bubble, Finanzkrise hat es China geschafft, nachhaltig hohe Wachstumsraten zu erzielen und zur Fabrik der Welt zu werden. Doch kann man aus dieser Historie wirklich ableiten, dass jegliche Zweifel unangebracht sind? Darf man wirklich mit Blick auf das enorme Auslandsvermögen davon ausgehen, dass – für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch mal etwas schiefgeht – die Regierung genug Munition hat, jedes Problem zu lösen? Vielleicht doch nicht. In dieser Woche haben sich gleich drei Autoren sehr fundiert mit den Aussichten von China befasst:

Einen Blick auf die demographischen Herausforderungen wirft David Pilling in der FT:
David Pilling FT (Login erforderlich): The ghost at China’s third plenum: demographics, 6. November 2013

Die Frage des Freiraums für Kreativität und Innovation beschäftigt Ambrose Evans-Pritchard im Telegraph:
Ambrose Evans-Pritchard TheTelegraph: Chinas-Communists-want-unattainable-goal-of-affluence-without-freedom, 7. November 2013

Einen Vergleich mit früheren Entwicklungen anderer Länder macht Michael Pettis in der FuW:
Michael Pettis FuW: Die Politik von Chinas Umstellung, 5. November 2013

Die Kernaussagen:

Der Wandlungsprozess, vor dem China steht, ist nicht einmalig:

  • In der Vergangenheit gab es bereits ähnliche Fälle erfolgreicher Volkswirtschaften, die nach einer langen Phase des Booms über Investitionen und Exporte das Geschäftsmodell ändern mussten.
  • Berühmte Beispiele sind die USA in den 1920er-Jahren und Japan in den 1980er-Jahren
  • In allen Fällen kam es zu einem deutlichen Anstieg der Verschuldung und mündete in einer Überschuldungskrise.
  • Das scheint in China der Fall zu sein. Wie bereits früher diskutiert, liegt das Staatsdefizit mit fast zehn Prozent vom BIP knapp hinter Japan und deutlich vor den USA. Die Gesamtverschuldung ist seit 2008 von 125 Prozent auf 200 Prozent des BIP gestiegen. Mit abnehmendem Grenznutzen. Jeder neue Kredit schafft nur noch einen Anstieg um 0.2 im BIP.
  • Die Verantwortlichen unterschätzen die erforderliche Anpassung, und erst die Überschuldungskrise führt zu den vor allem politisch schwierigen Anpassungsprozessen. Im China von heute wird es vor allem darum gehen, dass die heute Privilegierten relative Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Ihr Einfluss und ihr Vermögen werden schrumpfen.

Die Anpassung wird durch die demographische Entwicklung erschwert:

  • Seit 1949 hat sich die Lebenserwartung in China von 35 auf 75 Jahre mehr als verdoppelt.
  • Zeitgleich ist die Geburtenrate auf unter 1,5 Kinder pro Frau gesunken. Nur leicht über dem Niveau in Deutschland übrigens.
  • Die Präferenz für Jungen hat dazu geführt, dass auf sechs Jungs fünf Mädchen kommen, was angesichts der absolut großen Zahlen dazu führt, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten mehrere zehn Millionen Männer keine Chance haben, eine Frau zu finden. Dies kann zu erheblichen sozialen Problemen führen.
  • Das Arbeitskräfteangebot sinkt seit 2011. Für 2030 wird erwartet, dass China 140 Millionen Arbeitskräfte fehlen!
  • In Japan war das ungefähr im Jahre 1990 der Fall, und seither stagniert die Wirtschaft. Den Zusammenhang von Demographie, Kreditblasen und Finanzkrisen hatte ich schon besprochen.
  • Weniger Arbeitskräfte bedeuten weniger Wirtschaftswachstum, außer es gelingt, das BIP pro Kopf deutlich zu steigern.
  • Laut IWF könnte China, wenn es entsprechende Reformen angeht, bis 2030 auf 40 Prozent des BIP pro Kopf der USA kommen. Ohne Reformen sind nur 25 Prozent realistisch. China liegt heute auf einem Niveau von 20 Prozent.

Ohne Reformen geht es nicht:

  • Kapital muss in innovative und kreative Bereiche fließen. Genau das passiert jedoch nicht. 90 Prozent der neuen Kredite gehen an die Staatsunternehmen (SOEs), obwohl diese nur ein Drittel des BIP erwirtschaften. Sie sind zudem chronisch unprofitabel. Die staatlichen Banken leihen kleinen Unternehmen, die eher Innovationsmotor sein könnten, nur selten Geld.
  • Grundlegende Reformen sind notwendig, damit China einen innovativen Privatsektor entwickelt. Die Banken müssen frei werden in ihrer Kreditvergabe, die Migration innerhalb des Landes muss leichter möglich sein, und nicht zuletzt bleibt die Frage, ob Kreativität und Innovation bei strikter Zensur funktionieren können.
  • Mit Blick auf die zunehmende Einschränkung von Internet, Medien, Wissenschaft und Forschung, scheint die Führung der kommunistischen Partei jedoch aus dem Niedergang der UdSSR den Schluss gezogen zu haben, dass zu viel an Freiheit die eigene Machtbasis gefährdet. Dies wären keine guten Nachrichten für Unternehmertum und Innovation.
  • In der Vergangenheit hatte dies noch keine negativen Implikationen, weil China noch über ein erhebliches Arbeitskräftepotential verfügte und als Werkbank der Welt von der Importnachfrage des Westens profitiert hat.
  • Heute jedoch stagniert die Importnachfrage des Westens bedingt durch die Wirtschaftskrise, und der deutliche Anstieg der Arbeitskosten hat den Wettbewerbsvorteil erodiert.

Nach Reformen sieht es nicht aus. Stattdessen wird die bisherige Wirtschaftspolitik mit kreditfinanziertem Fokus auf Investitionen fortgesetzt. Vor China und der Welt liegt vermutlich eine turbulente Dekade.

Übrigens hat über die Gefahr der Stagnation von China im Segment der „Middle-income“-Countries schon im September 2012 George Magnus von der UBS geschrieben. Ich hatte ihn schon im Zusammenhang von Demographie und Finanzkrisen zitiert.

George Magnus UBS: Asia: is the miracle over? 10. September 2012